Achte Szene.


[54] Gellert. Gottsched kommen sprechend zurück. Cato, dann Schladritz, dann Frau Gottsched und Bolza.


GELLERT. Starke Ausdrücke! Sehr starke Ausdrücke!

GOTTSCHED. Aber nötig, durchaus nötig. Im entscheidenden Augenblicke muß auch der Literatus zeigen, daß er eine hohe Stellung heldenmütig zu vertreten weiß.

SCHLADRITZ stürzt herein, überlaut. Die Preußen kommen, die Preußen kommen! Die Husaren sind schon da!

GOTTSCHED. Mensch, was untersteht Er sich?

GELLERT. Ach du mein Gott!

CATO. Das kommt ungelegen!


Auf Schladritz' lautes Sprechen gleichzeitig Frau Gottsched aus der ersten, Bolza aus der zweiten Tür rechts.


FRAU GOTTSCHED. Ist es wahr, Schladritz, mein Gott!

BOLZA. Wie ist es möglich? redet!

GOTTSCHED. Um's Himmels willen, Herr Graf, warum bleiben Sie nicht –?

GELLERT. Ein Graf?

CATO. Ein versteckter Graf![54]

GOTTSCHED zu Schladritz. Vorlauter Mensch, was untersteht Er sich?!

SCHLADRITZ schluckend und gestikulierend. Unterstehn oder Nichtunterstehn, hochgelehrtester Herr, jetzt heißt's im Dienst bestehn. Ich war bisher geachteter Diener des Hauses, ich muß dafür sorgen, solang' ich die Livree des Hauses trage, daß dies Haus nicht vom Feinde überrumpelt werde, und – der Feind steht vor der Türe!

GOTTSCHED, GELLERT, FRAU GOTTSCHED UND CATO. Vor der Türe?

FRAU GOTTSCHED zu Bolza. Verbergen Sie sich!

SCHLADRITZ. Das heißt, wie der Herr Professor zu sagen pflegt, bildlich gesprochen steht er vor der Türe. –

GOTTSCHED. Was weißt du, unglückliches Wesen, rede zusammenhängend!

SCHLADRITZ. Das Wesen soll also reden? Bin also nicht aus dem Hause gejagt? Ich danke Ihnen, Herr Professor der Beredsamkeit! Will ihm die Hand küssen.

GOTTSCHED. Laß Er mich in Ruh! Der Mensch ist entsetzlich!

FRAU GOTTSCHED. Erzählt, erzählt, Schladritz!

GELLERT. Erzählt, mein Lieber!

BOLZA. Erzählt!

SCHLADRITZ. Erzählen, ja – ich werd's versuchen. Sehen Sie, der Türmer drüben auf dem Nikolaiturme das ist mein Vetter Allgemeines Zeichen der Ungeduld. – na, warten Sie nur! Eins nach dem andern, 's kommt schon! Mein Vetter, der Türmer, hat ein Töchterchen, das ich gern verheuraten möchte, wenn sie nur nicht eine schiefe Schulter hätte, Neuer Ausbruch von Ungeduld. bloß schief! 's ist eine Verleumdung, wenn man sie bucklig nennt –

GOTTSCHED. Mensch, rede!

FRAU GOTTSCHED. Weiter, weiter!

BOLZA. Rasch, rasch!

CATO. Vorwärts!

SCHLADRITZ. Ich rede ja – und Er da Zu Cato. mischt sich gar nicht 'rein, Er gehört gar nicht ins Haus! Jetzt zeigt sich's, was ein ordentlicher Diener ist und Konnexionen hat. Gottsched stampft mit dem Fuße. Ja, kurz, Herr Professor! Meine schiefe Muhme also –[55] schief ist sie allerdings – muß mir bei der gottlosen Soldatenzeit alle Tage Rapport bringen, was sich etwa in der Umgegend sehen lasse, damit man sich als ordentlicher Diener mit den silbernen Löffeln und gutem Geschirr danach richten und es doppelt verschließen kann, sobald's spukt. Nun, meine Herrschaften, jetzt spukt's aber, und wie. Allgemeine Spannung. Eben ist meine Muhme gekommen: das Wetter ist klar, sie können da oben bis in die Ewigkeit sehn, und was haben sie gesehn?

