14. Kamilla an Julia.

[85] Den 30. Juli.


Und Sie kommen nicht und kommen nicht, Sie Schlimme, und lassen uns immer vergebens warten. Wenn Sie noch[85] lange zögern, so werden Sie das Leben hier sehr verwirrt finden. Die Fäden gehen so zickzack ineinander hinein, daß ich wirklich nicht weiß, was für ein Muster aus dem Gespinst werden wird. Mit jenem Fremden, der mit Graf Fips ankam, ist ein gewaltiger Unruhstifter in unser Schloß gezogen. Er heißt Hippolyt und hat uns allen die Köpfe verrückt, und alles aus dem Gleise geworfen; unsere ruhig segelnde Flotte ist wie durch einen Sturm auseinandergeblasen, und hier irrt ein schwankendes Schiffchen, dort irrt eins. Sie sollten aber auch diesen Hippolyt sehen! Jeder Zoll ein Mann, ein moderner Herkules – ein strahlender Halbgott, sagt Alberta. Denken Sie sich einen hoch, kräftig und doch geschmeidig gewachsenen jungen Mann, der wie ein geborner König einhergeht. Ich äußerte unverhohlen gegen Valerius mein Erstaunen über die glänzende Erscheinung. Dieser stand mit verschränkten Armen im Fensterbogen, und sah lächelnd dem Aufruhr zu, den Hippolyt erregte. »Ich will Ihnen einen Brief mitteilen,« sagte er, »worin ich den Hippolyt einem Freunde schilderte, als ich ihn vor einiger Zeit in Straßburg zum ersten Male traf.« Er tat's, hier haben Sie einen Auszug davon.

»Ein Mädchen, wahrscheinlich eine leichte, über die Oberfläche hinflatternde Libelle beschäftigt aber meinen neuen Freund, der bisher saugend am tiefsten Borne der Menschheit lag, den des Wissens Trieb bis an die Mauern von Lahore gedrängt, der gebräunt von Luft und Sonne, erwärmt vom Feuer des Forschens wie ein Athlet erst vor kurzem nach Europa zurückkehrte. In Straßburg lernte ich ihn kennen, wo er in historische Studien versunken täglich auf der Plattform des Münsters zu finden war, eine Viertelstunde las, dann sinnend in die vor ihm wie eine Karte ausgebreitete Welt sah – die deutsche Dichtkunst, Goethe, Tieck, ging an ihm vorüber, er ahnte, bemerkte es kaum; die Kosmogonie, der Ursitz der Menschen, der Ursitz der Bildung beschäftigte[86] ihn. Du weißt, wie auch ich seit längerer Zeit nach den Fußtapfen der menschheitlichen Entwicklung jage, Heeren, Herder, Schlegel, Champollion studiere – wir sprachen über Indien, Ägypten, die Wiegen des Menschengeschlechts, wir wurden schnell miteinander bekannt. Er war dabei ein fröhliches, lustiges Gemüt; wir zogen zusammen nach Paris, er studierte und lebte, mit den schwerfälligen Sätzen der Professoren spielte er wie mit bekannten Bällen, mit der Gelehrsamkeit des alten Abbé Remusat sprang er wie mit einem leichtfüßigen Mädchen herum, mit den Mädchen tändelte er wie mit Buchstaben, wie mit längst gelösten Hieroglyphen; er fand den Schlüssel zur stolzesten Pyramidenschrift. Des Abends fanden wir uns im Theater, und von da durchstrichen wir die Salons, und rasteten in manchem stillen verführerischen Gemache. Wo er auftrat, der Sohn des Prometheus mit dem leuchtenden Siegel der Gottheit auf der stolzen Stirn, zog er die Blicke auf sich. Sein Körper ist ein Meisterstück der Natur, und Tausende, die ihn sehen, werden zu gerechten Anklagen der launischen Göttin bewogen. Als ich den Cornel las, dachte ich mir den Alcibiades so. Ein hoher Wuchs, leicht wie ein Gedanke, kräftig wie ein fester Gedanke, getragen durch die Wellen der Hüften und Schultern, dunkles, kühn um die Schläfe fallendes, an den Spitzen gelocktes reiches Haar, ein dunkelblaues Auge, am Tage tiefblau wie südlicher Himmel, in den man ohne Unterlaß sehen muß, als werde aus der zauberisch düsteren Ferne eine neue Welt heraustreten, des Abends schwarz wie eine glänzende Sternennacht. Die Form der Augen ist schön, eine voll ausgeschnittene längliche; der Glanz zur Zeit der Ruhe mild, angenehm, beruhigend, tröstlich, bestechend; im Affekt aber, und zwar im kleinsten drängt sich alles geistige Leben in ihnen zusammen, und nur der Mutige, der das gegenüberstehende Leben nicht fürchtet, steht sie dann gern. Weiber blicken sie dann nur seitwärts an, wie sie tapfere Taten, wo anders Lebendiges[87] mit im Spiel ist, nur seitwärts, nie geradhin ansehen. Aber das Weib ehrt und liebt am meisten, was es vorher gescheut, so wie der Mensch den Löwen, wenn er gezähmt ist, am höchsten hält, daher Hippolyts fabelhaftes Glück bei den Weibern. Die Nase ist streng griechisch, und um ihre seinen Flügel haucht ein tatendurstiger Sinn, schreckender Mut, aber auch eine fast frivole Sinnlichkeit, die im Affekt einer mit Mühe bezähmten Bestialität nicht unähnlich sieht. Kräftige Männer haben alle in der Leidenschaft ein Etwas, was zwischen dem griechischen Gotte und der Bestie steht; etwas Ähnliches bezeichnet das Wort ›Halbgott!‹ Daher geht jedes Weib den eigentlich kräftigen Männern langsam nahe, wenn sie je einen Ausbruch irgend eines Affekts, vielleicht nur den des Zornes an ihnen gesehen, und nur die Phryne, die das wild Materielle sucht, stürzt sich in ihre Umarmung.

