[148] Es war dem Valerius, als ginge seine Jugend zu Ende mit der Abreise von Warschau. Alle seine früheren Wünsche, Hoffnungen und Gedanken glaubte er in Irrtümer verwandelt zu sehen, da er ein freiheitslustiges Volk aufgeben müsse.
Tief und schwer seufzte er auf: »Und auch die Liebe geht zu Ende, auch sie ist nicht mehr zu gewinnen. O, Jugend, du Inbegriff alles Reizes, warum scheidest du so früh von mir! Was ist das Leben ohne Hoffnung, und wo gibt's eine Hoffnung ohne Jugend? Nur die Jugend hat Farbe und Begeisterung, was werd' ich anfangen mit den grauen Tagen ohne Rot und Grün, die keine Kraft mehr in mir wecken. Die Jugend allein ist Poesie – wie soll ich mich fortschleppen ohne dich, du erhebende Schwärmerei!
Es gibt nur zwei Arten, glücklich zu sein: entweder man bewegt und bevölkert sich und die Welt mit Idealen, Aussichten, neuer Zukunft, man schaukelt sich auf der wogenden Bewegung des ungezügelten Strebens, – oder man betrachtet die Welt aus einem ruhigen Herzen, freut sich des Kleinsten, hilft und fördert im Kleinsten, pflanzt mit Genügsamkeit, wartet geduldig auf das Gedeihen, gestaltet das Unbedeutende zur gefälligen Form, verlangt nichts vom Tage, als was er eben bietet, und hält den Nachbar und sein Interesse höher als das Wohl oder Wehe von Nationen.
Nur der letzte Weg ist mir übrig, und es fehlt mir alles, was er in Anspruch nimmt. Sogar die wohlige Behaglichkeit des Körpers, diese Vergnügen erzeugende Harmonie des Leibes geht mir ab. Die Revolutionsmilch hat mich[148] aufgesäugt, unter Bewegung ist mir Geist und Körper groß gewachsen – wird es mir gelingen, einen neuen Menschen zu erziehen! Und doch muß es sein: ich habe zuwenig Fanatismus, zuwenig Leidenschaft, um als rücksichtsloser Bewegungsmann irgend ein Ziel zu finden. Ich werde ein jämmerliches Leben führen ohne Begeisterung und ohne Ruhe, zum Helden verdorben, zum Bürger untauglich – aber zum Leiden und Tragen geschickt; lebe wohl, Jugend!«
Damit nahm er seinen Mantel; er wollte von Joel Abschied nehmen und noch einmal seine Brücke besuchen, aber der Straße, wo Konstantie wohnte, ausweichen, soweit er konnte.
Es war ein sanfter, stiller Abend, den er auf der Straße fand, Frühlingsgedanken irrten schon vereinzelt hie und da in der Luft herum, und flüsterten unverständliche aber fröhlich klingende Worte den unbefangenen Leuten ins Ohr.
Überrascht von dem milden Eindruck der Luft blieb er einen Augenblick vor dem Hause stehen. Da kam eine verschleierte Dame an den Häusern entlang, sie war nicht mehr weit von ihm, als sie den Kopf aufrichtete und nach den Fenstern des zweiten Stockes zu sehen schien, ein Bedienter folgte ihr in der Entfernung von einigen Schritten. Jetzt war sie dicht bei Valerius, der Kopf wieder gesenkt.
»Konstantie!« sprach dieser leise. – »Valerius!«
Dieser Gegenruf schien aus dem Herzen der Dame zu springen, ehe sie Zeit gewonnen hatte, das überraschte Gemüt zu verschließen. Und nun folgte eine Szene, zu welcher nur tiefe und stolze Gemüter den Stoff liefern können, oder doch nur solche, welche imstande sind, die mächtigsten Gefühle lange und fest in ihren Busen verschlossen zu halten.
»Sind Sie es wirklich,« hub dieser weiter an, indem er neben der Forteilenden herschritt.
