25. Konstantin an Valerius.

[135] Ich weiß es, Freund, Du wirst außer Dir sein über meinen Brief, Du wirst mich dumm, albern, verrückt nennen. Vergib mir meine Albernheit, ich will wenigstens wahr sein und Dir alles geben, was sich mir durch den Kopf bewegt. Ich fühl' es, daß ich auf einer Grenzlinie angekommen bin und plötzlich ein anderer Mensch werde; ich fühl' es, daß[135] Dir dieser neue Mensch weniger behagen wird als der alte mit seinen Fehlern. Aber gestatte mir, daß ich Euch allmählich alles, was sich in mir bewegt, darlege. Daß ich vielleicht mehrere Monate nur rhapsodisch zu schreiben imstande bin, kann Euch nicht wundern, wo soll ich die Ordnung hernehmen, da ich eben in eine Krisis trete, die nach Ordnung lechzt. Die Welt mit ihrer Unordnung ist mir plötzlich auf die Brust gefallen, ich will sie allmählich herunterwerfen, Gott weiß, was mir dann übrig bleibt. Ob ich reicher oder ärmer werde! Wenn auch ärmer, ich will aufräumen. Ich glaube Dir schon einmal etwas Ähnliches geschrieben zu haben, es ist nicht dasselbe gewesen, was ich jetzt denke, vielleicht ist das jetzige gerade der Antipode von dem früheren, vielleicht war jenes Abenddämmerung, vielleicht ist dies Reaktion und jenes war Revolution. Beide müssen Schutt wegschaffen, aber wahr bin ich immer, bei meiner armen Seele.

Über der Menschheit vergißt man jetzt gewöhnlich die Menschen, und in dieser Zeit der Brände, Kanonen und glühenden Reden ist es doch erbärmlich kalt. Die Idee ist eine ganz schöne Sache, für fast alle zu groß, und sie bleibt immer nur Idee. Vermählt sie sich nicht mit dem Individuum, mit der Gestalt, so ist sie so gut wie nicht dagewesen. Ach und das traurige erbärmliche Pathos. Da bestrafen nun die Franzosen den Meineid ihres Königs – gut, obgleich schlimm, sie betragen sich eine Weile vernünftig – sehr gut. Nun kommen die allgemeinen Redensarten liberté, gloire usw. heran. Wer für diese hundsföttische gloire Leben und Glück von Generationen opfert, jeder noch so ruhmgekrönte Eroberer ist als solcher (unbeschadet seiner übrigen Größe) gebrandmarkt und ehrlos. Ich will nicht hitzig werden, darum hör' ich auf, ich will nicht gemein und wütend werden, darum schweig' ich von der Journalistik. Gott, wenn sie doch erst so schlecht wäre, daß keiner mehr von ihr wissen wollte; aber nein, dazu müßte sie sehr gut werden.[136]

Ja, in den ersten Tagen des August war ich noch außer mir, als die Lafittesche Partei für den Herzog von Orleans warb, ich habe mit den Volksmassen das Stadthaus umlagert und mich heiser nach der Republik geschrien, ich habe neben Dubourg gestanden, als er dem neuen Könige drohte, es werde ihm ebenso gehen wie dem schlechten zehnten Karl, wenn er seinen Eid breche, ich habe die geballte Faust in dem Augenblicke gegen Ludwig Philipp erhoben, ich habe mit Dir durch die Straßen geschrien: »Man hat unsere Revolution konfisziert,« ich habe mich und die Welt ermorden, in die Luft sprengen wollen, hätt' ich nur Pulver genug gehabt. –

Darauf verfiel ich in ein hitziges Fieber, und nach mehreren Wochen fand ich meine Besinnung und mich im Hôtel Dieu wieder. Als ich wieder auf den Beinen war, fand ich Paris in Ordnung. Ich dachte viel über die Ordnung nach und bin lange Zeit sehr kleinlaut gewesen.

Es ist wirklich ein großes Ding um die Ordnung, mein Freund. Als kleiner Bube hatte ich einen Holzkasten, wo kleine Quadrate und Dreiecke geschickt ineinander gepaßt waren; mein größerer Bruder verstand das Zusammensetzen, aber er ging immer sehr vorsichtig zu Werke, wenn er die Teile auseinander nahm, ich wollte es ihm nachmachen und stürzte den Kasten um, aber ich kam nicht zustande und mußte ihn zu Hilfe rufen; allein da alles durcheinander geworfen war, kostete es ihn viel Zeit und Mühe, und er schalt mich sehr aus. Mit dem Umstürzen des Holzkastens ist man sehr eilig.

