Zweite Szene.


[83] Gottsched. Gellert. Frau Gottsched.


GOTTSCHED einen Stuhl nehmend und in die Mitte setzend. Der Kopf möcht' einem zerspringen! Die andern nehmen ebenfalls Stühle und setzen sich links und rechts neben ihn. Nun guter Rat! Polternd. Es muß gehandelt werden! Herr Professor! Wohin zuerst mit dem Grafen? Können Sie ihn unterbringen?

GELLERT. Ich?!

GOTTSCHED. Nun ja, Sie! Sie lassen sich ja gern den Vater der Bedrängten nennen, und hier in meinem Hause ist er bedrängter als anderswo, das sehen Sie ja selbst!

GELLERT. Das ist wahr. Und was mehr als alles ist: die Untersuchung wegen unserer Protestation und das Verfahren gegen dieselbe wird wohl noch heute seinen Anfang nehmen.

GOTTSCHED. Meinen Sie?

FRAU GOTTSCHED. Glauben Sie wirklich?

GELLERT. General Seydlitz ist von raschen, schneidenden Entschlüssen. Diese Untersuchung und dies Verfahren werden zunächst vorzugsweise gegen dies Haus gerichtet werden; denn Sie stehen als berühmter Lehrer und als Senior der Fakultät an der Spitze der Protestation, und der General erfährt gewiß, daß sie namentlich von Ihnen ausgegangen ist. –

FRAU GOTTSCHED. Sie haben recht!

GOTTSCHED. Leider, leider!

GELLERT. So wie ich diese Kriegsleute kenne, werden sie die Wahrung unsrer Rechte als einen Hochverrat zu stempeln suchen; denn das ist so Art der Gebietenden: sie schieben große Worte vor, wenn sie große Lust zu strafen und nur kleine Vorwände haben. – Jedenfalls errichten sie ein Kriegsgericht, und das macht kurzen Prozeß![83]

FRAU GOTTSCHED. Mein Gott!

GOTTSCHED. Übertreiben Sie, Kollege?

GELLERT. Ich glaube nicht. Ich bin zwar ein hypochondrischer Mann, aber ich denke nicht, daß ich mich hierbei irre. Urteilen Sie selbst, Sie kennen ja die Sache so gut wie ich und verstehen ja Politik viel besser als ich. Nun, wenn die Sachen vor ein Kriegsgericht gezogen, und der Dekan als Haupt der Angeklagten behandelt wird, so wird auch dies Haus besetzt und visitiert von oben bis unten, weil man Vorbereitungen zu der Protestation, Protokolle, weitere Pläne finden, oder doch voraussetzen will.

GOTTSCHED. Sehr richtig, nur zu richtig!

FRAU GOTTSCHED. Erschrecklich!

GELLERT. Zu dieser Haussuchung haben sie auch noch einen besonderen Vorwand. Diesen bietet jene Flugschrift, auf deren Verfasser sie fahnden! Wir haben ebenfalls protestiert!

GOTTSCHED. Leider, leider, dafür war ich gar nicht!

GELLERT. Ich aber war und bin für diesen Protest. Die Akademie und die Literatur soll nicht eine Anstalt der Inquisition werden. Unsre Aufgabe besteht darin: zu bilden und zu schaffen, nicht aber darin: zu spionieren und zu verbieten. Nun, hierbei werden die Kriegsleute unsern Protest so auslegen, als kennten und schützten wir den Verfasser der Flugschrift und die Flugschrift, und nach ihm und ihr werden sie unsre Häuser durchsuchen. Graf Bolza ist also hier keine Viertelstunde mehr sicher!


Aufstehend mit den Übrigen.


GOTTSCHED. Also muß er zu Ihnen!

FRAU GOTTSCHED. Nehmen Sie sich seiner an, lieber Gellert!

GELLERT. Zu mir? Ich? – Welch eine Lage! – Macht ihnen das Zeichen, sich wieder zu setzen. Erhalten wir uns nur in ruhiger Stimmung, damit wir einen wirklich besonnenen Rat ausfindig machen. Sie setzen sich. Zu mir?! Glauben Sie denn, daß ich und meine Wohnung verschont bleiben werden? Ich habe ja auch unterschrieben!

FRAU GOTTSCHED. Aber Sie sind geliebt wie sonst keiner an der Universität, geliebt von Freund und Feind, Ihnen gegenüber wird man alle Rücksicht und Schicklichkeit beobachten!