»Ich bin es; der Abend ist schön, das Haus war mir[149] eng: mögen es die Leute unschicklich finden, was kümmern mich die Leute« –
»O, wie dank' ich's dem milden Abende, der Sie herausgeführt, daß ich Sie noch einmal sehe; es soll mir ein Zeichen des Himmels sein, daß noch nicht alle Freude für mich verloren sei« –
»Sie wollen doch nicht« –
»Ja, Gnädige, es ist meine letzte Nacht in Warschau,« erwiderte er seufzend; »es will mich nichts mehr halten« –
»Valerius!«
»O dieser Ton! Warum öffnen Sie mir den Himmel, um ihn des andern Tages mit kaltem Blicke zu verschließen« –
»Das sagen Sie mir? Großer Gott! Bin ich so schwach, mich verspotten zu lassen, oder bin ich so töricht gewesen, nicht zu erkennen, was ich wünschte« –
»Sie sind so hart, Liebe zu entzünden, und dann stolz zurückzutreten, wenn Sie ein Zufall irre führt« –
»O, Himmel, nein, nicht hart und stolz, unglücklich bin ich, Valerius – Sie dürfen morgen nicht reisen« –
»Ein ganzes Heer in Waffen vermag's jetzt nicht, mich fortzutreiben, Konstantie, reich' mir einen Augenblick deine Hand, daß ich fühle, mein Glück sei wirklich« –
»O du Lieber, o du Liebster – verlaß mich jetzt, wir sind an meiner Wohnung, aber sei nicht lange von mir, mein Herz zerspringt vor Freude und Verlangen – drüben in der andern Straße, an der Türe des Gartenhauses, warte einen Augenblick – tritt einen Schritt zurück, dort unter die Laterne, daß ich dein Auge sehe, dein liebes Auge – nun geh schnell, ich fliege.«
Trunken vor Seligkeit schwankte Valerius hinweg und suchte jene Straße. »Himmel, warum hast du an einem solchen Abende keine Sterne!« rief er mit freudebebender Stimme. Aber es war eine schwere Aufgabe für ihn, die Front des Gartenhauses zu finden; er hatte sie nie gesehen[150] von dieser Seite, die Straße war dunkel und lang, sein Wesen war in taumelnder Bewegung und nicht eben geeignet, viel lokale Kombination zu entwickeln, um aus der Lage des Palais auf die des Hintergebäudes schließen zu können. Unsicher schlich er an vier bis fünf Häusern auf und nieder, unter denen er seine Glückspforte verborgen glaubte, eine beklemmende Angst kam über ihn, daß ihm das Glück wieder entschlüpfen könne. Alles war still, keine Tür bewegte sich.
»Ich Unglückskind,« rief er, »ich bin gewiß am falschen Orte!« Und dabei ging er einige Schritte weiter. Aber hinter sich glaubte er jetzt Geräusch zu hören – wirklich, eine Tür war offen, er trat hinein, eine weiche warme Hand ergriff ihn. Die Tür ward zugeschlagen, und im Dunkeln gingen sie leise durch den Salon des Gartenhauses, durch den bedeckten Gang, eine schmale Treppe hinauf, seine Begleiterin öffnete eine Tür, und er sah Konstantien neben sich in einem hohen, schönen Gemach, das eine von der Decke herabschwebende Lampe erhellte.
Mit dem Ausrufe »Valerius, mein Valerius!« schlang sie stürmisch die Arme um ihn und drückte den Kopf tief in seine Schulter.
Er küßte ihr den Hals und bedeckte sich das Gesicht mit ihren aufgelösten Haaren. Sie sprachen lange kein Wort.