GOTTSCHED. Was?

GELLERT. Nun?

FRAU GOTTSCHED. Nun?

CATO. Was?

SCHLADRITZ. Was? Nichts –

ALLE. Nichts?

GOTTSCHED. Einfältiger Mensch!

SCHLADRITZ. So warten Sie doch mit dem Titel! Nichts – als Himmel und Husaren haben sie gesehn.

ALLE. Husaren!

BOLZA. Preußische?

SCHLADRITZ. Freilich! Die Zietenschen Bärmützen erkennt man auf eine Meile Wegs, und die ersten sind schon auf dem Thonberge gewesen, und über Wachau, über Liebertwolkwitz, über Borsdorf sogar, überall blitzt es von Reitern. –

GOTTSCHED. Das ist die Flucht, die große Retirade!

BOLZA für sich. Sollte die mit Reiterei beginnen?

CATO. Schwerlich.

FRAU GOTTSCHED. Was tun?

GOTTSCHED. Nichts verändern! Das ist ein Platzregen auf vierundzwanzig Stunden, und dann ist alles vorbei! Sie werden eilen weiterzukommen. Seien wir tüchtig, handeln wir! Er da Zu Cato. wie heißt Er?

CATO in Gedanken. Ich? – Ja so! – Wie Sie befehlen, Herr Professor!

GOTTSCHED. Was?

CATO. Mein Familienname ist vorderhand untergegangen, und ich habe mir einstweilen einen römischen beigelegt, der mich in einem wunderschönen Trauerspiele begeistert hat – alleweile heiß' ich Cato, wenn der Herr Professor es erlauben![56]

GOTTSCHED. Cato! Sieh' da Zu seiner Frau. Viktoria, man dringt ins Volk mit Trauerspielen! Also Cato? Ein Bedienter darf aber nicht Cato heißen; später mehr davon – jetzt eile Er da hinein Auf sein Zimmer zeigend. im Wandschrank links hängt eine neue Livree des Hauses Gottsched, die lege Er an, und in ihr – Feierlich. schreite Er aufs Rathaus und übergebe dem Herrn Bürgermeister diese Schrift, die Protestation der Fakultät, redigiert vom Senior der Fakultät, Professor Gottsched.

CATO verbeugt sich. Kurze Pause.

FRAU GOTTSCHED. Gottsched! In solchem gefährlichen Augenblick!

GELLERT. Es wäre doch wohl ratsamer –

GOTTSCHED. Jetzt oder nie!

SCHLADRITZ schon während der Belehnung Catos in großer Aufregung, tritt außer sich vor. Nie! – Die Livree im Wandschranke ist mein!

GOTTSCHED. Ist Er verrückt?


Klingeln zum Fallen des Vorhanges.


SCHLADRITZ. Ja! Ich kämpfe für mein Bedientenrecht! Er kann die Livree auch gar nicht anziehen, sie ist Ihm viel zu kurz!


Der Vorhang fällt.


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 25, Leipzig 1908–09, S. 54-57.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gottsched und Gellert
Gottsched Und Gellert: Charakter-Lustpiel in Fünf Akten (German Edition)

Buchempfehlung

Jean Paul

Die unsichtbare Loge. Eine Lebensbeschreibung

Die unsichtbare Loge. Eine Lebensbeschreibung

Der Held Gustav wird einer Reihe ungewöhnlicher Erziehungsmethoden ausgesetzt. Die ersten acht Jahre seines Lebens verbringt er unter der Erde in der Obhut eines herrnhutischen Erziehers. Danach verläuft er sich im Wald, wird aufgegriffen und musisch erzogen bis er schließlich im Kadettenhaus eine militärische Ausbildung erhält und an einem Fürstenhof landet.

358 Seiten, 14.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon