15. Konstantin an Hippolyt und Valerius.

[90] Ich danke Euch, meine Freunde, meine Freunde, ich danke Euch! Wir wollen unsern Zug nach Westminster antreten, besorgt ein Paar hübsche Jungen für meine Schleppe. Ihr edlen Pairs meines Königreichs habt mir Geld geschickt, das war brav von Euch – mit dem Gelde hab' ich gespielt, um rote Dukaten gespielt, und ich mußte mir einen neuen Rock machen lassen, weil ich nicht genug Taschen für den Gewinst hatte.

Spiel und Soff sind zwei Laster; aber beim heiligen Georg von England! schöne Laster.

Ich habe alle Tage einige Zeilen an Euch geschrieben;[90] hier folgen sie; wundert Euch nicht, daß sie aphoristisch sind, ich bin selbst ein abgerissener Fetzen der Welt, wer hält mich fest? Der nächste Sturmwind führt mich fort – die ganze Welt ist aphoristisch, es ist kein Zusammenhang darin als die Luft, will sagen, der Wind. »Die Welt ist lauter Wind, Juchhe!« –

Vaterland! Wieviel abgerundeter und einiger würde ich sein, wenn ich mit dem Worte das verbände, was viele Leute dabei zu fühlen scheinen. Ganz Deutschland danke ich die deutsche Sprache; für dies Geschenk bin ich um so dankbarer, als ich keiner andern mächtig bin. So bin ich sehr erklärlich – ein Deutscher, denn wenn man zu keiner andern Nation gehört, so muß man ein Deutscher sein. Übrigens bin ich es aus Gewohnheit, Temperament usw. – der Patriotismus ist einseitig, klein, aber er ist praktisch nützlich, beglückend, beruhigend; der Kosmopolitismus ist herrlich, groß, aber für einen Menschen fast zu groß, der Gedanke ist schön, aber das Resultat für dies Leben ist innere Zerrissenheit, Humor. Eine gute Tragödie muß jetzt mindestens zum fünften Teil humoristisch sein.

Donnerwetter, was ist das für patriotisch albernes Zeug, ich reise doch morgen nach Paris und werde Franzos. Ja so, das wißt Ihr noch nicht, daß dies mein letzter Brief aus Berlin ist. Holla, ins moderne Babel reis' ich morgen! Was soll ich mit dem vielen Gelde machen? Es gibt hier gar keine Gelegenheit, dafür munter zu sein unter dem steifen Volk, unter freien fröhlichen Parisern will ich leben, und gegen den dummen Polignak will ich schreiben – dort knirscht der Minister mit den Zähnen gegen die frechen Wahrheiten, aber dort brauchen die Pässe der Wahrheit keine Unterschrift, er kann knirschen, sonst kann er nichts – und morgen geh' ich nach Paris.

Raupachs hohenstaufischen Philipp, eine Silhouette des Herrn von Raumer, hab' ich gesehen – wär' ich Rezensent, wie wollt' ich Dich, o Philippus Raupach. – –[91]

Und unsere Kritik »ach glücklich sind Widersacher, die einander prügeln können.« Diesmal war ich in der Loge, und Rosa saß demütig im Parterre, und sah sehr blaß, ich aber sehr rot aus. Ja, mein Kind, das Leben ist aphoristisch. Ich ließ mein weiches Herz gewähren und ging zu ihr, und fragte sie, was ihr fehle. Sie wollte nicht mit der Sprache heraus, und war verlegen. Ich ging mit ihr nach Hause; heut' ließ sie's ruhig zu – es sah etwas windig und leer in ihrer Stube aus, und das Mädchen war auch etwas salopp gekleidet. Ich machte sie darauf aufmerksam – da weinte sie. Ich fragte, wie es um ihr Engagement stünde, sie meinte, erst mit dem ersten August könnte sie eintreten. Es ward mir unheimlich; ich fragte nicht nach ihrem Gardeoffizier, sondern nur, wieviel sie des Monats brauche. Sie wollte mir schluchzend vor Rührung um den Hals fallen, und mich einen edlen Menschen nennen – ich ließ sie aber nicht dazu kommen. Das Mädchen konnte nicht dafür, daß ihr ein anderer besser gefallen hatte; ich konnte aber auch nicht dafür, daß ich nicht mehr eine Fingerspitze von ihr hätte berühren mögen. Hübsch war sie noch, aber ich ging in innerer Unbehaglichkeit fort und trank eine Flasche Champagner, um mich auf andere Gedanken zu bringen. Wie kam denn das alles?


»Warum wollt Ihr denn alles gleich ergründen?