Endlich begann er leise, ganz leise: »Wie konntest du uns so peinigen und meine Liebe nicht sehen!«
Konstantie richtete sich auf, und einen Schritt zurücktretend legte sie ihm die bebende Hand auf den Mund: »Nichts, nichts davon, mein Lieber; o ich bin unaussprechlich glücklich!«
Auge in Auge blieben sie wiederum lange schweigend. Konstantie glich der Gestalt einer stolzen Göttin, die alles vergißt und nur in ihrer Leidenschaft schwelgt. Überwältigendes Glück strahlte aus ihren glänzenden Augen, unter[151] dem leichten schwarzseidenen Gewande glaubte man das Herz schlagen, Blut und Muskeln in Freude hüpfen zu sehen, so drängten sich die strebenden Glieder der hohen Figur hinüber zu dem Geliebten. Es glich der schöne, sich neigende Körper einer zauberhaften sinnlichen Ahnung, daß sich zwei Menschen im nächsten Augenblicke umarmen, bis zur Todeslust umarmen, bis zur Auflösung alles Sinnlichen ineinander fesseln und drängen würden.
Und so erfaßte denn auch Valerius den schönen, in Freude und Liebe zitternden Leib, wie er seiner zu harren schien, er hob ihn mit schwellenden Armen an sein Herz, und sie zerstörten sich beide fast in leidenschaftlichem Pressen und Drängen.
Nach diesem ersten Sturme so lange zurückgehaltener Gefühle brachen die Tränen heiß mit strömend aus Konstantiens Augen – die Tränen fehlen nimmer, wenn die Gottheit in uns rege wird, und hier brachen sie die immer noch schmerzliche Sehnsucht des Weibes; ihr Antlitz, ihre gespannten Arme, ihr ganzer straffer Körper wurde weich und nachgiebig, und die Rede, sanft und innig wie der tiefste verborgenste Ton der Seele, trat wieder auf die Lippen. Und diese Lippen küßten jetzt mild und schmeichelnd.
»Du hast meine ganze Seele, Valerius, und ich weine, daß ich nicht mehr für dich habe, und ich weine, daß ich glücklich bin wie ein Kind, das in den Himmel kommt.«
Valerius trug die zusammensinkende Geliebte auf ein kleines Taburett, das neben dem Sofa stand, kniete vor ihr nieder, legte den Kopf in ihren Schoß und bedeckte sich bald die Augen mit ihren willenlosen, nachgiebigen Händen, bald führte er sie an seine Lippen.
Sie waren so selig und ruhig nach jenem Sturme, daß sie sich einmal über das andere zuflüsterten: »Hörst du, Konstantie, siehst du, Valerius, wie die kleinen rosenroten Engel[152] um uns herflattern und sich küssen und Geschichten erzählen von der Liebe Gottes und seiner Menschen.«
Das sind Augenblicke, wo die Menschen unmittelbar mit schönen Welten verkehren, wo sie jene Ahnungen von Gottes unergründlicher Liebe, von unendlichen Freuden außerhalb dieses Lebens tief einsaugen in das offene, empfängliche Gemüt. Wenn der Mensch den Menschen am erschöpfendsten liebt, da gehen alle Geheimnisse der Welt vor ihm auf. Denn in der Liebe ruht das Geheimnis der Schöpfung, sie »spricht mit Engelszungen«.
Valerius richtete sich allmählich wieder in die Höhe, und seine Blicke legten sich wie die Liebe selbst in die Augen und das süße Antlitz des Weibes. Er dachte nichts, er wußte nicht, was er fühlte, aber die Schönheit dieses Angesichts flocht und weckte sich durch Leib und Geist mit ihrer klaren wohltuenden Gewalt. Er hatte keinen Wunsch, als sie anzublicken, alle Schönheitsfreude durchrieselte ihn dabei wie ein frischer Bach. Konstantiens schwarzes Kleid war zugeknöpft bis an den Hals, langsam öffnete er's und streifte es herab über die blendende Achsel, welche hervorleuchtete, über die hochgewölbte Brust.
