7. Valerius an Hippolyt.

[96] Ich bin nach Grünschloß gegangen; der Graf ist schwach und alt geworden, und er wußte nicht recht, ob er sich freuen oder verlegen sein sollte, da ich eintrat. Ach, wie verwüstet erscheint mir alles: der Park ist verwildert, das Gebäude wird schadhaft. Alberta hat einen gleichgültigen Edelmann geheiratet, bringt Kinder zur Welt und scheint für die gewöhnlichsten Dinge ihren früher so anmutigen Enthusiasmus zu versplittern. Ihre Schönheit soll sehr zusammengefallen sein, und daß ich Dir's nur gerad' heraussage, der alte Herr wird mitunter sogar etwas kindisch; seinen barocken Liebhabereien, denen wir früher gern einen elastischen, schwunghaften Geist unterlegten, muß doch in jeder Weise ein tüchtiger Mittelpunkt abgegangen sein. Dadurch wird jetzt auch zur[96] Faselei, was früher charakterspröde, interessante Kaprice war, und die Leute verlachen ihn – das ist doch falsch; jene Zeit mit ihrer Laune war doch in ihrer Art interessant, und der Bezug auf den Ausgang mit dem alten Herrn ist unrichtig. Ach die Welt, die Welt, was wirst sie alles durcheinander! Und das Leben in seiner schonungslos mähenden Weise, was ist es ernsthaft! Wie traurig erleb' ich's an mir selbst, auch im Verhältnis zu diesem Engel Kamilla, den ich vernichtet habe, ich mag sie noch so sehr für einen Engel halten. Sie ist nicht hier, sie ist aus der Welt verschwunden, kein Mensch weiß das geringste von ihr. Da sieh den Menschen ganz und gar, indem Du in mein Herz blickest: in der ersten traurigen Gefängniszeit hielt ich mich glücklich ganz und gar, wenn ich ein ganz kleines, stilles Leben mit Kamilla führen, ihr mit eitel Sorgfalt und Liebe danken könnte, was ihr Herz an mir getan – im Gefängnisse selbst verschwand dieses Bild schon völlig, ganz einsam in der Freiheit wünsch' ich doch jetzt nicht einmal, an ihrem Herzen getröstet zu sein, wenn auch nur für einen Augenblick. Ich möchte ihr Gutes und Liebes erweisen, aber nicht in der Weise, wie es der Liebhaber will – das nennt die Welt nichtswürdig, ach, die Welt! Wer klassifiziert die Gefühle, ohne zu lügen! Für die Rohen, für die Nichtdenkenden bewahrt eure Tabellen, das starke kräftige Individuum verschont damit, wenn ihr's nicht lähmen wollt.

Die Dankbarkeit ist eine Tugend der Gesinnung, ein Herz, das ihre Regung nicht empfindet, ist frevelhaft, wer sie im allgemeinen nicht verlangt, stellt die Menschen einander mit fletschenden Zähnen gegenüber. Die Dankbarkeit aber, wenn sie überall verlangt wird als fraglose Tat, ist eine Last, welche die Menschen und den Fortschritt zu Boden drückt. Die Größe kann fast niemals dankbar sein, und wenn die Liebe im Boden der Dankbarkeit groß gezogen werden soll, so wächst die Lüge oder die Mittelmäßigkeit auf.[97]

Auch Deine Briefe habe ich gefunden – Herr des Himmels, schicke mir endlich wieder einmal ein Menschenbild, an dem ich mich laben kann! Mensch, wenn Du nicht eine Welt erobern kannst, so wirst Du ein gemeiner Frevler, weil Du ganz undankbar, ganz rücksichtslos nur Deinen Gelüsten lebst. Du mußt ein Napoleon werden, oder man muß Dich totschlagen; nur das Außerordentlichste darf so frech, einseitig und egoistisch sein.

Der alte Herr hat mir heute einen Steckbrief gewiesen; mit Konstantins Tode geht es mir, wie ich Dir sagte. Er war sehr betreten, ob er mich verbergen dürfe – ich werde morgen in einen Wald gehen und mit einem Köhler Meiler brennen. Und ist die Welt nicht schwer?

Quelle:
Heinrich Laube: Das junge Europa, in: Heinrich Laubes gesammelte Werke in fünfzig Bänden, 3 Bände, Band 3, Leipzig 1908, S. 96-98.
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