Neunte Szene.


[61] Wohnzimmer der Königin, hinten mit großen, bis an den Fußboden gehenden Fenstern, von denen eins offen steht und auf einen Balkon führt.

Königin Christine kommt im Gespräch mit Graf Brahe. Der Hofstaat hinter ihr.


BRAHE. Ich kann es nicht beschwören, Majestät, aber ein ganzes Leben voll Beobachtung müßte trügen, wenn er nicht ein Blutsverwandter jenes Nebenzweigs der Sture wäre, der überall Verderben und Unheil angerichtet hat.

CHRISTINE. So alt, Graf, und so voll Aberglauben.

BRAHE. Je weniger positiver Glaube da ist, desto mehr Aberglaube; man braucht etwas.

CHRISTINE. So? – Wie sieht der Mann aus?

BRAHE. Nicht just absonderlich, auch nicht mehr ganz jung, aber mit jenem wunderbaren Blicke ausgerüstet, der seine Abstammung verrät. Außer bei jenem herumirrenden, unglücklichen Sture habe ich nie aus eines Menschen Auge solchen Blick strömen sehen: man weiß nicht zu sagen, ist die Farbe des Auges dunkel oder licht, aber[61] auf tiefem Grunde schimmert's wie eine auf und nieder steigende Flamme. Wenn man den Blick vermeidet, so fühlt man ihn auf sich lasten mit einem gespenstischen Drucke. Um nur diesem Drucke zu entgehn, sieht man schüchtern auf und sucht ihn, und läßt sich ergreifen wie von einer Zaubermacht, und gibt sich völlig auf, und fühlt sich halb ängstlich, halb entzückt im Banne einer dämonischen Kraft.

CHRISTINE. Und mit dieser ungewöhnlichen Gabe, die ja doch nur ein Zeichen mächtigen inneren Lebens ist, werden all solche Sture unglücklich?

BRAHE. Mein Vater, mein Großvater, mein Urgroßvater haben ein Tagebuch aufgezeichnet der merkwürdigsten Erscheinungen aus ihrer Zeit, und jeder hat ein auffallend tragisches Schicksal zu verzeichnen gehabt von einem dieser Halbsture, wie sie anfangs hießen, dieser Doppelsture. wie man sie später nannte, und ich selbst habe neben Erich gelebt, der aus Italien heim kam, dessen abenteuerliche Schicksale, dessen gewaltsamer Tod Ew. Majestät bekannt sind, und den man für den letzten Doppelsture gehalten hat.

CHRISTINE setzt sich. Ich erinnere mich dessen nur undeutlich; – die Katastrophe trat ja wohl ein, als mein Vater zum Kriege nach Deutschland abgegangen war?

BRAHE. Ja, Majestät.

CHRISTINE. Ihr müßt mir einmal den Roman dieses Mannes ausführlich erzählen; was ich davon weiß, interessiert mich sehr – er trat hier plötzlich als enthusiastischer Agent des Katholizismus auf, gegen den der König, mein Vater, und die Blüte des Landes eben in Krieg gezogen war –

BRAHE. Und er würde vielleicht als ebenso enthusiastischer Agent des Protestantismus aufgetreten sein, wenn Schweden für den Katholizismus das Schwert gezogen hätte, wenigstens hatte er just in Rom ein tolles und wildes Leben geführt; es ist das Schicksal dieser Doppelsture, immer das mit Leidenschaft aufzugreifen, was im Augenblick von aller Welt gering geachtet wird.

CHRISTINE aufstehend und zum Hofstaate sagend. Gute Nacht! Setzt sich wieder, da der Hofstaat abgegangen. Wißt Ihr denn auch, Graf Brahe, daß Ihr mit Eurer Ansicht über die Doppelsture einer Bluttheorie anhängt, die von der Philosophie immer bekämpft worden ist, und die den Menschen wie eine Tierrasse betrachtet? Vom Jagdhunde fällt der Jagdhund, vom türkischen Pferde das türkische Pferd![62]

BRAHE. Ich weiß es.

CHRISTINE. Und Ihr glaubt daran? Ihr glaubt an diese nicht bloß allgemeine, sondern ganz persönliche Erbsünde?

BRAHE. Und Erbtugend. Ich habe vor zehn Jahren, Majestät, zwei junge Burschen zu mir genommen. Sie waren beide Söhne von Jägersleuten aus mei nem Dienste, ich hatte die Väter dreißig Jahre um mich gesehn, ich hatte ihre Weiber, ihr Treiben und Tun, auch wie sie's in ihrem Forsthäuschen trieben, beobachtet. Der eine war streng, gewissenhaft, zuverlässig, beschränkt, pedantisch – der andere war leichtsinnig, unzuverlässig, aufgeweckt, zu allem verführbar, ein Taugenichts. Sie starben fast zu gleicher Zeit, von jedem nahm ich einen Sohn zu mir, jeder dieser Jungen war erst im fünften Jahre, also im wesentlichen noch unberührt vom Erziehungseindruck. Ich ließ sie vollkommen gleichmäßig unterrichten, ließ auf ihren Charakter ganz verschiedenartig einwirken: dem Sohne des Taugenichts ließ ich die Heiligkeit moralischer und bürgerlicher Gesetze, die Unerläßlichkeit ehrlichen Worthaltens, pünktlicher Treue einschärfen, dem Sohne des Pedanten wurde im Gegenteile alles dies leicht und bequem dargestellt und eigne, freie Ansicht wurde ihm empfohlen –

CHRISTINE. Jetzt sind sie fünfzehn Jahre –

BRAHE. Sie sind gebildeter, sind feiner als ihre Väter, aber der Sohn des Pedanten wird unaufhaltsam ein Pedant, der Sohn des Taugenichts rettungslos ein Taugenichts.