Sie ließ alles ruhig geschehen und wendete ihr Auge nicht ab von seinem Blick: »Du bist so rein, Valerius, so frei von jener groben männlichen Sinnlichkeit, die auch das heißeste Weib erschreckt – o, ich war nie so glücklich.«
Er küßte sie auf das Herz, und seine Wange daran lehnend und mit der Hand ihr Gesicht herabziehend, sprach er wie in einer trunkenen Schwärmerei: »Sieh, Konstantie, ich bin ein Träumer – du hast mich oft so gescholten, und du hast mich recht gescholten, sieh und höre, wie ich träume: ich habe einen herrlichen schönen Gott, er ist mir überall, wo sich mir eine Schönheit, eine Tätigkeit, eine Bewegung offenbart, er rauscht in den Bäumen, in den Wellen, er sieht aus der feuchten Pflanze, wenn sie sich öffnet, er spricht aus[153] dem Munde eines Volkes, aus dem Munde eines unbedeutenden Menschen, aus jedem Moment der Tagesgeschichte, aber so lieb, und so klar und bezaubernd hat er noch nimmer zu mir gesprochen, als heute aus deiner Schönheit. Aus deinem Busen klopft er in meine Wange, aus der weißen Haut und der vollkommenen Form deiner Schulter lacht er mir in die Augen wie der unverhüllte alte und ewig junge Reiz der Griechen. Hier, wo das Kleid, das widerspenstige, mich hindert, mehr als ein Stück deines stolzen Oberarmes zu sehen, hier beginnt die verschleiernde Romantik – nicht doch, sieh, die schwache Seide weicht der Gottheit, o Weib, was bist du schön!«
Konstantie verschloß ihm den Mund mit Küssen: »Mann meines innersten Herzens, ich hasse, ich fürchte den Tod, aber jetzt könnt' ich sterben, in deinem schönen Gotte vergehen.«
»Horch, wie dein Herz klopft, Weib, dies Leben hebt über alle Schönheit hinaus; das ist wieder mein Gott, Weib meines süßen Glücks, horch, wie dein Herz klopft, warum jauchzt es so, weißt du's?«
»Mein Herz klopft wild beweglich,
Es klopft beweglich wild,
Weil ich dich lieb' unsäglich,
Du liebes Menschenbild!«
erwiderte sie stürmisch mit den Worten des Dichters, und die Liebkosungen schlugen wieder zusammen über dem zärtlichen Paare mit ihren hohen strahlenden Wogen.
Es scheint ein Widerspruch zu sein mit der raschen, forteilenden Empfindung, daß Liebende in der höchsten Bewegung ihrer Leidenschaft die schwierigsten Gedanken des menschlichen Geistes berühren, über die wichtigsten Interessen des Menschen mit wenig Worten entscheiden. Aber es ist keiner, und die Erscheinung ist wahr und alltäglich. Alle höheren Kräfte sind aber auch in solchen Momenten entwickelt, wirksam, tätig, das Herz liegt weit geöffnet und gibt[154] sie frei, all seine besten Gedanken, und es ist ein altes Wort: die besten Gedanken kommen aus dem Herzen.
