19. Kamilla an Ludoviko.

[116] Grünschloß.


Ich habe unrecht gegen Sie, Ihre gegen mich gerichteten Vorwürfe sind gerecht. Aber ehrlich und offen will ich gegen Sie bleiben; Sie haben mir Ihre Liebe und Hand angetragen, Sie haben mich damals überrascht, ich war ein unerfahren[116] Ding; ich wußte nicht, was ich versprach. Warum mußten Sie aber auch so lang von mir bleiben; warum kamen Sie nicht, wie Sie versprachen, dies Frühjahr! Wieviel Schmerz wäre mir erspart worden. Ich habe die Treue gegen Sie gebrochen. Ihr Verlobungsring liegt im Kasten. Fürchten Sie nicht die Nachricht eines Exzesses, es gilt nur die Treue meines Herzens. Valerius, ein Poet, kam zu uns, er warb um niemand, lebte ruhig, harmlos, dem Anschein nach ohne Wunsch, ohne Verlangen nach irgend etwas an unserer Seite und gewann sich somit das, was er nicht suchte, unsere Teilnahme. Ich hatte ihn gern, und nur zuweilen dämmerte die Vermutung in mir auf, daß er Ihnen gefährlich werden könnte. – Erlauben Sie mir dies Wort; Ihr letzter Brief berechtigt mich noch dazu. Aber ich schüttelte lächelnd den Gedanken von den leichten Schwingen meines Wesens; ich hoffte nichts als einen lieben, zuverlässigen Freund in ihm zu gewinnen. Sein unwandelbarer Gleichmut bestärkte mich darin. Wie ein Blitzstrahl traf mich das Wetter. Vor einiger Zeit such' ich ihn und Alberta, die im Garten promenierten. Ich biege um eine hohe Zypressenreihe und sehe in der Tiefe des Gartens zwischen Bäumen eine Gruppe, die mich erstarren machte, und mir eine traurige Gewißheit über mein Inneres brachte. Alberta ruht an der Brust des Valerius. Heiße Tränen stürzten aus meinen Augen, ich fühlte, daß ich Ihnen untreu geworden, daß ich jenen unglückseligen Mann liebte. Keine Macht der Erde würde dies Geständnis über meine Lippen gebracht haben; Ihnen bin ich's schuldig. Vergeben Sie mir, vergessen Sie mich. Denken Sie mit Teilnahme an unser grünes Schloß, wo außer meinem Leid ein breites Feld von Trauer sprießt.


»Ein Jüngling liebt ein Mädchen,

Das hat einen andern erwählt;

Der andre liebt eine andre

Und hat sich mit dieser vermählt.«[117]


Der Stifter meines Unheils wird selbst unglücklich: Alberta liebt seinen Freund Hippolyt, ach und ich fürchte, dieser liebt die schöne Gräfin Julia, die vor kurzem hier angekommen ist. Das Unglück hat sich hier eingenistet. Grüßen Sie innigst Ihre Schwester; o daß ich mein Leid in ihren Busen weinen könnte.

Die Bitte, mir nicht zu antworten, darf ich wohl nicht erst aussprechen. Vergeben Sie mir!


Kamilla.

Quelle:
Heinrich Laube: Das junge Europa, in: Heinrich Laubes gesammelte Werke in fünfzig Bänden, 3 Bände, Band 1, Leipzig 1908, S. 116-118.
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