Erste Szene.


[78] Frau Gottsched. Gellert. Gräfin. Gottsched. Wilhelmine. Bolza. Cato. Katharina. Schladritz.

Man steht eben vom Tische auf und sagt gegenseitig:


Gesegnete Mahlzeit! – Wünsche ergebenst gesegnete Mahlzeit!


Die Herren haben noch die Servietten umgesteckt. Cato hält die erste Tür rechts offen, durch welche die Gräfin mit Wilhelmine abzugehen Anstalt macht und dann abgeht.[78]


GRÄFIN. Darf ich bitten, Herr Graf von Bolza, mir einige Minuten zu schenken!

BOLZA für sich. Mein Gott, eben jetzt in solcher Not!

FRAU GOTTSCHED darauf hin sehend und hörend, für sich. 's ist ganz richtig!

BOLZA verbeugt sich gegen die Gräfin, reicht ihr die Hand und führt sie hinein.

WILHELMINE folgend, sagt an der Tür zu Cato leise. Komm mit hinein, Fritz!

CATO leise. Nicht doch! Ich kann ja nicht!


Wilhelmine ab.


GOTTSCHED sich auf den Sessel werfend. Welch eine Qual, in solcher gegründeten Spannung Tafel halten und Konversation machen zu müssen, weil die vornehme Dame keine Rücksicht nimmt auf unsere Gemütsverfassung und Not! Den Dienern zurufend. Die Serviette!

SCHLADRITZ stürzt herbei. Zu Befehl! Und löst die Stecknadeln, welche die Serviette halten. Gottsched sieht ihn dabei grimmig an, so daß er einen Moment zurückfährt, als habe er sich gestochen.

KATHARINA leistet unterdes denselben Dienst Gellert, und schneller fertigwerdend, sagt sie am Schluß. Ihre Dienerin, Herr Professor! Cato geht sacht hinten hinaus.


GOTTSCHED zu Schladritz. So lange in meinem Dienst, und weiß noch nicht, daß einer Reichsgräfin kein Meißner Wein vorzusetzen ist!

SCHLADRITZ. Aber erste Qualität –!

GOTTSCHED aufstehend. Fort! – Hinweg mit der Tafel und abräumen, und dann mit der Jungemagd aus dem Zimmer!

SCHLADRITZ prallt zurück. Auf der Stelle! Er faßt mit Katharina den Tisch und trägt ihn hinten an die alte Stelle an der Wand, ihn dort hastig abräumend mit Katharina.

GOTTSCHED winkt seiner Frau und Gellert und tritt zwischen ihnen mitten in den Vordergrund, sich umsehend wegen der Dienstboten und deshalb halblaut. Es muß gehandelt werden!

GELLERT. Jawohl!

FRAU GOTTSCHED. Aber wie?

GOTTSCHED. Der Schreck wegen des Grafen Bolza war also, wie wir gesehn, nur ein blinder Schuß und nicht gefährlich. Die[79] Katharine hat ihn nur eben erkannt, aber es steckt doch von außen nichts dahinter, wie wir anfangs glaubten. Die Preußen wissen noch nichts von seiner Anwesenheit, und die Ankündigung des Wachtmeisters mit dem sogenannten Pikett war eine Prahlerei des Frauenzimmers, so beim Regiment wohl gehört hat, der General wolle mir gern aus Kleid. Es erschreckte uns nur so, weil es mit der fatalen Erkennung Bolzas zusammentraf, während der etwaige Besuch des Wachtmeisters nichts weiter sein wird, als ein Besuch bei seinem Schatze. Die Gefahr mit Bolza aber bleibt bestehn, und die nächste Aufgabe ist also Sich umsehend. daß wir die drei Leute Mit dem Finger über die Schulter nach hinten weisend. vornehmen und aufs Feierlichste verpflichten, nur einen Grafen Balthasar zu kennen, nicht wahr?

FRAU GOTTSCHED. Jawohl!

GELLERT. Ja ja, aber –

GOTTSCHED. Aber, freilich aber! 's ist bös genug, daß ein bedrohliches Geheimnis drei Mitwisser hat und zwar Dienstleute, und darunter einen Bengel, den ich aus dem Hause jagen will, und den ich nun schonen muß. Aber steht das jetzt zu ändern? Antwort: Nein! Die Antwort führt zur zweiten Sorge. Diese heißt: Graf Bolza muß nun aus diesem Hause!

GELLERT. Wohl wahr!

FRAU GOTTSCHED. In diesem Augenblicke, da seine Feinde die ganze Stadt anfüllen!

GOTTSCHED. Kannst du dich auf den vorlauten Schwätzer, den Schladritz, verlassen, auch wenn er Stillschweigen gelobt hat? Kennen wir diesen so befremdlichen Cato? Willst du für diese Katharine stehn, welche mit den Kürassieren verkehrt, he?

FRAU GOTTSCHED. Alles richtig –

GELLERT. Und 's ist noch mehr!

FRAU GOTTSCHED. Warum hörtest du heute morgen nicht auf mich! –

GOTTSCHED. Heute morgen! Jetzt ist's heute mittag! Heut' morgen standen die Sachen anders!

FRAU GOTTSCHED. Aber wo soll er hin?

GOTTSCHED. Das wollen wir eben überlegen; zu nächst aber erst Numero Eins ausführen. Zurücksehend und gehend, laut. Schladritz! Katharina! Cato!