Aber der Mund versöhnt durch unwiderstehliche Anmut.« – –

So weit der Brief; ich verstehe manches darin nicht, vielleicht wird's Ihnen klarer; aber ich fühle, daß das Bild richtig ist. Als er bei uns eintrat mit dieser hohen, imponierenden Freiheit, dieser leichten ungezwungenen Turnüre, war selbst der Graf überrascht, und Graf Fips wurde unruhig und unstet. Alberta wurde rot, ich selbst verlegen, nur das sarkastische Lächeln Valers, mit dem er ihn vorstellte, gab mir schnell meine Fassung wieder; es ärgerte mich. Aber es war wirklich, als ob der Herrscher ins Zimmer trete. Er war modern gekleidet, und doch lag etwas Ausländisches in der Erscheinung. Der leichte blaue Sammetrock, der kurz und mit Schnüren und Stickereien besäet war, mochte wohl schuld daran sein. Alles übrige an ihm war schwarz bis auf den ans Kinn quellenden vollen Backenbart und den übermütigen Schnurrbart und Henri quatre. Er war in den ersten Tagen sehr sanft und mild, von Tag zu Tage ist er aber ausgelassener und wilder geworden. Am meisten verkehrt[88] er mit Valerius; sie reiten auch täglich zusammen aus, und gehen so sicher männlich miteinander um, daß einem stark und wohlig zumut wird, wenn man sie zusammen sieht. Alberta ist seit Hippolyts Ankunft ganz verändert, unruhig, heftig, bewegt, ausgelassen, still, lauter Dinge, die zu ihrem früheren Gleichmaß gar nicht stimmen. Ich selbst erwehre mich einer gewissen Unruhe und Bangigkeit nicht, wenn ich bei ihm stehe und nur, wenn Valer hinzutritt, wird es beruhigter in mir. Weiß Gott, es ist, als ob ein Raubvogel ins Taubenhaus gekommen wäre, alles ist bestürzt – und doch ist der Raubvogel so zauberhaft schön. William hat sich auch ganz zurückgezogen, er lacht gar nicht mehr, und spricht fast nie mit Hippolyt; Leopold springt wohl an ihm herum, aber er scheint auch nicht die rechte Courage gegen ihn zu haben, und wird oft verlegen, wenn ihn jener zum besten hat. Graf Fips spricht von seiner Abreise, der Graf ist sehr aufmerksam gegen Hippolyt und Valerius, aber er scheint auch nicht ganz sicher zu sein.

