Achter Auftritt

[167] Balthasar. Marie.


BALTHASAR Marien zu Hülfe eilend.

Um Gottes Willen, faßt Euch, edles Fräulein!

Bewährt den Mut, den Ihr bisher gezeigt.

MARIE sich langsam aufrichtend.

O Balthasar – nie ward ich solcher Angst

Zur Beute noch!


Sie macht einige Schritte nach vorn, mit gefalteten Händen und dem Ausdruck tiefster Erschütterung.


Wie! wenn ich jetzt ihn hätte

Zum letzten Mal gesehn!

BALTHASAR.

Nein, Fräulein, nein![167]

Gewiß, Ihr seht ihn wieder. Lasset nicht

Von solchen Bildern Euern Geist umdüstern.

MARIE.

Oft zog der Vater in die Schlacht – doch nie

War mir das Herz so böser Ahnung voll.

Ein Schlag entscheidet beider Schicksale.


Bedeckt ihr Gesicht mit den Händen.


BALTHASAR.

Beider? Wen meint Ihr?

MARIE auffahrend, sich umsehend.

Wenn ich nur hinaus,

Hinaus könnte, ihn draußen zu umschweben,

Wenn ihn mein Auge nur geleiten könnte,

Mein Angstruf sollt' ihn schützen!

BALTHASAR.

Fräulein! Rast Ihr?

Ich bitt Euch, faßt Euch! Kommt – laßt hier Euch nieder.


Er leitet sie zum Sessel.


Ich selber will auf jene Brüstung steigen.

Vorn obern Fenster übersieht man frei

Das Feld – ich meld Euch alles, was ich sehe;

Mein treues Auge diene Euch zum Fernrohr.


Er steigt zu einem höher gelegenen Fenster hinauf.


Ha! schon würgt Philipp in der Stürmer Rücken.

Hei! wie er sie mit seinen grimmen Hauern

So blutig packt! Zur Mauer drängt er sie.

Dort streckt sie Waldeck mit den Steinschleudrern

Reihnweis zu Boden. Furchtbar tobt der Kampf!

MARIE.

Siehst du vom Vater nichts?

BALTHASAR.

Nichts. Zuwachs hat

Der Feind erhalten.


Schnell.


Schon geteilt hat Philipp

Schnell seine Haufen. Mit der einen Hälfte

Zwängt er den Feind zum Graben hin. Weh mir!

Ich sehe ihn nicht mehr, alles wogt durcheinander.

Am Haupttor ballt am dicksten sich der Knäul,

Die Leitern stürzt der Waldeck um. – Ha! Da

Ist Philipp! Lichte Bahn schlägt sich sein Schwert.

Brav, wackrer Kämpe, brav! Das war ein Hieb!

Er stürzt!

MARIE.

Wer stürzt?

BALTHASAR.

Wilhelm von Zabern. Schwankung

Läuft durch der Feinde Reihn! – – Seht, seht! dort biegt

Eu'r Vater um die Ecke mit den Seinen.

Triumph! In hundert Schritten haben sie

Den Wald erreicht. Frei ist der Weg![168]

MARIE aufspringend.

O Gott!

BALTHASAR hastig.

Weh, weh! Was seh ich! Aus dem Wald hervor

Bricht eine Reiterschar. Schon hat sie ihn bemerkt,

Grad auf ihn los sprengt sie.

MARIE.

Vater im Himmel!

BALTHASAR.

Ein siebzig oder achtzig sind's! Schon sind

Sie aneinander. Euer Vater sticht

Vom Pferd den Führer.


Mit den Füßen stampfend.


Flieh, Franz, flieh!

Narr deiner Großmut! – Schon ist es zu spät.

Es stricken ineinander sich die Reihn.

Wie Löwen wehren sich die Unsrigen,

Trotz Feindes Übermacht.

MARIE.

Siehst du ihn noch?

BALTHASAR.

Ha! Schon hat Philipp seine Not erkannt.

Im hellen Lauf eilt er mit einem Häuflein

Zu Hülfe ihm! O könnt' er fliegen! Weit

Ist noch der Weg. Weh mir! Ich seh den Helmbusch

Von Franz nicht mehr.


Marie stößt einen Schrei aus.


BALTHASAR.

Doch, doch! Da ist er, glaub ich.

Der Mauer-Vorsprung hindert mich am Sehn.

Zur Zinne will ich, wo man einen Blickes

Das Schlachtfeld überschaut.


Er steigt schnell hinunter.


MARIE die Hände ringend.

Nein, Balthasar –

BALTHASAR mit starker Stimme.

Ich muß zur Zinne – meine ganze Seele

Hat sich ins Aug' gedrängt. Ihr, Fräulein, – betet!


Er stürzt ab.


MARIE ihm nachrufend.

Balthasar, bleib! Balthasar! – Fort ist er!

Läßt mich allein in dieser Todesangst! –

Es beben meine Glieder, und umsonst

Sucht sich mein Fuß der Stelle zu entreißen.

Lähmung erfaßt mich, hält mit Zentnerschwere

Mich festgebannt – ja, beten will ich, beten!


Sie stürzt auf die Knie.


Wenn dort ein Vater hinter Wolken thront,

Der fühlend niederblickt auf unsern Schmerz,

Der sich erbarmen kann des Menschen Pein,[169]

Wird er sich jetzt mir helfend offenbaren!

Wenn eine güt'ge Vorsehung hienieden

Liebend die Lose lenkt – –

Wie sagte Er?

Der einzelne steht auf des Zufalls Pulvermine,

Auffliegend sprengt sie – Weh! Wenn mit dem Vater

Sie jetzt aufflöge!


Sie läßt das Haupt auf die Brust fallen und bedeckt es mit den Händen. Tiefe Pause. Dann Siegesmusik hinter der Szene.


MARIE den Kopf aufrichtend.

Horch! Was war das? Gott!

Die Unsern blasen Sieg! Wär's möglich?


Sie hat sich halb aufgerichtet und rückwärts gewendet.


BALTHASAR tritt auf mit gesenktem Haupt.

Betet nicht, Fräulein! Ehern ist der Himmel.

MARIE.

Wie sagst du? Und was senkt dein Angesicht

Auf deine Schultern bleiern sich hernieder?

Sieg bliesen ja die Unsrigen.

BALTHASAR.

Wohl Sieg!

Der Sturm ist abgeschlagen und der Feind

Blutig in seine Schanzen rückgeworfen.

Doch zehnmal milder noch wär' Niederlage

Als solcher allzuteu'r erkaufter Sieg –

Denn schwer verwundet bringt man Euern Vater.


Quelle:
Ferdinand Lassalle: Franz von Sickingen. Stuttgart 1974, S. 167-170.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Franz von Sickingen
Franz von Sickingen; a tragedy in five acts (1910)
Franz von Sickingen

Buchempfehlung

Jean Paul

Selberlebensbeschreibung

Selberlebensbeschreibung

Schon der Titel, der auch damals kein geläufiges Synonym für »Autobiografie« war, zeigt den skurril humorvollen Stil des Autors Jean Paul, der in den letzten Jahren vor seiner Erblindung seine Jugenderinnerungen aufgeschrieben und in drei »Vorlesungen« angeordnet hat. »Ich bin ein Ich« stellt er dabei selbstbewußt fest.

56 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon