5. Auftritt

[16] Vorige. Klapproth.


KLAPPROTH mit Paketen schwer beladen, einen Amateur-Photographen über der Schulter hängend, das Stativ in der Hand, stößt mit demselben an einen Herrn.

ERSTER GAST ärgerlich. Nehmen Sie sich doch in acht.

KLAPPROTH sich zu ihm wendend, tritt einem andern Herrn auf den Fuß. O bitte, entschuldigen Sie!

ZWEITER GAST. Zum Teufel, mein Herr, treten Sie gefälligst auf Ihre eigenen Füße!

KLAPPROTH zu ihm. Pardon! Pardon!

ERSTER GAST mit dem andern sich brummend entfernend. Was das für eine Mode ist, wie ein Lastkamel beladen in ein Lokal zu kommen!

KLAPPROTH ist zu den Damen an den Tisch getreten. Da bin ich, Kinderchen! Legt die Sachen ab, wobei die Damen ihm behilflich sind.

ULRIKE. Ja, wo bleibst du denn nur, Philipp?[16]

KLAPPROTH. Wo werde ich geblieben sein? Umgesehen habe ich mich und zwar gründlich. Zu was bin ich denn in einer Großstadt, wie Berlin, wenn ich mir nichts ansehen soll? Zu was soll ich mich denn immer mit den Schilderungen anderer begnügen? Selbst sehen, das ist unterhaltend und belehrend. So komme ich jetzt z.B. von der armen Arbeiterfrau, von der in den Zeitungen stand, daß sie der Himmel mit gesunden, lebendigen Drillingen beschenkt hat! Na ja! so was wird einem doch nicht alle Tage geboten.

ULRIKE. Was hast du denn davon, daß du das gesehen hast?

KLAPPROTH stolz. Pate bin ich geworden, denkt Euch mal, Pate von einem lebendigen Drilling.

ULRIKE für sich. Sehr unterhaltend!

ALFRED beiseite. Aeußerst belehrend!

FRANZISKA die in den Paketen herumgestöbert hat, ein Etui hervorziehend. Was ist denn das, Onkel?

KLAPPROTH. Eine Haus- und Reise-Apotheke mit ausführlicher Gebrauchsanweisung unter dem Titel: »Jedermann sein eigener Arzt.« Für alles ist gesorgt, für alles ein brillantes Mittel. Wenn sich also eines von Euch nicht ganz gut befinden sollte –

ALFRED. Bedaure, mir ist ganz wohl.

KLAPPROTH. Schade! Nicht vielleicht ein bißchen Kopfweh, Zahnreißen, Ohrensausen, Magendrücken oder –[17]

ULRIKE. Hör' auf, hör' auf, du machst mich ganz nervös.

KLAPPROTH. Nervös? Hm, dagegen gibt es kein eigentliches Mittel, aber wenn du –

IDA hat ein Fläschchen entkorkt und will daran riechen. Was ist denn das für närrisches Zeug?

KLAPPROTH. Nicht daran riechen, sonst bekommst du eine ganz schwarze Nase, 's ist Silberlösung.

ULRIKE. Zu was brauchst du das schon wieder?

KLAPPROTH. Für meinen photographischen Apparat.

ULRIKE. Photographieren willst du auch noch?

KLAPPROTH. Gewiß, Momentbilder. Willst du ein Momentbild haben? Nimmt den Apparat.

ULRIKE. Um Gottes willen, nein, nein!

KLAPPROTH. Wenn wir wieder zu Hause sind. Gib acht, was uns das für Vergnügen macht.

ULRIKE seufzend, für sich. Ich seh's schon kommen. Ach, hätten wir ihn doch erst wieder daheim!

KLAPPROTH auf die Uhr sehend. Kinderchen, es ist jetzt aber die höchste Zeit, daß Ihr aufbrecht, sonst versäumt Ihr den Zug.[18]

ULRIKE. Ja, fährst du denn nicht mit, Philipp?

ALFRED. Wie?

IDA UND FRANZISKA. Willst du noch hierbleiben, Onkel?

KLAPPROTH. Die kleine Strecke könnt Ihr doch ganz ruhig allein reisen, ich komme entweder morgen oder übermorgen nach.