Wenn der Schnee schmilzt, wird sich's finden.«


Was ist das für eine Figur? Mit Gott und der Welt ist sie zerfallen, vom Vater verstoßen, mit dem Theater unzufrieden, von der Geliebten betrogen, voll Durst nach Wein und Liebe, immer noch wohlgenährt aussehend, ohne einen einzigen Vers im Kopfe, gekleidet nach der letzten Mode, unschlüssig, ob er Theologe oder Theaterlampenputzer werden soll, voll Gärung und doch ruhig, oft im Begriff, sich nach klassischen Mustern den Hals abzuschneiden und doch wieder zu vernünftig dazu – kein Held, kein Held und doch manch[92] Handwerkszeug dazu – keine Geduld, kein genügender Leichtsinn, keine Festigkeit, ein genialischer Charakter, auf der Bühne kalt lassend, im Roman sündhaft – meine Freunde, das ist eine Novellenfigur. Die Novelle ist die moderne Brücke von der früheren Zeit zu den jetzigen Begriffen, sie ist der Übergang, die Form des Entstehens, Werdens, nicht des starren Seins. Jene Figur ist eine Novellenfigur, auf mein Wort. Niemand, ich sage niemand soll mir widersprechen. Auch dies gehört dazu, daß mich jetzt sogar die Orthographie peinigt ich weiß nicht, ob ich niemand, etwas usw. groß oder klein schreiben soll – am liebsten schreib ich alles klein. Nun denkt Euch einen geistreichen Schriftsteller, der mit der Orthographie noch nicht, im reinen ist! Und hab' ich nicht recht, daß die Novellenfigur der eklektische Skeptizismus ist – hab' ich nicht? O bleibt bei mir, geht nicht von mir, Freunde, auch wenn ich nach Paris gehe! Es kümmert sich ja keine Seele um mich, ich lebe und sterbe unbeweint. Wollt Ihr nicht, o ich bitt' Euch schön. – –


Später.


Gegen Abend geht ein Bekannter von mir als Kurier nach Paris, ich mit ihm. Übrigens bin ich beim Gesandten gewesen und habe die schöne Julia mehrmals gesehen und gesprochen. Im Vertrauen gesagt, Ihr Herren, wenn ich nichts Besseres tun könnte als lieben, ich bliebe hier. Diese Augen, dunkel wie die Nacht mit auf und ab wehenden weichen Lüften, diese seine Nase, empfindsam wie aus Blättern des Lotos; dieser kleine gewölbte Mund und das Ganze wie aus dem Tau gezogen, nicht üppig sömmerlich, aber duftend frühlingsartig, zart durchsichtig, nördlich und doch voll Reiz – ich schwör' es Euch, das Weib kann einen Poeten, dem noch etwas Herz geblieben, grenzenlos glücklich und sehr unglücklich machen.

Aber ich bin selbst so nördlich geworden, daß mein Wohlwollen, das ich an solcher Schönheit empfand, nichts[93] als ein paar Minuten sehen, ein paar Worte sprechen wollte, um den Gang des Ausdrucks zu beobachten, aber nicht einmal im leisesten affiziert wurde, als ich scheiden mußte.

Ich bin reif zum Künstler.

Aber wenn ich einmal wieder poetisch werde, so wird der schmeichelnde Effekt dieser reizenden Figur viel Einfluß gehabt haben. Ich werde sie noch lange sehen im kurzen weißseidenen Gewande, das Haar verführerisch natürlich und doch so kunstreich modern aufgelöst, ihre schwarzen Locken dem Anschein nach mühsam von einer einzigen blendenden Kamelie zusammengehalten, hinabfallend auf den stolzen weißen Nacken. Ich vergesse sie nimmer diese Figur, leicht sich wiegend und geschmeidig wie eine verführerische Melodie und doch stolz und hoch wie eine hohe Kunstidee – hinter den breiten Augenlidern, den langen schattigen Wimpern lag eine südliche Nacht mit allem Verlangen und allem Reiz, mit Schalkheit und Tönen – sie will nächstens nach Paris kommen. Auf Wiedersehen, mein schönes Kind!

Aber echt Deutsch schreib ich die letzte Stunde heran – wir sind Federvieh. Jetzt Ade, du Land der Hofräte und der langen Weile – ade ihr Freunde, schickt Eure nächsten Briefe poste restante nach Paris.

Quelle:
Heinrich Laube: Das junge Europa, in: Heinrich Laubes gesammelte Werke in fünfzig Bänden, 3 Bände, Band 1, Leipzig 1908, S. 90-94.
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