38. Kamilla an Valerius.

[175] Daß die dummen Polen auch gerade jetzt ihre Revolution anfangen mußten, während Du in der Stadt warst – von hier hätte ich Dich gewiß nicht fortgelassen, nach den neuesten Vorfällen zu fragen. Ich wünsche den lieben Leuten alles Gute, ich glaube Dir's gern, daß sie ein himmelschreiendes Recht haben, aber ich wünsche mir auch meinen Liebhaber.

Hast Du noch nicht genug Nachrichten, wirst Du nicht bald kommen? Ach ich bin wirklich schon recht böse auf Dich: das Wetter wird immer rauher, man kann beinah' nicht mehr[175] aus dem Hause, die Langeweile und Sehnsucht wird immer größer und noch dazu die Angst – jawohl die Angst. Höre nur! Gestern kam ein Reisewagen und brachte mir eine liebe alte Freundin, das wäre ja doch nur etwas, worüber ich mich freuen könnte; ja doch, ich freute mich sehr, aber nicht lange. Denke nur, als wir zum ersten ruhigen Gespräche kamen, da sah aus jedem Auge, jedem Zuge des Gesichts, Dein Blick, Dein Geist, die Worte waren Dein, so müßtest Du sprechen, wärst Du ein Weib; der Rede- und Tonfall ganz wie bei Dir, das ganze Wesen, der ganze Luftkreis der des Valerius – Mann ich entsetzte mich, wärst Du verheiratet, es müßte dies Deine Frau sein. Ich teilte dies alles meiner Freundin mit, sie lächelte. Wie bin ich erschrocken, als sie mir sagte, daß sie Dich kenne. O bleib jetzt, komm nicht, ich fürchte mich vor Unglück, wenn Du jetzt kommst. Ach nein, wenn sie Dich beglücken könnte, komm, komm, ich würde so gern für Dein Glück sterben. Als Du mir von Deiner ersten Liebe erzähltest, da war ich so schmerzhaft erregt und doch so überaus selig in dem Gedanken, wenn ich sie Dir wieder in den Arm legen und mein seligweinend Gesicht zwischen eure aneinander gedrückten Schultern schmiegen könnte. Du hast recht, die Liebe ist mehr als der Besitz einer einzigen Person, sie ist eine ganze Atmosphäre von Wohlwollen, und viel hat darin Raum. Wenn ich Dich nur nicht soviel geküßt hätte, das ist so schlimm, jetzt wird es mir doch viel schwerer werden, Dich am Herzen einer andern zu sehen. Du glaubst aber nicht, um wieviel lieber ich Dich habe wegen Deiner offenen Ehrlichkeit, daß Du mir gleich beim ersten Kusse sagtest, Dein Herz sei nicht mehr jungfräulich, Du hättest Liebe gewährt und genossen und liebtest noch und würdest noch geliebt. Ich kann klagen und weinen, wenn man Dich mir heute entführte, aber nicht über Dich, und das ist sehr lieb und schön. Du bleibst ewig mein unwandelbarer Stern, Du bist der ehrliche Palmerio. Komm, komm, Du[176] Licht meiner Augen, ich will nur Deine Gestalt sehen, das gleichgültigste Wort Deiner lieben, lieben Stimme hören und glücklich, sehr glücklich sein. Komm! – Ich lege Dir einen Brief von Konstantin und einen von der Fürstin bei – was will denn die gefährliche Frau von Dir? Ach, Du machst mir recht viel Sorge. Die gute Alberta ist so still und traurig, daß Du nicht da bist, sie sitzt fortwährend am Fenster, und wenn ein Reiter kommt, jubelt sie, und wenn Du's nicht bist, kommt ihr das Wasser in die Augen. Ach, Du bist ein Bösewicht. Auch der Graf ist so still und noch sanfter als sonst; auch er scheint Kummer zu haben. Eile, uns froh zu machen!

Quelle:
Heinrich Laube: Das junge Europa, in: Heinrich Laubes gesammelte Werke in fünfzig Bänden, 3 Bände, Band 1, Leipzig 1908, S. 175-177.
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