ALFRED seufzend. Ach, du lieber Gott!

ULRIKE. Unsere Einkäufe sind ja besorgt, und die deinigen, wie ich hoffe, auch. Was willst du denn noch hier tun?

KLAPPROTH. Ich habe noch einige Geschäfte zu erledigen, und will noch verschiedene Sehenswürdigkeiten in Augenschein nehmen. Aber jetzt sputet Euch –

ULRIKE. Komm, Philipp, fahre mit, das entgeht dir ja nicht, wenn –

KLAPPROTH. Du weißt, Ulrike, ich kann das ewige Widersprechen nicht leiden und habe mir deswegen auch keine Frau angeschafft.

ULRIKE. Wenn du denn absolut bleiben willst, gut, bleiben wir alle. Uns kommt es ja schließlich auch auf ein oder zwei Tage nicht an.

IDA. Ach ja!

FRANZISKA. Uns eilt es nicht![19]

KLAPPROTH. Nichts da, es bleibt, wie ich's gesagt habe. Die Damen rüsten sich zum Aufbruch. Der Kellner hilft Euch die Sachen in die Droschke bringen.

ALFRED für sich. Er bleibt wirklich. Ach, du lieber Gott!

ULRIKE leise zu Alfred. Ich binde ihn dir auf die Seele, gib acht, daß er keine Dummheiten macht.

ALFRED. Ich will mein möglichstes tun, garantieren kann ich freilich für nichts.

KLAPPROTH drängend. Na adieu denn, Kinder, adieu Ulrike.

IDA. Adieu, Onkel!

FRANZISKA. Besuche uns einmal, Alfred.

ULRIKE. Bleibe nicht so lange aus, Philipp, hörst du?

KLAPPROTH. Nun macht aber, daß Ihr fortkommt, sonst werde ich ernstlich böse. Schnell.


Die drei Damen ab.


KLAPPROTH ihnen befriedigt nachschauend. Na, endlich!

ALFRED für sich. Ich möchte wissen, was ihn noch hier gehalten hat.

KLAPPROTH gemütlich. So! Nun wären wir ja wieder einmal unter uns. Setze dich, mein Junge, ich habe mit dir zu plaudern.[20]

ALFRED für sich. Was das wohl geben wird!

BLUMENMÄDCHEN zu Klapproth tretend. Bukett gefällig?

KLAPPROTH sie schmunzelnd betrachtend. Nein, danke, brauche eine Blumen.

BLUMENMÄDCHEN ab.

KLAPPROTH. Alfred, mir ist zu Ohren gekommen, du seist im Begriff, dich selbständig zu machen, dich zu etablieren, und suchtest zu diesem Zweck einen Kapitalisten, der dir die nötigen Gelder vorschießt.

ALFRED. Das stimmt.

KLAPPROTH. Du hast aber noch keinen gefunden.

ALFRED. Das stimmt leider auch.

KLAPPROTH. Geschieht dir recht! Warum hast du dich nicht an mich gewendet?

ALFRED. Wie Onkel, du wolltest?

KLAPPROTH. Warum nicht?

ALFRED erfreut. Onkel, wie soll ich –

KLAPPROTH ihn auf den Stuhl niederdrückend. Keine Danksagungen, dagegen hoffe ich, daß du mir auch einen Gefallen tust. Willst du?[21]

ALFRED. Aber mit tausend Freuden, natürlich!

KLAPPROTH. Schön, ich hab's auch nicht anders erwartet, und habe deshalb auch die Damen nach Hause geschickt, damit wir ungestört sind.

ALFRED. Aha, ich merke schon, Onkelchen will auf galante Abenteuer ausgehen und –

KLAPPROTH. Unsinn! Seh' ich aus wie galante Abenteuer? Ich will ja nicht leugnen, daß es eine Zeit gab, wo man ein ganz verfluchter Kerl war, aber das ist vorbei. Nein, ich habe andere Absichten. Siehst du, an unserem Stammtisch ist nämlich der reiche Schneidermeister Helferich, über den ich mich noch halb tot ärgern muß. Der reist auch alle paar Wochen hierher nach Berlin, und wenn er zurückkommt, dann erzählt der Mensch die haarsträubendsten Räubergeschichten, wo er nicht überall gewesen ist, und was er nicht alles gesehen hat. Und dabei reißt der Kerl das Maul auf und tut gerade so, als ob unsereins ihm das gar nicht nachmachen könne.

