11. Leopold an Valerius.

[112] Nach langer Zeit drücke ich Dir wieder einmal, die Hand, mein Liebwertester. Ich bin, seit wir in Warschau schieden, noch durch manches Lebensverhältnis neben Hippolyt leicht und ohne innere Gedanken, ohne Beachtung des geheimnisreichen, tief liegenden Menschen geschlüpft. Du weißt, Hippolyt schöpft seinen Geist und seine Welt nur aus einem sinnlichen Herzen. Hier hatte ich mich brouilliert und geriet nach St. Pelagie, ein artiger Aufenthalt, der Zerstreuung bietet und Einsamkeit, wie man's kann und mag. Es sitzen[112] Leute hier, die Millionen kommandieren und sich zur Bezahlung irgend einer Schuld nicht verpflichtet glauben, das Weltliche hat ja tausendfache Deutung. Es wird großer Aufwand gemacht, solange die Quellen fließen, man trinkt, singt, spielt, liebt, lacht, man zieht sich zurück in Beschaulichkeit und Ernst. Nach jenem ersten ist mir das zweite geworden, hier unter den fremd redenden Menschen ist mir die Identität Gottes und des menschlichen Gedankens aufgegangen, ich bin sehr glücklich und beruhigt in mir, still heiter, es weht ein Hauch des Himmels durch meinen Kopf, durch mein Herz. Valerius, Du wärst am ersten fähig und würdig, dieses Glückes auch teilhaftig zu werden, des Glückes, das ein Ineinanderleben des Geistes und Sinnes dieser Welt mit dem Geist und Sinne höherer Existenz bietet. Ich bin sehr glücklich, auch die Verse sind mir wieder gekommen, ich habe ein großes Gedicht in Komposition, wo die Gottheit säuselnd über eine Engelschar hinschwebt, die Engel wollen diesen ewigen Ton wiedergeben, um den Herrn der Heerscharen zu loben, jeder versucht's auf seine Weise, und so entsteht die Musik in ihrer verschiedenartigen Äußerung. Nun fliegen sie voneinander in alle Zeiten, in alle Länder, kehren ein bei diesem Menschen, bei jenem, schweben des Nachts über den Häuptern derselben und singen den Herrn; diese glücklichen Menschen sind dann vom nächsten Morgen an die großen Musiker, welche das träumerisch Vernommene zu fesseln suchen und der Welt überliefern. So verbreitet sich der Himmel, die verschiedenen Apostel verstehen oft selbst nicht die Sprache, welche sie reden, der Dichter nur deutet sie, und das tu' ich; jeder Walzer ist die Geschichte eines Menschen, der sich im leichten Sinne zum Ewigen durchschaukelt; die Symphonie ist schon der Versuch, sich einer ganzen Himmelsgegend zu bemächtigen, und der Schluß meines Gedichtes wird dann das große, letzte irdische Musikfest, das profane Menschen das Ende der Welt nennen, da löst sie[113] sich auf in verschwebende Harmonie, der Mensch wird Ton, die Sinnesrichtungen entwickeln sich als Tonarten, der vereinte große Herzschlag der Menschheit wird Takt, das allgemeine Aufgehen in die Gottheit wird Weltenchorus, jene unendliche, nur von den zartesten Gemütern geahnte Symphonie der Sphären.

Dies Land hat den Wein erfunden, um aus der irdischen Entzückung in die überirdische zu gelangen. Eine junge Gräfin aus der Champagne, Lilli heißt sie, versorgt mich mit Champagner. Wir lieben einander wie zwei Küsse, die sich unvermutet im Universums begegnen. Ich habe sie hier in St. Pelagie gefunden, wohin sie nach einer stillen Klause geflüchtet war, weil die Welt ihr Fallstricke legte, und ihre Revenuen unvermutet ausgeblieben waren. Wir haben geschwärmt und gedichtet und gerungen miteinander vom Aufgange bis zum Niedergange, es ist endlich still um uns geworden, der Priester hat seine Weihe über uns gesegnet, ein Verwandter hat die Schulden bezahlt, sie hat den Staub dieses Hauses von ihren Füßen geschüttelt, und ich erwarte jetzt täglich, daß sie auch mir die Palme des Ausgangs senden werde.


Später.


Es hat sich ein junger Mann an mich angeschlossen, der zu denen in Frankreich gehört, welche die unruhige, haltlose Welt wieder zu einem religiösen Mittelpunkte führen wollen. Er sagt, gerade die lebhaftesten Kinder der Welt müßten zuerst gewonnen sein, weil in ihnen die größte Bewegung, also auch die größte Empfänglichkeit herrschte; der neue Glaube müsse die Welt mit ihrem Sturm und Drange des sinnlichen Lebens nicht leugnen, sondern just auf den Fittichen derselben hindurchführen. Auch meine Frau hat er hier kennen gelernt und ihr sehr gut gefallen, er geht immer hellblau gekleidet, halb elegant, halb orientalisch, und in St. Pelagie hält er sich nur auf, um Proselyten zu machen;[114] Geld hat er hinreichend, da er einer großen wohlversehenen Gesellschaft angehört. Wenn ich nicht bald bereit würde, so hat er mir versprochen, mich aus seinen Mitteln zu lösen.


Später.


Der wackere Lichtblaue hat Wort gehalten. Wir sind sogleich zu Véry gegangen und haben gut gespeist, dann haben wir mein Manuskript in die Druckerei seiner Gesellschaft gebracht, dann bin ich nach meiner Frau ausgewesen. Jener Verwandte war bei ihr und wollte mich eine Zeitlang nicht ins Zimmer lassen – unsere Ehe ist noch ein Geheimnis. Lilli war sehr aufgeräumt, obwohl sie mir zu erzählen hatte, daß sie um ihre Güter in der Champagne betrogen sei. Sie hat keine Vorurteile und hat sogleich ihre Fähigkeiten und Kenntnisse in Kontribution gesetzt: sie tanzt und singt an einer scharmanten Bühne und gefällt sehr. Der Lichtblaue und ich, wir machen Proselyten unter dem Personal.


Später.


Lilli hat vollkommen recht: sie sagt, das Geld sei unter Liebenden eine Nebensache, aber wenn die Liebenden in der großen Welt lebten, so sei es keine Nebensache, und ich müßte mit meinen Talenten auch etwas verdienen. Sie hat mir mit ihrem Verwandten, welcher der vortrefflichste Pierrot von der Welt ist, Unterricht gegeben, und ich wirke jetzt schon ganz leidlich als kleiner Harlekin. Der Himmelblaue sagt, in dieser Weise könnte meine Einwirkung auf das Personal immer intimer werden. Meine Gage ist noch klein, aber der Direktor meint, wenn ich so fortstrebte, würde sie wachsen. Sobald mein Musikhimmel in Lettern steht, sende ich Dir ein Exemplar, die Druckerei scheint sehr langsam zu arbeiten. Ich lege Dir ein Rezept bei zu Cotelettes à la Dejanira, sie sind eine superbe Speise; denke dabei an mich. Adieu, millionen-, myriadenmal Adieu!

Quelle:
Heinrich Laube: Das junge Europa, in: Heinrich Laubes gesammelte Werke in fünfzig Bänden, 3 Bände, Band 3, Leipzig 1908, S. 112-115.
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