Siebente Szene.


[56] Monaldeschi tritt leise ein und bleibt ruhig an der Tür stehen. – Santinelli sitzt in Gedanken. – Lange Pause.


SANTINELLI fährt plötzlich auf und zieht den Degen. Lebt da was?

MONALDESCHI zieht den seinen auch, und rührt sich sonst nicht. Wenn Ihr's erlaubt, so lebt hier was.

SANTINELLI. Ein Degen blitzt – wer seid, was wollt Ihr?

MONALDESCHI. Der Degen blitzt aus Gefälligkeit für den Euren, wie man grüßt, so dankt man – ich weiß nicht, was Ihr bei[56] Mondschein für Laune habt, und ein langer Degen ist immer ein guter Wetterableiter, wenn nichts Besseres.

SANTINELLI. Wer seid Ihr?

MONALDESCHI. Wenn Ihr nicht so oft fragt, kann ich Euch öftrer antworten. Kennt Ihr unsre Sprache nicht mehr? Ein Römer bin ich wie du.

SANTINELLI. Wie heißt du, was willst du?

MONALDESCHI. Was ich will? Was willst du? Dein Glück machen! Was ist Glück? Und das soll man jemand auf der Türschwelle sagen zwischen Guten Abend und der Degenspitze.

SANTINELLI. Steck' deinen Degen ein, Giulio! Ich erkenne dich an der Schwatzhaftigkeit.

MONALDESCHI. Steck' erst den deinen ein, ich erkannte dich eher, als du mich.

SANTINELLI tut's. Plagt dich der Teufel, mir doch nachzulaufen?

MONALDESCHI auch den seinen einsteckend und lachend vorkommend, indem er ihm die Hand bietet, die jener gleichgültig nimmt. Ich bin dir nicht nachgelaufen, du bist vor mir hergelaufen und hast mir die Wege gebahnt; ist das meine Schuld?

SANTINELLI. Du wolltest ja nach Frankreich?

MONALDESCHI. Es gefiel mir da nicht, es gibt da zuviel Prätentionen; Mazarin ist selbst abhängig, kann nur kleine Schritte machen, und ist ein Mann; nur zwischen unterschiedenen Geschlechtern kann ein überwältigender Einfluß eintreten – nun, wie weit hast du's gebracht? Bist du glücklich?

SANTINELLI mürrisch. Bah!

MONALDESCHI. Mürrisch wie immer! Du vergällst dir doch dein Leben recht, Francesco; von Jugend auf hast du dich mit Berechnung und Ärger und Haß umhergeschlagen und hast dir selbst keine Freude gegönnt.

SANTINELLI. Was geht's dich an? Trägst du meine Haut zu Grabe? Diese sogenannte Tugend, daß ihr immer um andre Menschen sorgt, ist eine lästige Lüge und eine lügenhafte Sitte: jedermann hat in Wahrheit nur mit sich zu tun. Mein Schicksal ist nur mein, wie mein Körper nur mein ist, meine Krankheit oder Gesundheit nur mein sind. Was wißt ihr davon? Was wollt ihr damit? Euer Geschwätz aufputzen. Ich habe dir damals in Rom gesagt: Geh nicht auf meiner Spur! Mir ist jeder Bekannte lästig,[57] er mir zum zweiten Male auf andern Bahnen begegnet. Er schleppt fremde Dinge herbei, und das kann beiderseitig nur stören, denn das Vergangene ist abgetan und ist fremd und ist eine störende Zumutung, mag sie sich Liebe, Freundschaft oder was weiß ich! nennen. Alles hat nur einmal seine Zeit, nur einmal seinen Weg. Was haben wir deshalb gemeinschaftlich, weil wir in Rom nebeneinander unsre Jugend verschleudert haben? Was?

MONALDESCHI sich setzend. Setze dich, Francesco, setze dich! Du sollst beruhigt werden. Erstens will ich nichts von dir. Santinelli setzt sich unter Zeichen von Mißmut. Zweitens mache ich dir mein Kompliment, wie deine sonst schweigsame Verschlossenheit rednerisch und flüssig geworden ist, fast philosophisch – das macht das fremde Land, die fremde Sprache, die fremde Umgebung; man wird dadurch genötigt, sich über sich selbst aufzuklären, man wird Philosoph.

SANTINELLI. Ich glaube, du bist töricht genug, Schmeichelei an mir zu versuchen – unverbesserlicher Fant!

MONALDESCHI. Unverbesserlicher Argwohn! Wer sagt dir denn daß ich dir gefallen will? Wer sagt dir denn, daß ich irgend etwas von dir will?

SANTINELLI. Auch wenn du nichts von mir willst, bist du mir im Wege.

MONALDESCHI. Das geht mir mit manchem Berge, mit manchem Steine gerade so: es steht dir ja frei, mich aus dem Wege zu räumen, wenn du's kannst. Ob ich dir's übelnehme, ist ja gleichgültig, da du mich nicht liebst; daß ich mich dagegen zur Wehr setzen werde, ist ja meine und nicht deine Sache. Du bekommst also mit mir nur eine Beschäftigung mehr, wenn sich unsere Wege kreuzen sollten, was ich noch nicht weiß. Du kannst dir ja dann diese Beschäftigung so interessant machen wie möglich, ich werde durch meinen abwechselnden und mannigfaltigen Widerstand dir dazu behilflich sein.

SANTINELLI. Interessant! Als ob ich ein solcher Geck wäre, mich ums Interessante zu bemühen!