CHRISTINE. Das wäre ja schrecklich! Wir wären ja dann unverantwortliche Produkte, bloße Produkte wie Pflanze und Baum! Von der Lilie kommt bloß die Lilie, vom Kirschbaume bloß ein Kirschbaum, pfui doch, Brahe!

BRAHE. Nicht ganz so, aber fast! Ihr vergeßt die verschieden hinzutretenden Weiber.

CHRISTINE. Das heißt: wir können's bis zur Kreuzung der Tierrassen bringen –

BRAHE. Ihr vergeßt, daß das Schicksal der Pflanze bloß durch Witterung und Boden bestimmt wird, das Schicksal des Tiers auch nur geringer Veränderung ausgesetzt ist – dem Menschen aber kommen durch tausend Organe innerlicher Empfängnis tausend Einflüsse, die nicht zu berechnen sind.

CHRISTINE. Und doch werden Eure Jägerburschen nur eine[63] Wiederholung ihrer Väter, und doch ist ein Doppelsture wie der andere –

BRAHE. Das nicht –

CHRISTINE. Sondern? Ein Diener tritt auf und übergibt der Königin ein offenes Blatt – nachdem sie gelesen, verabschiedet sie den Diener mit einer Handbewegung. Militärische Übertreibung! Läßt die Wachen scharf laden, weil ein verdächtiger Mensch in den Schloßhöfen sei – eine arme Fledermaus, die in den Eingang geraten ist und den Ausgang nicht wieder finden kann. – Ja, nun wie steht es – apropos! wie steht es, Graf, mit der Verheiratung Eurer Tochter? Ihr wißt, daß ich sie nicht unnötig beeilt sehn möchte; so lieblich jungfräuliche Blume in meiner Umgebung erquickt mein Herz, und die Neigung zu Vetter Malström scheint mir noch nicht in Reife zu stehn, wie?

BRAHE. Eure Majestät mögen versichert sein, daß ich da nichts übereile; auch die echteste Neigung verliert an Kraft und Schönheit, wenn sie zu früh als bekannt vorausgesetzt, oder gar von außen zum Abschlusse getrieben wird. Alle Neigung ist weiblichen Geschlechtes und gedeiht nur, wenn sie Widerstand findet.

CHRISTINE. Als ob ihr Männer nicht ebenso wärt! Was euch in den Schoß fällt, das hat nur halben Preis. Alle Neigung ist überirdisch, halb Himmel, halb Hölle, ohne Hölle verliert sie den Reiz. Und glaubt Ihr denn, Brahe – Ihr habt ja solchen Dingen ein ganzes Leben lang zugesehn – glaubt Ihr zuverlässig, daß eine tiefe Neigung zwischen den beiden jungen Leuten obwalte?

BRAHE. Zuverlässig – wie wenig auch Sylva noch von ihrem eignen Herzen weiß. Gott gebe, daß meine Vererbungstheorie des Charakters übertrieben sei, sonst ständen dem Kinde von seiner enthusiastischen Mutter her noch Windstöße von Leidenschaft bevor, die selten ohne Schaden ablaufen.

CHRISTINE. Unverbesserlicher Theoretiker! Meine unschuldige, kindliche Sylva, und Windstöße von Leidenschaft! Ihr kommt auf törichte Dinge, mein lieber Brahe, mit Eurem Systeme – Sie nimmt ein kleines Kreuz ab, was sie um den Hals trägt, und gibt's ihm. Schenkt meinem Lieblinge dies kleine Kreuz von mir; Gott möge ihr Schönheit und glücklichen Sinn bewahren! Brahe verbeugt sich und küßt der Königin die Hand, dann betrachtet er nachdenklich das Kreuz.

CHRISTINE. Fürchtet Euch nicht, ein kleines Kreuz macht noch nicht katholisch. Behüt' Euch Gott, Graf Brahe! – Noch eins![64] Kennt jener Fremdling, dem Ihr wegen eines Blickes eine Verwandtschaft zuschreibt, kennt er hier in Stockholm jemand?

BRAHE. Ich weiß es nicht, Majestät.

CHRISTINE. Nun, ich hoffe, schon aus philosophischer Neugier werdet Ihr ihn kennen lernen und mir ihn später ohne Vorurteile schildern. Verbeugung des Grafen. – Schlaft wohl, Brahe! Brahe ab.


Quelle:
Heinrich Laube: Gesammelte Werke in fünfzig Bänden. Band 23, Leipzig 1908–09, S. 61-65.
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