SCHLADRITZ. Hier, Herr Professor![80]

KATHARINA. Hier, Herr Professor!

GOTTSCHED. Wo ist der Cato?

CATO eintretend. Hier, Herr Professor!

GOTTSCHED. Tretet alle drei hierher Auf die rechte Seite deutend. und hört mit Bedacht, und antwortet mit Bedacht!

SCHLADRITZ. Wir hören mit Bedacht!

KATHARINA. Wir hören mit Bedacht!

CATO. Wir hören mit Bedacht!

GOTTSCHED nimmt sich einen Stuhl und setzt sich in die Mitte des Theaters. Gellert und Frau Gottsched bleiben zur Linken. Paßt auf! Ihr kennt den Grafen Bolza nicht!

SCHLADRITZ. Ja, wir kennen ihn.

KATHARINA. Ja, wir kennen ihn!

GOTTSCHED ungeduldig. Ihr kennt ihn also nicht mehr!

SCHLADRITZ. Freilich kennen wir ihn noch!

KATHARINA. Warum denn nicht?

SCHLADRITZ. Wir haben ihn ja eben erst kennen gelernt; so schnell vergessen wir unsre Bekanntschaften nicht.

GOTTSCHED. Schweigen soll Er und hören!

SCHLADRITZ. Ja – wir sollen aber auch antworten – mit Bedacht!

GOTTSCHED. Also bedenk' Er sich! Das heißt mit Bedacht! – Graf Bolza ist ein sehr vornehmer Herr, den die Feinde dieses Landes gern beschädigen möchten.

SCHLADRITZ halblaut. Beschädigen?

GOTTSCHED sieht ihn strafend an, Schladritz tritt einen halben Schritt zurück. Diese Feinde dürfen also durchaus nicht wissen, daß er hier sei, versteht ihr? Und damit es die Feinde nicht wissen, darf es kein Mensch wissen, versteht ihr?

SCHLADRITZ greift sich an den Kopf, als mache ihm das Verständnis Schwierigkeit.

GOTTSCHED. Er versteht wohl noch nicht?

SCHLADRITZ. Nur zu, Herr Professor, nur zu!

GOTTSCHED. Ihr also alle dürft durchaus nicht mehr wissen, wer der Graf Bolza sei, und daß jener Auf die Tür deutend. Graf Bolza heiße –

SCHLADRITZ. Das wissen wir ja aber!

GOTTSCHED aufspringend. Dummkopf! Trägt seinen Stuhl links auf[81] die Seite, so daß er nicht sieht, wie Schladritz ihm ein Schnippchen schlägt, als habe er ihn bloß zum besten.

GELLERT. Das ist schon recht, aber Ihr sollt's niemand –

SCHLADRITZ. Niemand sagen! – Ja, das ist was andres!

GOTTSCHED. Nun denn – jetzt sammelt all' eure Aufmerksamkeit, ihr guten Leute, und versprecht mir dies feierlich mit erhobener rechter Hand Sie heben die Hände auf. feierlich; denn es kann ein Menschenleben auf dem Spiele stehn, versprecht ihr's?

KATHARINA. Wir versprechen's!

CATO. Wir versprechen's!

SCHLADRITZ. Wir versprechen's – feierlich!

GOTTSCHED. Der Herr da heißt Graf Balthasar, und nur wenn er gesehen wird, sonst aber und überhaupt existiert er gar nicht!

SCHLADRITZ. Überhaupt?

GOTTSCHED. Will Er?!

SCHLADRITZ. Ja ja, 's ist schon recht, nur etwas hoch.

GOTTSCHED. Jetzt, Schladritz, verriegle Er die Vorsaaltür, daß uns niemand überraschen kann!

FRAU GOTTSCHED. Verriegeln?

GELLERT. Verriegeln?

SCHLADRITZ. Am hellen Tage?

GOTTSCHED. Nur für eine Viertelstunde, auf daß wir ungestört unsre Vorbereitungen wegen des Grafen treffen können.

SCHLADRITZ. Aber wenn jemand klingelt?

GOTTSCHED. So ist niemand zu Hause.

SCHLADRITZ. Aber wenn man uns hört?

GOTTSCHED. Mensch, man soll Euch nicht hören! Ihr eßt Eure Mahlzeit in der Küche unter vollständigem Stillschweigen und erwartet meine weiteren Befehle, marsch!


Cato und Katharina ab.


SCHLADRITZ abgehend, aber an der Tür umkehrend. Aber wenn's mehrmals klingelt, Herr Professor?

GOTTSCHED. Einerlei, ihr seid taub!

SCHLADRITZ. Taub. Gehend und wieder umkehrend. Auch wenn die Kürassiere kommen mit blanken Säbeln, und den Herrn Grafen Bolza, welcher nicht existiert, das heißt den Herrn Grafen Balthasar suchen –?

GOTTSCHED. Zuriegeln![82]

SCHLADRITZ. Der Wachtmeister Siegmund hat doch vorhin im Vorbeireiten der Katharina zugerufen, er werde bald hier sein! Die letzten Worte rasch und mit erhobener Stimme, da er sieht, Gottsched wolle ihn unterbrechen.

GOTTSCHED. Zuriegeln, Mensch!

SCHLADRITZ. Gut. Ab.


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 25, Leipzig 1908–09, S. 78-83.
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