MONALDESCHI. Ein solcher Geck bin ich zum Beispiele. Kümmert dich das nicht, nun so mach' dir etwas anderes aus mir zurecht, und schmäle nicht wie ein Kind, das von ein wenig Verdunkelung erschreckt wird und das schilt, wenn eine Wolke vor die Sonne tritt. Wehre dich gegen das, was er scheint, da du einmal nicht hindern gekonnt, daß es erscheine. Ich bin einmal da und verschwinde nicht[58] vor deiner ärgerlichen Gebärde – Kurze Pause. Aber um doch auch die andere Menschen zu reden, die nicht ganz nackte Egoisten sind – laß uns eine Verständigung suchen über unsere Zwecke! Vielleicht berühren sie sich nicht, vielleicht können wir gar einander unterstützen. Nenne mir den Kreis und Gang, in welchem du nicht gestört sein willst, und ich will dir sagen, was ich suche.

SANTINELLI. Für wie alt hältst du mich?

MONALDESCHI. Wunderlicher Kauz! Glaubst du denn wirklich, daß ich nicht binnen vierundzwanzig Stunden von aller Welt erfahren kann, wonach du hier trachtest? Du bist ja in deiner Einseitigkeit und Bestimmtheit viel leichter ausgefunden als ich, der ich im einzelnen niemals nach Plan und Ziel handle, der ich dem Augenblick, der plötzlichen Eingebung, dem Naturell mich überlasse, und der ich nicht für die nächste Stunde bestimmen kann: dies wird mein Wille, dies meine Absicht sein.

SANTINELLI. Und doch willst du mit deinem Vertrauen das meine bezahlen? Du willst mir anvertrauen, was du selbst nicht weißt?

MONALDESCHI. Bravo! Du bist wirklich ein scharfsinniger Mann geworden, Santinelli! Wenn ich's auch im einzelnen nicht immer voraus weiß, was ich will und wollen werde, im ganzen und großen weiß ich es sehr wohl. Er hat halb nach den Fenstern zu gesessen, die auf den Säulenkorridor und da hindurch über den Hof sehen. Während der letzten Rede ist jenseits des Hofes in vielen Zimmern Licht erschienen, er bemerkt's und fragt rasch. Wer bewohnt die Zimmer, die da gegenüber eben erleuchtet schimmern?

SANTINELLI. Frag die Wache!

MONALDESCHI. Treib's doch nicht kindisch! Ich klingle deinem Diener und frage in deiner Gegenwart.

SANTINELLI. Welche Zudringlichkeit! Die Schlaf- und Arbeitszimmer der Königin sind's, wenn du etwa hineinlaufen willst wie in die meinigen.

MONALDESCHI der bis an die Tür gegangen war, setzt sich wieder. Deine Schwester läßt dich grüßen. Pause. Und nun zur Sache: Wo kannst und willst du mich einführen, hier in Stockholm?

SANTINELLI. Nirgends.

MONALDESCHI. Schön. Das heißt Lunge und Schuhsohlen schonen. Eine weitere Unterhaltung zwischen uns Aufstehend. ist also überflüssig,[59] da du eine so grobe Politik hast, dich als unzugänglichen Feind anzukündigen, und zwar nur wegen der Möglichkeit eines Vorteils, der mir werden, und der dir ungelegen sein könnte. Ich danke dir für eine Erleichterung, die ich vom Römer nicht erwartet hatte: ich war auf täuschende Bereitwilligkeit von dir gefaßt, und dagegen ist die Verteidigung viel schwerer, als gegen grobe Feindschaft. Sei versichert, daß der Egoismus, welcher keinerlei landsmannschaftliche Bekanntschaft, keinerlei Jugendbekanntschaft brauchen kann, der an keinerlei gemeinschaftlicher Erinnerung eine Freude, auch nur eine vorübergehende Freude hat, daß der Egoismus, wie du ihn zeigst, statt ihn zu verbergen, ein trauriges Kunststück ist, und traurig ausgeht. Denn, gesetzt auch, es gelänge dir, was du damit beabsichtigst – um welchen Preis gelingt es dir? Um den Preis es Lebensreizes, des Lebens also selber. Was hilft dir die Gunst einer Königin, wenn du sie damit erkaufst, daß du alles aufgibst, was sonst in der Welt ist? – daß du den Pulsschlag erstickst für Schwester und Freund, für Genossen und Heimat, kurz für alle menschliche Teilnahme? Willst du ein Land erobern, das ohne Menschen ist, ohne Baum und ohne Pflanzen? Gesetzt selbst, die um solchen Preis errungene Gunst der Königin sähe wie Liebe aus – sie kann ja nicht Liebe sein, nicht Liebe bleiben, denn du hast ja keine Liebe, du hast ja nichts zu bieten. Du bist eine Wüste, du hast ja keine Welt in dir, du hast ja nichts als einen einzigen egoistischen Gedanken. Du suchst Schätze und hast nicht soviel Raum als eine hohle Hand, um sie zu ergreifen und aufzubewahren. Du bist wie ein Rabe, der Kostbarkeiten stiehlt, und dem sie nichts helfen. Glaube mir, Santinelli, die beste Spekulation, der einträglichste Egoismus unter Menschen besteht darin, daß man seine eigne menschliche Empfänglichkeit so groß wie möglich mache, dann ist Gewinn und Reichtum wohlfeil.

SANTINELLI. Hast du noch viel zu sagen? Der große Eingang des Palastes ist geschlossen; um hinausgelassen zu werden, brauchst du die heutige Parole, sie heißt: Schweden bei Tag und Nacht!

MONALDESCHI. Ich danke dir. Diese Art, jemand die Tür zu weisen, ist mir freundlicher und nützlicher, als die Art deines Empfanges. Gute Nacht! wenn du's nicht übel nimmst, daß ich dir etwas wünsche. Ab.

SANTINELLI. Gute Nacht.


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 23, Leipzig 1908–09, S. 56-60.
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Monaldeschi
Monaldeschi: Tragödie in Fünf Acten Und Einem Vorspiele (German Edition)

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