Vierte Szene.


[108] Schladritz. Katharina. Die Vorigen.


FRAU GOTTSCHED hat, sobald Gottsched gedankt, das Glas mit dem Teller rechts hinüber auf den Schreibtisch getragen. Als sie dies eben getan, sieht sie den weißen Mantel rasch ins Zimmer hereineilen und ruft erschreckt. Ach mein Gott!

ALLE kehren sich um, Wilhelmine steht auf. Was ist?

SCHLADRITZ ganz und gar in den Mantel gehüllt, Hut auf dem Kopfe, nimmt jetzt den Hut ab und sagt. Herr Je, 's ist hier so duster!

FRAU GOTTSCHED. Der Schladritz!?

GOTTSCHED. Schladritz!

CATO. Schladritz!

GELLERT. Schladritz!

FRAU GOTTSCHED. In welchem Aufzuge läuft Er denn daher?

SCHLADRITZ. 's regnet draußen, Frau Professorin!

FRAU GOTTSCHED zu Katharina, die hinter Schladritz eingetreten ist und jetzt neben ihm steht. Und du kommst auch, und das Haus laßt Ihr ganz allein?

KATHARINA. Sei'n Sie nicht böse, Frau Professern, wir haben alles fest zugeschlossen; aber wir hielten's nicht mehr aus, wir fürchteten uns zu Tode!

SCHLADRITZ. Ja, 's ist gar zu schauerlich!

GOTTSCHED. Ist denn schon wieder was vorgefallen?

SCHLADRITZ. Nein, aber eben weil's jetzt so still ist, wurde uns so grauslich zumute! Schüttelt sich.

KATHARINA. Heißt das: vorgefallen war schon alles. Die jungen Herrschaften hier Cato und Wilhelmine meinend. waren kaum fort, da kam das Pikett, um Sie zu holen, und das marschierte durch alle Zimmer.

SCHLADRITZ. Auch vor die erbrochene kleine Saaltür, vor die Bresche –

KATHARINA. Und gesprochen wurde gar nichts, und das ängstigt einen so!

SCHLADRITZ. Ja, und das eine Wort, das sie fallen ließen, das[108] fuhr uns in alle Glieder. »Neun Stück Delinquenten!« sagten sie, und weiter nichts und gingen fort und nahmen auch die Trompeter mit, und nun war alles mausestill und so recht gespensterhaft, und ganz leise addierten wir zusammen, die Kathrine und ich –

KATHARINA. Ja, wir addierten die neun Stück, der Schladritz und ich, und da kam denn immer 'raus, daß wir auch dabei wären –

SCHLADRITZ. Wir zwei beiden nämlich, und da packte uns die Angst, und wir rissen aus!

KATHARINA. Und um nichts Gefährliches im Hause zu lassen, nahmen wir auch fix den verdächtigen Mantel mit.

SCHLADRITZ. Weil's gerade regnete!

GOTTSCHED. Einfältige Leute, nun war ja eben nichts mehr zu fürchten!

SCHLADRITZ. Wir fürchten uns aber!

KATHARINA. Wir fürchten uns aber!

WILHELMINE. Und meine Mutter!

FRAU GOTTSCHED. Wenn jetzt die Frau Gräfin zurückkommt, so findet sie ja alles verschlossen und weiß nicht wohin!

SCHLADRITZ. Nicht doch! Wir sind vorne beim Bäcker durch, und haben's hinterlassen, daß alles hieher ist! Alle drücken ihr Erschrecken aus.

CATO. Aha! Die Adresse! Komm, Wilhelmine, der Mutter entgegen, die sonst noch verdrießlicher wird!

WILHELMINE zu ihm gehend, ihm den Arm gebend und sich zum Abgehn wendend. Jawohl!

GOTTSCHED. Basta! Ermannen wir uns überhaupt und bieten wir die Stirn! Keine Flucht mehr, sondern stolzer Widerstand!

GELLERT. Bravo!

CATO. Bravo!

FRAU GOTTSCHED. Bravo!

GELLERT. So ist es recht, Herr Professor! Unser Mut sei unser gutes Gewissen! Stehen wir ruhig, aber fest. Im Frieden wurzelt unser Beruf, in edler Bildung wurzelt unsre Kraft. Darauf müssen wir fußen. Man kann uns mißhandeln, aber man kann uns nicht erniedrigen, wenn wir unser moralisches Selbstgefühl nicht verlieren. Meine Freunde, dem edel gebildeten Menschen kann nichts Unedles widerfahren; denn das Roheste muß sich vor dem milden Blicke des guten Menschen verwandeln – dies sei unser Schild![109]

GOTTSCHED. So sei es!

CATO. So sei es! Geht nach hinten mit Wilhelminen.

FRAU GOTTSCHED Gottsched die Hand reichend zum Abgehn. So sei es!


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 25, Leipzig 1908–09, S. 108-110.
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