Zwischen die Zärtlichkeit unserer Liebenden drängten sich Gespräche, Ausrufungen, einzelne Sätze der mannigfaltigsten Art. Sie entwickelten sich auch gegenseitig ihren Charakter, und Konstantie konnte nicht müde werden, ihrem Geliebten vorzuwerfen, daß er sich zu trübe, zu nachteilig beurteile. »Was du so anklagst,« sagte sie, »dies ewig nachdenkliche, prüfende, befangene Wesen, das hat mich zu dir gezogen, gleich als ich dich das erstemal gesehen hatte. Wir Frauen sind alle unbefangen; wenn wir eine Zukunft von drei Tagen bedenken, so ist das schon ungewöhnlich, die Zukunft ist der Männer, darum ist der Mann am gefährlichsten für uns, der sie zu beherrschen, sich zu sichern, zu unterwerfen trachtet. Wir sehen, daß er für etwas sorgt, wofür wir kein Auffassungsvermögen haben, und das gewährt ihm eine große Überlegenheit, wir fühlen uns gesicherter, gehoben in seiner Nähe; die unbekannten Mächte, die er bewältigen will, weben ein Geheimnis um sein Wesen, das uns reizt und anzieht, und so kommt das gar bald, was du Poesie nennst, was uns Interesse, Liebe heißt. O, ihr Männer mögt diesen Zauber gar nicht empfinden: wenn du in die Gesellschaft tratst und das Gespräch ergriffst, und es mit wenig Worten bedeutsamer machtest, da wachten die süßesten Ahnungen in mir auf von höheren, schöneren Dingen. Ich kann sie dir nicht schildern, ich hatte keine Namen dafür, aber sie waren da, sie kommen täglich wieder mit deinem dunklen, sinnenden Auge, mit deinen wunderlichen, schweren Worten, die immer so anders sind als die der gewöhnlichen Leute. All mein Stolz war neben dir entwaffnet, mein Verstand mochte noch so schnell operieren, er mißtraute seinen Worten, wenn ich sie vor dir aussprach, alles war leer neben den deinen, es fehlte eben jene Anknüpfung an andere Welten, die wie ein hervorhebender Schatten auf deinen kleinsten Gedanken lag.[155] Was hab' ich mich gescholten, wenn mein Herz dir so offen entgegensprang, was hab' ich gelitten bei deinem Zurückhalten; wie arm, wie unbedeutend kam ich mir vor, wie bitter hab' ich geweint, daß ich nicht geistigen Zauber genug besäße, dich zu fesseln, und weinend hab' ich den Spiegel geschlagen, daß er lüge, daß ich nicht schön sei, oder doch eine leere, uninteressante Schönheit – lache immer, küsse immer, du Schelm, wir wissen's so gut, daß wir schön sind, wie ihr, wenn ihr geistreich seid.
Glaubst du, daß es mich innig freut, so alten Stolz, sogar den nötigen Stolz gegen dich vergessen zu haben – sieh, diesen, gerade diesen Kuß hab' ich immer dafür erwartet, o, du bist gut und lieb; und noch viel zu stolz bin ich gewesen.
Wie kannst du fragen, was mich nach Warschau geführt hat – die Liebe, und die Liebe führte mich heut abend in deine Straße, ich wollte wenigstens dein Licht brennen sehen. Wenn ich dich still zu Hause wußte, da ward ich ruhiger, du warst mir näher dann – o, ich wußte alles, was du machtest; weißt du, wer hier ist? William –«
»William!«
»Der Narr verfolgt mich überall mit seiner Neigung; er ist einige Male während deiner Abwesenheit in unserem Salon gewesen, sonst seh' ich ihn nicht, ich mag diesen harten fanatischen Menschen nicht, aber er schreibt mir alle Tage, und da er immer von dir erzählt, so lass' ich mir's gefallen. Er hat dich nicht aufgesucht, weil er dein revolutionäres Treiben haßt, aber es sind noch mehr junge Deutsche hier, welche dich oft sehen – ich glaub's wohl, daß du dich verwunderst; es ist nicht nötig, daß du sie kennst, ihre Geschäfte hier mögen nicht die lautersten sein. Was denkst du eben, geschwind, sprich, eh' du dich auf eine Lüge besinnen kannst!«