GOTTSCHED. Wenn ich auch das nicht sagen möchte, unter den vorliegenden Umständen sind Sie doch gegen uns alle im Vorteile.[84] Prinz Heinrich kommandiert ja jetzt in Sachsen, von ihm muß doch in all' diesen Dingen die letzte Entscheidung ausgehn, und jedermann weiß ja, daß just Prinz Heinrich Ihr wohlwollender Gönner ist.

GELLERT. Lieber Herr Professor, täuschen wir uns hierüber nicht! Was fragt man denn im Tumulte nach ein paar kleinen Erzählungen, welche einem großen Herrn einst in einer Mußestunde gefallen haben! Der Prinz hat sich, wie das auch ganz in der Ordnung ist, um meine Person nie gekümmert, und von der uns jetzt bedrohenden Prozedur wird er vielleicht erst erfahren, wenn sie uns bereits zugrunde gerichtet hat! Das sind Nebensachen! Die Hauptsache ist: Erstens! Der Graf Bolza hat als verhaßter Italiener das Schlimmste zu befahren. Sein Vater wird beschuldigt, sächsisches Geld in Masse eingesaugt zu haben. Er selbst wird beschuldigt, es als verborgener Parteigänger mit den Kaiserlichen zu halten. Es kann kommen, daß man, sobald man seiner habhaft, ohne weiteres Standrecht über ihn halten und ihn erschießen läßt! – Denn – und dies bedenken Sie wohl! – hierbei macht man sich auch bei uns Sachsen beliebt, daß man einen der uns verhaßten ausländischen Geldsauger kurzweg beseitigt. Zweitens! Unter solchen Umständen setzt sich derjenige, welcher den Grafen Bolza birgt, allem möglichen aus. Hier heißt's: Der Hehler ist wie der Stehler! Du hast einen Landesfeind geborgen, bist also selbst ein Landesfeind! Du willst ein guter Sachse sein, und schützest unsere schlimmsten Wucherer?! So leide mit ihm! Ist's nicht so? – Endlich bin ich persönlich als Patriot diesen ausländischen gefährlichen Zugvögeln durchaus abhold, und bin ganz und gar nicht geneigt, einem von ihnen die Hand zu bieten! Er ist nährend der letzten Worte aufgestanden und vorwärts zur Seite getreten; die andern bleiben betroffen sitzen.


Pause.


FRAU GOTTSCHED. Ich weiß das nicht zu beurteilen, lieber Gellert, aber ich weiß, daß dies alles nur aus Ihrem Kopfe kommt. In Ihrem Herzen sieht es doch anders aus; Sie wären ja sonst nicht Gellert! In Ihrem Herzen da gibt's keinen Unterschied, wenn von einem Bedrängten die Rede ist, welchem geholfen werden soll! Nicht wahr, ich habe Recht? Sie ist leise aufgestanden und auf ihn zugegangen, ihn bei der Hand ergreifend. Und ich weiß auch, es müßte gar wunderlich zugehn, wenn Sie um Politik Ihrem Herzen untreu werden sollten! Sie sind ja der Gellert, den der liebe Gott unserer[85] Stadt Leipzig gesendet hat als seinen Schutzengel für Leipzig, nicht wahr?


Kurze Pause.


GELLERT sieht sie nur einen Augenblick an. Sie übertreiben ja sündhaft, liebe, gute Frau! Und – Sie hastig zurückführend zum Sessel. bleiben Sie nur sitzen, damit wir zu einem Beschlusse kommen! Sie setzen sich beide wieder. Guter Rat ist teuer, weil er so nötig. Wenn ich auch sagen wollte, der Graf sollte vorläufig zu mir flüchten, wie bringen wir ihn jetzt über die Straße? Und wird er bei mir sichrer sein?!

FRAU GOTTSCHED. Gewiß, doch bis zur Nacht, und bis dahin finden wir vielleicht einen neuen Schlupfwinkel. Hier aber kann er ja doch jede Minute von seinen Feinden überrascht werden.


Man hört einen starken Klingelzug hinter der Hinterwand. Alle drei fahren auf von ihren Sitzen, ohne ein Wort zu sprechen.


GOTTSCHED halblaut. Da sind die Feinde!

GELLERT ebenso. Fassung!

GOTTSCHED setzt leise seinen Stuhl links rückwärts, wie Frau Gottsched mit dem ihrigen ebenfalls tut. Sie bleiben beide auf der linken Seite und blicken nach der Tür. Gellert tut desgleichen nach rechts hinüber, so daß die Mitte frei wird.


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 25, Leipzig 1908–09, S. 83-86.
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