Ich befinde mich übrigens im ganzen hier recht wohl – in einem fremden Orte erträgt man seinen Jammer leichter als in dem, der die historische Entwicklung dieses Jammers mit angesehen hat. Man kann in einem neuen Rocke nicht so traurig sein wie in einem alten. Ich habe meinen alten, blutigen Kittel ausgezogen und fühle mich viel leichter und freier. Die Welt spricht von ihrer Universalrevolution, und daß die Lutherische Revolution ihren Wendepunkt erreicht habe,[137] und ich habe indes meine Spezialumwälzung vollendet; ich glaube, Ihr werdet nicht ermangeln, aus diesem äußeren Wechsel vielerlei zu schließen. Hört, seit Monaten bin ich in die Nähe keines Weibes mehr gekommen, die Haare werden nicht mehr à la Caracalla gestrichen, seit langer Zeit bin ich nicht mehr trunken gewesen. Jetzt habe ich sogar das Wassertrinken gelernt, seit kurzer Zeit rauche ich keinen Tabak mehr. Demnach ist die Titulatur Falstaff antiquiert und gänzlich unpassend geworden. Mit diesen alten Gewohnheiten ist auch das vollblütige Phlegma von mir gewichen, und mir ist viel leichter dabei. Es ist wirklich ein großer Unterschied, ob einem Bier und Wein oder Blut in den Adern fließt. Ich tummle mich jetzt mitunter in den wahnsinnigsten Reimereien und nicht bloß der Reimerei wegen; mein früheres Schimpfen auf die bloße Form kommt mir jetzt platt vor, auch die bloße Form ist ein Leben, und ihre Seelenfäden sind dem geübtesten Auge sichtbar. Man muß das Auge üben.

Ich höre jetzt viel Musik. Das Werdende, sich Bewegende ist das Musikalische in uns, weil man es in seinem Zusammenhange nicht überblicken kann; darum, Freund, sind Revolutionen etwas so sehr Gewagtes, dem man sich nur in äußerster Notwendigkeit hingeben darf; das Gewordene, Abgemachte, Plastische ist als ein außer uns Liegendes immer in der Vergangenheit. Man übersieht es und kann leichter der Sache Herr werden.

So bin ich auch mit meinen religiösen Ansichten jetzt unzufrieden. Man sieht es solchen Byron-rationalistischen Ansichten auf hundert Meilen an, in welcher Unbehaglichkeit sie empfangen worden sind. Ich habe mich nun lange genug mit solchem Zeuge gequält: aber was ist das Ende vom Liede? Man kann nun einmal alles Religiöse und dahin Gehörige nicht ins reine bringen, und was hätte man auch davon, wenn man es könnte? Eine Wissenschaft mehr und eine Welt von Gefühlen weniger. Ich habe den festen Entschluß[138] gefaßt, das Leben schön zu finden, und schon gibt es Stunden, wo ich es ganz erträglich finde.

– Manche Stunden gibt es indes noch, Freund, wo ich mir selbst mit meinen überaus vernünftigen Ansichten wie ein bei der Gewerbeschule angestellter Regierungsrat vorkomme. Ich habe an meinen Vater um Versöhnung und Vergebung geschrieben, und denke meine juristische Karriere wieder aufzunehmen. Meine Tollheiten in Paris kennt bei mir zulande niemand.

Was einem wohl das stete Ringen, Lesen, Denken, Rezensieren, Rezensiertwerden nützt? – Eben daß man ringt, denkt, liest usw. – daß man etwas zu tun hat, so wie das gemähte Gras wieder wächst, um wieder gemäht zu werden. Was verstehst Du unter einer zeitgemäßen Religion? Die Religion einer jeden Zeit ist die zeitgemäße. Du räsonierst über die Pfaffen, die sich so gemächlich in ihrem alten Dachsbau bewegen, und willst doch am Ende einen neuen detto anlegen. Sowie man über Religion spricht und schreibt, kommt gewiß etwas Verkehrtes heraus, was dem Sprechenden oder Schreibenden fremd ist; die Worte werden im Munde verdreht. Es ist, als sollte man dergleichen nicht besprechen wie die nächste Wollschur oder Weinlese. Lieber Katholik als in der Religion Rationalist.

Laß mir nur etwas Zeit, ich werd' mich schon finden; der alte und neue Mensch wirtschaften noch heftig in mir. Du achtest ja jede Individualität, achte auch vorderhand meine tastende. Und bildet sich am Ende auch eine Dir entgegengesetzte heraus, gewähr' mir nicht nur Gerechtigkeit, ich weiß, das wirst Du immer, sondern auch Teilnahme. Ich werde bald nach Deutschland kommen.

Quelle:
Heinrich Laube: Das junge Europa, in: Heinrich Laubes gesammelte Werke in fünfzig Bänden, 3 Bände, Band 1, Leipzig 1908, S. 135-139.
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