Zweite Szene.


[284] Schiller der auf die steinerne Bank rechts gesunken ist, bald darauf Laura und die Generalin.


SCHILLER. Dort Tod meines Geistes, vielleicht auch meines Leibes – hier Tod meines Herzens! Schreckliche Wahl, die mir[284] auferlegt wird! Tückisches Schicksal, das mich mit seinem Glücke verhöhnt: die Pforten der Seligkeit sind mir endlich geöffnet, mein Auge schwelgt schon im Genusse; da werde ich erbarmungslos zurückgeschleudert, um nie, niemals die Pforten zu überschreiten! Und ich soll nicht klagen! Dem Dichter gebührt nicht mehr, damit ihm die Sehnsucht lebendig, das Ideal unzerstörbar bleibe! O Dichtkunst! Welch ein schmerzliches Geschenk des Himmels bist du! Alle Schmerzen der Welt doppelt zu empfinden, das ist unser entsetzlicher Vorzug. Orpheus drang mit der Macht des Gesanges in die Unterwelt hinab, die vom Tode entführte Gattin noch einmal wiederzusehen. Er sah sie wieder, ja, aber für einen Augenblick, und um den Verlust noch einmal und tausendmal stärker zu empfinden. So erringe ich endlich, endlich ein Herz, das mich lieben will endlich! – um den Gedanken des Glücks nur einen Augenblick zu genießen, und um den wirkli chen Verlust tausendmal stärker zu empfinden! – Damit ich ein Gedicht machen kann, muß ich unsäglichen Schmerz erfahren. Denn wer nicht mit seinem Herzblut und seinen Tränen schreibt, den nennen sie keinen Dichter! Er versinkt in sich.


Die Generalin und Laura sind leise von links gekommen.


LAURA. Schiller!

SCHILLER. Laura! Er fliegt in die Höhe und auf sie zu, sie halten sich bei den Händen.

GENERALIN. Arme Kinder!

LAURA. Muß es denn sein, Schiller?

SCHILLER. Nein, nein, nein! Wir können uns nicht bloß gefunden haben, um uns sogleich und für immer zu verlieren!

GENERALEN wie segnend zwischen ihnen. Du weißt am besten, Fritz, daß man niemals verliert, was man einmal ins Herz geschlossen.

LAURA. Mutter! Ihr ans Herz sinkend.

SCHILLER. O traurige Weisheit! Was uns auf Erden versagt wird, das versetzen wir in den Himmel. Machen wir es besser. Holen wir vom Himmel herab, was uns die Erde versagt, verpflanzen wir's gewaltsam auf die Erde.

GENERALIN. Gewaltsam!

SCHILLER. Den Himmel, den wir erwarten, den können wir auch erschaffen. Freundin meiner Mutter, gib mir dein Kind zum Geleit auf die Flucht in die weite Welt hinaus. Ich will sie hüten[285] wie meinen Augapfel, ich will sie ehren wie meine Gottheit; denn Laura die Hand entgegenstreckend, welche diese begeistert ergreift. ich liebe sie, ich will für sie arbeiten sei's mit dem Spaten in der Hand, wenn meine Dichtung nicht gefällt und unsern Unterhalt nicht gewähren kann.

LAURA. Das sollst du nicht, Schiller.

GENERALIN. Nichts Gewaltsames, Fritz!

LAURA. Du sollst nicht erniedrigt werden um meinetwillen. Du sollst mich nicht überschätzen, ich bin ein unbedeutend Kind neben dir. Du sollst nicht gehindert werden in deiner Laufbahn durch – deine Laura. Geh, fliehe, rette dich jetzt und – sei meiner gewiß. Ich bin das kleine Blümchen, welches die Sonne augenblicks wiederfindet, sobald die Wolken zerstreut sind – du bist meine Sonne.


Kurze Pause.


KOCH aus der Tür rechts, er hat Schillers Mantel [zweiter Akt] umgenommen und hält seinen weißen in der Hand. Nimm meinen Mantel um, Schiller, zu größerer Sicherheit und folge mir, es ist Zeit. Rieger bedroht uns, wie ich gefürchtet. Er steht mit dem Hauptmann schon im Schloßhofe, sein gesatteltes Pferd und eine verschlossene Kutsche neben ihm. Die Kutsche soll dich auf den Asperg entführen. Die Sonne sinkt, und so wie sie hinter dem Jagdhause verschwindet, beginnt Riegers Kommando. Dann ist's vorbei mit uns; ich verliere jetzt schon das Vertrauen, weil ich gesehen, daß er die Reiterpatrouille bereit hält. Wenn er diese aussendet, dann werden wir sicher aufgegriffen; also rasch vorwärts! Wo ist das Fieskomanuskript?

GENERALIN. Mein Gott, wo bleibt Franzel – sie hat es übernommen, das Manuskript aus des Herzogs Zimmer zu holen – Eilt an die Tür links.

KOCH. O Weiber, Weiberzauderei! Sie wird's mir anstreichen, daß ich meinen Zopf voreilig abgeschnitten! – Ich eile der Gräfin entgegen und sende Nette, daß er den Wagen dort Nach links deutend. an die Ecke bestellt, daß er das Signal gibt und unsre Leute als Posten aufstellt bis hierher an den Wall. Dein Regiment bezieht jetzt schon die Wache am Ludwigsburger Tore. Jeder Grenadier desselben kennt dich, wir müssen also deshalb zum Eßlinger Tore hinaus – Gehend. nimm den Mantel um und sei bereit im äußersten Falle ohne Fiesko! Links durch die Tür ab.[286]

GENERALIN hat den weißen Mantel genommen und hängt ihn Schiller um. Im schlimmsten Falle, Fritz, senden wir dir das Manuskript. Verlasse dich auf mich, ich sorge dafür, müßt' ich's mit Gefahr meines Lebens stehlen.

SCHILLER. So sei es denn.

LAURA. O Gott!

SCHILLER. So sei es denn! So scheiden wir unter schwachem, ach so schwachem Hoffnungsschimmer. Wenn der Mensch im Schiffbruch alles verliert, so klammert er sich noch an die Hoffnung, an diesen Himmelsstrahl, als ob er an einem körperlosen Lichtstrahle sich festhalten und erretten könnte.


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 25, Leipzig 1908–09, S. 284-287.
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