Valerius wickelte ihre herabhängenden Haare um seine Hand und erwiderte lächelnd: »Ich dachte dich und mich, zwei[156] so verschiedene Wesen, und es ist mir jetzt klarer als je, daß die verschiedensten Wesen gegeneinander die feurigste, lebendigste Liebe entwickeln. Die Leute sagen immer: Es sind zwei gleiche Wesen, ihre Gedanken begegnen sich überall, sie passen vortrefflich zusammen. Aber so ist's nicht; das gibt eine eintönige, langweilige Liebe, eine Liebe der Eitelkeit, wo sich eins in dem andern bespiegelt. Die Gegensätze bilden das tüchtigste Leben, sie entwickeln die Kraft und die Stärke. Sind wir nicht die verschiedensten Wesen von der Welt, Konstantie? Du voll stürmender Leidenschaft, ich langsam prüfender, überlegender Mann; aber vereinigt sind wir eine Welt, eine Welt voll Kraft und Glück! Wo die Fähigkeit des einen aufhört, da beginnt die des anderen, wir ergänzen uns, und so erzeugen wir ein drittes, neues Leben, das uns beiden überlegen ist, uns beide beherrscht und glücklich macht – Konstantie, wie heißt dies Wesen?«
»Liebe heißt es, Liebe, Liebe, o du süßes, göttliches Wort! Komm, du besonnener Mann, mein Atem, meine Küsse, mein Blut sollen deine Seele aufjagen, daß sie springt wie ein besonnener Hirsch – Mann, du erstickst mich.«
Unter diesem Tändeln und Kosen verstrich die Zeit, und Konstantie mußte den Geliebten endlich selbst an den Aufbruch mahnen. Sie erhob sich von ihrem Sitze, und ein flüchtiges Rot der Scham flog über ihr Gesicht, als sie den zerrissenen Ärmel des Kleides um den bloßen Arm flattern sah. Schnell warf sie die langen Haare um die Achsel und hielt dem Valerius die Augen zu. »Geh jetzt, mein Lieber, nimm den Schlüssel zur Tür des Gartenhauses, und wenn du im letzten Fenster meines Schlafzimmers die Gardine ein wenig in die Höhe gezogen siehst, dann können wir uns sehen, und ich erwarte dich hier. Aber warte, dies eine Zeichen ist zuwenig, der Zufall und meine Kammerfrau könnten uns einen Streich spielen. Wenn du am Tage jenen weißen seidenen Schal an mir erblickst, so sei dir das ein Zeichen, daß helle[157] seidene Stunden unser warten. Ja? Und komme hübsch täglich ins Haus, spiele den Bekehrten gegen den alten Herrn, ob du dich bekehren sollst, besprechen wir noch; aber verrate dich mit keinem Blicke, er sieht scharf wie ein Luchs, und traut dir auch in diesem Punkte nicht. Dein schönes Lied an jenem Abende, das mich ins Leben zurückrief, kann er nicht vergessen. Was es ihn kümmert? Du wunderlicher Narr, siehst du nicht, daß er bei aller seiner Bildung ein stolzes, altes Weib ist, das mich gern verkuppeln möchte. Was helfen alle die schönen Theorien von Freiheit und Gleichgültigkeit, die eingelebten Dinge bleiben herrschend, wenn's zum Handeln kommt – nur die Liebe, mein Kind, überwindet alles und die Zeit; die Vernunft ist ein schwaches Ding – fort mit deinem Philosophengesicht, o pfui, das war ein kalter, ein zerstreuter Kuß, laß dir die Haare von deiner Stirnwunde streichen, so, so, Himmel, wenn der Säbel tiefer gegangen wäre in diesen lieben Verstand hinein – o wie schön, wie schön ist solch ein zärtlicher, keuscher Kuß von dir, wenn die Seele dabei aus deinem Auge winkt, noch einen! Ach, daß wir scheiden müssen, daß das Leben soviel Lücken, hat – o, guter, lieber Mann, wir dürfen nicht länger weilen, der Morgen übereilt uns. – Und doch, ja bleibe – nein, laß uns vernünftig handeln, diesen noch, und bloß noch diesen Kuß, und nun Ade – Ade! Da, hüll' dich fest in den Mantel, 's ist kalt draußen, – öffne leise die Tür – Ade! o eil' nicht so – Valerius, komm noch einmal zurück, das war ja kein ordentlicher Abschiedskuß, so, so – o, mein ganzes, bestes Leben – Gott behüte dich sorgsam! – – Ade – Ade« –
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