39. Valerius an Konstantin.

[177] Ich lege Dir Williams Brief bei; sieh', wohin der einseitige Fanatismus führt. Wo jeder Gedanke von Freiheit fehlt, da gibt es nur Höhen und Tiefen, schmale Wege, jähe Abgründe; nur die Freiheit ebnet die Welt so wunderbar, daß alles gefahrlos gehen und springen kann. Man kann irren mit der Freiheit, aber an jedem neuen Morgen kann man sich zurechtfinden. Der absolutistische religiöse oder politische Glaube kennt keinen Irrtum, er kennt nur Sünde und die Sünde gebiert den Tod, sagt er selbst. William ist das Opfer des Absolutismus, Leopold wird der Spielball der Gesetzlosigkeit – er ist im belgischen Heere Kompagnie-Chirurgus, wie ich eben erfahren und spielt eine abgerissene, kümmerliche Rolle, und nur die ungeheuren, titanenartigen Kräfte erhalten oben auf der Lebenswoge den zügellosen Hippolyt; nur sein riesenhafter Geist läßt ihn bestehen mit seiner unbändigen, die Zivilisation überspringenden Freiheit. Du scheinst ihn für tot zu halten, das ist er gewiß nicht; ein solcher Romancharakter lebt noch lange in der Wildheit und wird einst, wenn seine bestialische Kraft an den Schranken[177] der Bildung gebrochen ist, der Anführer eines freiheitsbedürftigen Volkes. Seine Subjektivität muß erst zertrümmert werden, eh' er nützen kann. Jetzt ist er im Stadium des Danton, und nur die gefährliche Zeit fehlt, daß er sich wie jener auszeichne. Aber dieser subjektive Danton wird guillotiniert werden, und seine geläuterte Objektivität wird einst, mit der neuen Gironde unserer Tage lehren. Er wird einst der hinreißende neue Vergniaud werden. Es ist ein merkwürdiger Wendepunkt in unserem Leben eingetreten. Ich gehe morgen nach Warschau, um für das heilige Recht eines Volkes gegen die Tyrannen zu fechten. Ich liebe das polnische Volk nicht eben sehr, aber für seine Sache will ich bluten und sterben. Dies asiatische Element einer Herrscher- und einer Sklavenkaste, das sie noch immer nicht ernstlich bekämpft haben, ist mir sehr zuwider. Es ist allerdings nicht der gewöhnliche Begriff der Aristokratie, die man ihnen meisthin zum Vorwurf macht, es ist eine demokratische Aristokratie, welche die Stufen unter sich wenig beachtet und eine große Gleichheit unter sich eingeführt hat; aber ich würde lieber eine aristokratische Demokratie sehen. Ihre ernstlichen Annäherungen an eine allgemeine demokratische Zivilisation sind sehr träge, wenn man selbst die Absicht der Besten, welche die Charte vom 3. Mai entworfen, wenn man die Selbständigkeit ihrer bisherigen Unterjochungsperiode abrechnet. Es ist noch viel roh Asiatisches an ihnen, aber ihre überwältigende Poesie der Vaterlandsliebe, dieses Käthchen von Heilbronn in einem ganzen Volke, ist zauberhaft, ihr Kampf ist der reinste und edelste, der gefochten werden kann. Darum will ich hin, morgen schon, aus folgendem.

Ich kehre aus der Stadt zurück, finde weiblichen Besuch auf dem Schlosse, trete ins Zimmer; an der Hand Kamillas tritt mir Klara entgegen. Freude, Überraschung, Schrecken, Besorgnis pressen mir den Namen Klara aus – ich sehe den Blitzstrahl in die schlanke Palme Kamilla zündend einschlagen.[178] Das liebe Kind ward bleich, das Wasser schoß ihr in die Augen, aber sie lächelte wie ein Engel. Klara war sanft und lieb. Mein Entschluß war schnell gefaßt; ich kündigte ihnen meine morgende Abreise an. Die guten Wesen haben mich alle so lieb, daß jedes nun zu sehr mit sich beschäftigt war, als daß es auf die andern hätte achthaben können. Einen Augenblick war ich durch einen Zufall, der die andern auseinandersprengte, mit Klara allein. – »Willst Du mir nicht Morgen schenken, lieber Valer, ich will sonst weiter nichts von Dir.« Die Rührung überwältigte mich, weinend fiel ich ihr um den Hals, sie bedeckte mein Gesicht mit ihren warmen Händen, küßte mich nur auf das Auge und sprach: »Du guter Junge – ich will nichts von Dir, als Dich einmal sehen.« –

