Neunter Auftritt

[170] Trauermarsch hinter der Szene. Während Balthasar Marien, die bei seinen letzten Worten umsinken will, zu Hülfe kommt und sie aufrichtet, öffnet sich die Tür, und man bringt auf einem Ruhebett, den Körper mit einer Decke verhüllt, den tödlich verwundeten Sickingen getragen. Hinter ihm Philipp von Rüdesheim, Wilhelm von Waldeck, ein Arzt, Ritter, Knappen, Mannen. Das Ruhebett wird in die rechte Ecke der Bühne gestellt.


FRANZ.

Marie!

MARIE.

Mein Vater!


Sie fliegt mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu und kniet an seinem Ruhebette hin, ihn mit den Armen umschlingend.


FRANZ.

Teures, süßes Kind![170]

Verzeih, wenn ich mich einen Augenblick

Dir noch entziehe. Bald gehör ich dir. –

Philipp –

PHILIPP vortretend, mit traurigem Ausdruck.

Franz!

FRANZ.

Glaubst du, daß der Feind schon weiß,

Wie's mit mir steht?

PHILIPP.

Das kann er kaum, selbst wenn

Die Reiter dich erkannt. Als wir heraus dich hieben,

Saßest du fechtend noch zu Pferde. Erst

Als jene schon die Flucht ergriffen, sankst du

Vom Blutverlust erschöpft von deinem Roß.

Wir trugen dich in unsrer Mitte, während

Zum Rückzug schon das Heer des Feindes blies.

Schwerlich kann er's schon wissen.

FRANZ.

Wohl. Wo ist

Der Arzt?

ARZT vortretend.

Hier, Herr!

FRANZ.

Ich sah Euch – zucken, als

Ihr den Verband mir angelegt. Sprecht frei:

Ist Rettung möglich – und wie lange noch

Hab ich zu leben?

ARZT zögernd.

Herr –

FRANZ.

Die Wahrheit will ich.

Auf dein Gewissen leg ich es. Die Freiheit

Von vielen Edlen hängt an deinem Wort.

ARZT mühsam.

Ihr werdet –

FRANZ.

Sprechet! Ich befehl es Euch!

ARZT.

Ihr werdet – diese Nacht nicht überleben.


Es läuft ein halb unterdrückter Laut des Schauders durch die Reihen aller Anwesenden. Marie erstickt ihr Schluchzen in den Kissen des Ruhebetts.


FRANZ.

Gut denn!

Zum letzten Mal will ich sie überlisten.

Philipp, den Herold sende zu dem Feind:

Ich will die Burg ihm überliefern, will

Mich selbst ihm zum Gefangnen geben, wenn

Er freien Abzug mir gewährt für alle

Drin, außer mir. – Doch muß er sich entscheiden

Im Augenblick. Bedenkzeit weigr' ich ihm.[171]

Geht er drauf ein, so laß das Tor ihm öffnen –

– Ich will nicht lange ihr Gefangner sein.


Philipp ab.


Marie, jetzt angehör ich dir, mein Kind!

O weine nicht, beklage nicht mein Los.

Wir schulden dieses Leben jenen Zwecken,

In deren Werkstatt die Geschlechter nur

Die Arbeiter, die hingegebnen, sind.

Ich hab getan, was ich gekonnt, und fühle

Mich frei und leicht, wie einer, welcher redlich

Hat abgetragen große Schuld. Zurück

Auf meines Lebens Laufbahn fällt mein Blick,

Er fühlt sich frei von Selbstsucht der Gesinnung.

Mein Name lebt im Angedenken fort,

Und späte Sänger stellen mich zu jenen,

Die für der Menschheit Edelstes gekämpft –

So sterb ich gern – und darum – klage nicht.

MARIE ihn umschlingend.

Vater, ich laß Euch nicht! Ich kann ihn nicht

Ertragen, den Gedanken, Euch zu lassen.

FRANZ.

Dein äußres Glück – in Trümmern laß ich es.

Doch nie auf Äußres war dein Sinn gerichtet.

Dein Erbteil bleibt mein Name – trag ihn würdig,

Ich weiß, du wirst es. Eines nur bedrückt mich

Und macht den Tod mir schwer – – –

O könnt' ich ihn noch einmal vor mir sehn!

Aus meines Ulrichs edlen Zügen saugen

Letzte Befriedigung!


Marie schluchzt heftig.


In ihnen trat

Das Große, was ich wollte, sichtbar mir

In leuchtender Verkörperung entgegen,

Und meiner Seele Spiegel stand er da!

Ein jäher Schlag wird ihn – ich fürchte sehr –

Die Kunde treffen. – Tröste ihn, Marie,

Sag ihm, ich habe sein mit Segnungen

In dieses Lebens letztem Augenblick,

Mit reichsten Segnungen gedacht. Sag ihm,

Er solle nicht vorwerfen sich mein Los;

Ich dank ihm diesen Tod, des Lebens schönes Ende,

Und dank ihm meines Lebens beßren Teil.[172]

HEROLD auftretend.

Herr! Angenommen hat der Feind, was Ihr

Erboten habt. Morgen will er die Burg,

Die heut Euch noch verbleiben soll, besetzen.

Doch auf dem Fuße folgen mir die Fürsten.

Schon nahen sie.


Trompetenstoß hinter der Szene.


FRANZ.

Erhebe dich, Marie!

Trockne die Tränen. Sickings Tochter darf

Der Feind nicht weinen sehn. Sei stark, mein Kind!


Quelle:
Ferdinand Lassalle: Franz von Sickingen. Stuttgart 1974, S. 170-173.
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Franz von Sickingen
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