Alberta grüßt Sie aus der Fülle des Herzens, und bittet Sie, doch ja recht bald hieher zu kommen. Adieu! Adieu!

Man ruft mich zu Tisch, und unsere Mahlzeiten sind jetzt immer diplomatische Mittagsessen; der Graf bringt lauter schwerfällige Gegenstände aufs Tapet, und es entsteht immer ein so klirrendes Gefecht, daß man das Essen ganz vergißt. Ich glaube, es würde oft Blut fließen, wenn nicht Valer immer die zürnenden Parteien vom Schlachtfelde wegführte. Meine Herren, pflegt er dann zu sagen, ich bitte, mir auf ein höher gelegenes Terrain zu folgen, und dann rückt er die Streitfrage der Parteien auf ein sogenanntes historisches Entwicklungsfeld; stellt zuerst den blutig um sich hauenden Hippolyt zur Ruhe; ihm folgt der Graf mit einigen leichten Einwendungen, die bald beseitigt sind, und Graf Fips ist dann immer sogleich still; ich glaube, er versteht nicht viel mehr davon als ich. Doch hab' ich mich schon sehr in des[89] Valerius Gelehrsamkeit eingerichtet; anfänglich kam sie mir stets wie ein Bergsturz vor, der mich verschüttete, jetzt hat er mich mit ein paar klaren einfachen Worten von dem Hauptgange seiner Ideen unterrichtet, und nun folg' ich ihm mit Leichtigkeit, und es tut mir unbeschreiblich wohl, wenn er die Rede an mich richtet über die wichtigsten Dinge. Wenn man ihn erst ein wenig kennt, sieht man, wie äußerst einfach er redet, wie alles so schwer golden ist, was er bringt, wie er es dem Zuhörer so gutmütig zuschneidet und anpaßt. Ich antworte gewiß oft sehr einfältig darauf, aber wenn er meine Antwort in seiner Sprache wiedergibt, wenn er mit leisen Fingern die Wurzeln der Gedanken aufdeckt, so erscheint alles so eng verzweigt mit großen allgemeinen Ansichten, daß ich mich oft kindisch freue über meine Gelehrsamkeit, in die Hände klatsche und – ja, denken Sie, neulich hab' ich den klugen lieben Mann wegen einer so schönen Auslegung meiner Worte beim Kopf genommen und ihm rasch einen Kuß gegeben. Ich schämte mich hinterdrein und alle lachten, aber Valer sah mich so freundlich lächelnd an, daß es mir nicht leid tat. Ach, nicht wahr, ich schwatz recht dummes Zeug – Adieu – Adieu!

Quelle:
Heinrich Laube: Das junge Europa, in: Heinrich Laubes gesammelte Werke in fünfzig Bänden, 3 Bände, Band 1, Leipzig 1908, S. 85-90.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Das junge Europa
Heinrich Laubes gesammelte Werke: Band 1. Vorbericht und Inhaltsverzeichnis. Das junge Europa. Band 1. Die Poeten
Das junge Europa. 3 Bde. Bd.1: Die Poeten Bd.2: Die Krieger. Bd.3: Die Bürger.
Das junge Europa

Buchempfehlung

Kleist, Heinrich von

Die Hermannsschlacht. Ein Drama

Die Hermannsschlacht. Ein Drama

Nach der Niederlage gegen Frankreich rückt Kleist seine 1808 entstandene Bearbeitung des Hermann-Mythos in den Zusammenhang der damals aktuellen politischen Lage. Seine Version der Varusschlacht, die durchaus als Aufforderung zum Widerstand gegen Frankreich verstanden werden konnte, erschien erst 1821, 10 Jahre nach Kleists Tod.

112 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon