31. Alberta an Kamilla.

[151] Ach, daß Du nicht mehr bei mir bist, meine arme geliebte Kamilla! O wie wollt' ich Dich küssen! Du wunderst Dich, daß ich nicht traurig bin, weil Du von der Fürstin gehört hast, Julia sei fort, und Hippolyt sei ihr spornstreichs nachgereist. Nein, meine Liebe, ich bin gar nicht traurig, ich bin recht still, aber recht ruhig, ja sogar glücklich. Der ganze Schwarm ist fortgeflogen; Du weißt, daß Konstantie William und Leopold mitgenommen hat, Graf Fips ist ein stummer Mann, wir haben nur den lieben kranken Valerius hier, und der ist mehr wert als alle.[151]

Man sagt mir, ich sei in Hippolyt verliebt gewesen, und er hätte mich sehr unglücklich gemacht; das erste mag wohl wahr sein, ich glaube, es ist auch das rechte Wort getroffen. Geliebt? Ach, nein, berauscht –, o bitte, erlaß mir das Zergliedern, Du weißt, ich kann das nicht, ich liebe das bewußtlose, ungeprüfte Hinträumen, ich frage nicht viel. Valerius nennt mich darum immer die romantische Dame, und hat mir versprochen, mit mir nach Paris zu reisen, und mich mit den dortigen Romantikern Viktor Hugo, Janin und wie sie heißen mögen, bekannt zu machen. Ja, ja, das hat er mir versprochen. Und sie würden mich sehr lieben, sagt er, der gute Mann. Gestern hat er mir Viktor Hugos Hernani vorgelesen – ach, wenn ich doch so lieben könnte wie Donna Sol, sterben könnt' ich gewiß so für meinen Hernani. Aber Hernani gleicht in vieler Wildheit zu sehr dem Hippolyt, es ist in beiden zu tolles spanisches Blut. Ich habe Valerius gebeten, mir einen sanfteren Hernani, einen deutschen zu schreiben. Er lachte, als ich's ihm sagte, daß die Deutschen am liebenswürdigsten wären. Der Vater hat uns versprochen, daß wir drei, er, Valerius und ich im Spätherbst nach Paris reisen würden. Papa ist viel weicher als sonst, aber nicht mehr recht lustig. Du fehlst ihm, meine liebe Kamilla, o komm und mach uns munter mit Deiner guten Laune. Wenn Du bald kommst, kannst Du auch mitreisen. Valerius hat heut' viel zu schön für Dich gebeten, und der Vater nickte still mit dem Kopfe und sah so unbeschreiblich gut dabei aus. Ach Gott ja, Du warst in der letzten Zeit gar nicht mehr vergnügt, das fällt mir erst ein. Gib doch Deinen garstigen Ludoviko auf. Dem Herrn Valerius darf man gar nicht davon sprechen, sonst wird er gleich betrübt.

Die Fürstin wollt' ihn gar zu gern mitnehmen; der Vater sagte uns, sie hätte sich einen Scherz ausgesonnen, die jungen Leute mit ihren neuen Ansichten in den großen Gesellschaften auftreten zu lassen, welche sich jetzt aus ihrem[152] Lustschlosse versammeln werden. Sie verspräche sich von diesem Turnier mit den alten Rittern sehr viel Spaß, aber William und Leopold hälfen ihr eigentlich nicht viel, jener, weil er zu fromm und legitim, dieser, weil er zu lustig, unsicher und nachgiebig sei. Beide würden ihr nur mit Poesie aushelfen können; nur wenn Valerius mitkäme, sei auf vorteilhaften Kampf zu rechnen. Da er es bestimmt ausschlug, so hat er wenigstens versprechen müssen, feindliche Briefe hinzuschreiben, welche die ganze Gesellschaft besprechen, und bekämpfend durch den Sekretär William beantworten würden. Es ist gar nicht hübsch von Konstantien, daß sie unserem kranken Freunde soviel zu schaffen machen will – er soll ruhen, und geht's nach mir, so schreibt er keine Zeile.

Aber das ein und alles meines Briefs ist: Komme – komme morgen, Herr Valerius bittet auch schön, und der Vater auch. Es ist jetzt ja hübsch still und heimlich auf Grünschloß, es wird Dir sehr behagen. Valerius darf noch nicht viel gehen, und da sitzen wir fast den ganzen Tag auf der Terrasse unter den Akazien und schwatzen und lesen und treiben allerlei. Herr Valerius trägt den Arm im Tuch und sieht noch blasser aus als sonst, aber viel sanfter, freundlicher, milder. Komm nur, komm, er will uns Geschichten erzählen, wenn Du da bist – hörst Du? Komm! Jetzt küss' ich Dich ein- zwei- dreimal und bin Deine zärtliche

Alberta.

Quelle:
Heinrich Laube: Das junge Europa, in: Heinrich Laubes gesammelte Werke in fünfzig Bänden, 3 Bände, Band 1, Leipzig 1908, S. 151-153.
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