Ich wäre untröstlich, erführe dieser Engel meiner Poesie, daß ich noch andere liebte und küßte. – Als Alberta zurückkam, eilte ich fort, um Kamilla zu suchen. Sie kam mir wie ein Kind sanft lächelnd, entgegen, gab mir ihre Hand und fragte nur: »Sie ist es?« – »Sie ist's,« antwortete ich und erregt in allen Fibern meiner Seele wollt' ich das liebenswürdigste Mädchen an mein Herz drücken. Sie hielt mir die Hand vor den Mund und sagte: – »Bitte, bitte, nein – Du armer reicher Mann.« – »Willst du mir meinen Reichtum lassen.?« – »Ob ich will?« – »Laß Klara nichts von unserer Liebe ahnen.« »Wie kannst du bitten, was sich von selbst versteht; ich bin doch glücklich.« Nun war ich ausgelassen lustig. – Liebe, was bist du reich, und die ungeschickten Menschen machen dich so dürftig, weil sie egoistisch, jämmerlich egoistisch sind. Ich sagte Kamilla, daß ich den andern Tag noch dableiben würde. »Es ist recht schlimm, daß du gehst, wir werden alle vor Sehnsucht sterben.«

Es war ein seliger Tag, den ich von allen Seiten in Liebe gehüllt verlebte. Meine neuen Ideen, die Kamilla zur Sprache brachte, weil sie unser Lebensodem geworden[179] sind, waren für Klara neu; meine alten, deren Klara erwähnte, waren's für Kamilla, Alberta flog wie ein Schmetterling zwischen uns. Ich habe einen Tag in Indien gelebt, wir haben unser Herzblut ausgetauscht. Allein konnt' ich, durft' ich mit keiner sein, allen Abschied verbat ich mir sogleich; wir saßen bis tief in die Nacht beisammen, nur den guten Grafen küßte ich im Vorsaale herzlich ab, nahm Reisegeld von ihm an, versprach zu schreiben und, wenn mich keine Kugel träfe, bald wieder zu kommen. Der liebe Mann weinte und segnete mich wie ein Vater. – Ich hatte mir mein Pferd satteln lassen, brachte meine lieben Zuhörerinnen in ein erhebendes Gespräch über ein weites reiches Leben nach dem Tode, über seinen Vorgeschmack, die Freiheit, und die Opfer, die wir ihr bringen müßten. – Der erhobene Mensch trägt alles Leid noch einmal so leicht; das Herz besitzt unglaubliche Kräfte, man muß sie nur wecken. Wir glühten alle von Begeisterung für das Edle und Große, und die Mädchen wären alle mit gestorben, wenn es des Todes bedurft hätte. Da ging ich hinaus, setzte mich aufs Pferd, ritt unter das Fenster und rief. Sie öffneten hastig, in vollem Lichte standen sie beide, meines Herzens Arme. Alberta mußte zufällig eben das Zimmer verlassen haben, Der Mond schien auf mein tränenweiches Gesicht. Ade, meine Liebe, sprach ich, in einer freieren Welt wieder. Fort ritt ich, und sah nur noch, wie sich die lieben Mädchen in die Arme fielen. Taugt mein Dichten und Trachten nicht für diese gesellschaftliche Welt, so wird mich wohl eine russische Kugel treffen. Ade Deutschland, vielleicht seh ich dich nie wieder. Kommst Du her, wie Du schreibst, so suche die Bekanntschaft der Fürstin, und sage ihr, wenn ich am Leben bliebe, würde ich ihr einst antworten. Sie hat mir einen wunderbar klugen Brief über William, Hippolyt, Leopold und alle diese betreffenden Verhältnisse geschrieben. Man darf sie nicht nach dem gewöhnlichen Maßstabe messen, sie ist ein[180] merkwürdig Weib, die vielleicht durch allzu spitze Klugheit sich und andere verderbt. Ich schreibe Dir dies in Breslau – lebe wohl, ich reise. Halte Dein Herz munter, Freund, laß es nicht vertrocknen.

Quelle:
Heinrich Laube: Das junge Europa, in: Heinrich Laubes gesammelte Werke in fünfzig Bänden, 3 Bände, Band 1, Leipzig 1908, S. 177-181.
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