[116] Von der Schnure. Die Vorigen.
Er nähert sich unter Verbeugungen.
CHRISTINE. Das ist brav, Freiherr von der Schnure, daß Ihr Eure Königin ohne Krone nicht verlaßt –
SCHNURE. Schuldigkeit, Königliche Majestät, bloße Schuldigkeit – eine echte Königin kann nie und nirgends ohne Krone sein; sie kann selbige figürlich abtun, aber sie bleibt ihr realiter in Ewigkeit, denn sie ist zusammengeboren mit ihrem Wesen.
CHRISTINE. Zum Beispiele?
SCHNURE. Zum Beispiele: der Mond würde uns gar nicht mehr sichtbar von wegen Wolken und Nebel, er bleibt doch immer derselbe Mond mit seinem Scheine, und wie dick die Wolken seien, wir verspüren immer noch einige Dämmerung von ihm. Segeln wir nun auch ohne königliche Abzeichen in die weite Welt, tragen Eure Majestät auch eine von Höchstdero Geschlecht abweichende Tracht, führen Höchstdero auch den Namen eines Grafen Dohna, welches[116] Geschlecht hierdurch besonders geehrt wird, so bleibt doch die Krone hiervon unzerstört, wie befremdlich dies alles erscheinen mag, und es ist mein Amt, als Baron der Krone Euch zu folgen, ginge es selbst in die niedrigste Gesellschaft.
CHRISTINE. Ihr seid von altem Schlage, Schnure, und es tut mir leid, daß Ihr von den Formlosigkeiten gepeinigt werdet, denen mein Charakter und Schicksal oft ausgesetzt sein wird.
SCHNURE trocknet sich die Tränen mit dem Taschentuche. Allzu gnädig, Majestät, allzu gnädig! Meine Schuldigkeit! Haben Eure Majestät gestattet, daß Komtesse Brahe in Höchstdero Beisein rücksichtslos an der Erde liege –?
CHRISTINE. Rücksichtslos, ja, aber nicht an der Erde – auf dem Deck! Vor der Seekrankheit, Schnure, schwindet aller Unterschied.
SCHNURE. Er schwindet, wenn Eure Majestät es sagen.
CHRISTINE. Wie steht's mit Eurem Befinden, Schnure, bei dem unruhigen Meere?
SCHNURE. Gnädigster Nachfrage zur Antwort: nicht ganz ungestört, nicht ganz ungestört! Aber – in Gegenwart – Sich den Schweiz abtrocknend. – würde sich meine Zeitlichkeit nicht gestatten –
CHRISTINE lachend. Seekrank zu werden! – Braver Schnure, Ihr seid ein Ultra, ich muß Euch streng befehlen, daß Ihr nur einen Grafen Dohna auf dem Schiffe wißt, nach dem sich niemand richten darf –
SCHNURE verstört aussehend. Wenn Majestät – erlauben – Er verbeugt sich und geht nach dem Hinterdeck, nicht ohne Schwanken.
Starker Abendschein – dann dunkelt es.
BRAHE.
Der Abend, Königin, fällt feucht und kalt,
Das Meer spritzt hoch, wollt Ihr nicht lieber
Hinab in die Kajüte steigen?
CHRISTINE.
Ja, Brahe, nur noch einen Augenblick –
Man sieht ja Monaldeschi nicht, und Malström nicht?
Sieh, Brahe, sieh, wie schön und schauerlich
Der Mond emporsteigt aus der Wasserfläche –
Ob er, ein Auge Gottes, uns betrachtet?
Pause. Man hört einzelnes Schiffskommando und das Pfeifen des Hochbootsmannes. Dann wird es wieder still, und während die Königin und Brahe schweigen, singt der Matrose wieder.
»Die Woge ist grün, der Mond ist rot,[117]
Die Tiefe ist schwarz, bleich ist der Tod,
Je höher, je bleicher der Mond.«
CHRISTINE. Was der Mensch für entsetzliche Lieder hat – schauerlich, schauerlich! Die weite schwarze Fläche und wie drohend Feuer daraus auftauchend das große rote Gestirn! – Brahe, mich durchrieselt der Gedanke, man sei haltlos und verlassen in der Weltwüste, wenn man sich von Amt und Pflicht trenne, wenn man dreist und auf gut Glück seiner Liebhaberei nachjage – horch, die traurige Möwe singt schon wieder!
Matrose singt.
»Bau fest die Hütte, die du hast,
Der Vogel klammert sich an den Mast,
Wohl dem, der sicher wohnt!«
CHRISTINE aufstehend. »Wohl dem, der sicher wohnt!« Komm, Brahe, komm! Gehend.
BRAHE. Erlaubt, daß ich mein Kind mitnehme!
CHRISTINE vorwärtsgehend. Tu's.
SYLVA. Laß mich, Vater, laß mich! Die Luft tut mir wohl, ich fürchte mich vor da unten –
BRAHE. Aber du wirst frieren –
SYLVA. Deck' deinen Mantel über mich! Brahe tut's und folgt der Königin. Sie steigen hinab. Schnure, von hinten kommend, folgt ihnen. Santinelli bleibt noch eine Weile an der Treppe stehen, hüllt sich dann in den Mantel und duckt sich gegenüber von Sylva an Bord nieder. – Mondscheindämmer. – Pause. – Man hört nur einige Male Schiffskommando, Pfeifen und Wogenschläge.
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