ALFRED. Ach, deshalb bist du auch hier so herumgejagt von einer Sehenswürdigkeit zur anderen.

KLAPPROTH. Um ihm den Mund zu stopfen, ganz richtig. Aber das genügt noch nicht, ich muß ihn übertrumpfen, ich muß etwas gesehen haben, was er noch nicht gesehen hat, und dazu sollst du mir verhelfen.

ALFRED. Gern. Ich zerbreche mir aber vergebens den Kopf.

KLAPPROTH. Gar nicht nötig, ich habe in dieser Beziehung so wie so schon seit langem einen sehnlichen Wunsch. Da habe ich nämlich vor einiger Zeit einen außerordentlich fesselnden[22] Artikel über Heilanstalten für Geisteskranke gelesen. Und da bei mir zu Hause ein solches Institut gebaut werden soll, ist natürlich sofort in mir der Gedanke rege geworden, einmal eine solche Anstalt zu besuchen. Namentlich ein Ball oder eine Soirée in einem solchen Etablissement soll das Interessanteste sein, was man sich denken kann. Hier sind nun eine ganze Reihe solcher Privatinstitute – du bist mit aller Welt bekannt, und ich rechne deshalb fest darauf, daß du mir zu der Gelegenheit verhelfen wirst, einmal einem solchen merkwürdigen Abend beizuwohnen.

ALFRED erstarrt. Ich? Onkel – da – da – das ist doch dein Ernst nicht?

KLAPPROTH. Warum denn nicht? – mein voller Ernst. Freue mich ja schon die ganze Zeit darauf.

ALFRED. Aber lieber Onkel, ich –

KLAPPROTH. Also mein lieber Junge, verschwende nicht so viel unnütze Worte, sondern sieh zu, wie du zur Erfüllung meines Wunsches am besten beitragen kannst, du weißt, ich kann nicht lange hierbleiben. Plötzlich aufspringend, Lärm hinter der Szene. Herrjeh! Was ist denn das? Eine Hauerei, wie es scheint. Sapperment, das muß ich mir doch einmal in der Nähe ansehen! Wo ist mein photographischer Apparat, vielleicht gibt's ein Momentbild. Ab rechts mit Apparat.

ALFRED nachblickend, nach einer Pause. Das ist ja, um aus der Haut zu fahren! Was das nun wieder für eine Idee ist. Darauf kann aber auch nur mein Onkel verfallen.

KISSLING hat sich ihm genähert, setzt sein Glas auf Alfreds Tisch. Du scheinst ja nicht sehr rosiger Laune zu sein?[23]

ALFRED. Wütend bin ich, außer mir bin ich!

KISSLING ruhig. Ah bah! Warum denn?

ALFRED. Denke dir, mein Onkel hat sich erboten, mir zur Gründung meines Geschäfts das nötige Geld vorzuschießen.

KISSLING. Ich komme diesem edlen Greis einen Hochachtungsschluck! Trinkt.

ALFRED. Ich muß also meinerseits alles aufbieten, ihn möglichst guter Laune zu erhalten.

KISSLING. Bis du das Geld hast. Sehr richtig.

ALFRED. Aber weißt du denn auch, was er ausgeheckt hat, und von mir quasi als Gegendienst verlangt?

KISSLING. Nun?

ALFRED. Ich soll ihm während seines Hierseins die Gelegenheit verschaffen, einen Ball oder einer Soirée in einer Heilanstalt für Geisteskranke beizuwohnen. Was sagst du zu einer solchen Ungeheuerlichkeit? Stelle ich dem Onkel die Schwierigkeiten und Unmöglichkeiten, seinen Wunsch zu erfüllen, vor, so legt er es mir in seinem Eigensinn sicher für bösen Willen aus, und läßt es hübsch bleiben, mir den so nötigen Kredit zu gewähren.

KISSLING. Da muß eben das Unmögliche möglich gemacht werden.

ALFRED. Das ist leicht gesagt, aber wie – wie?[24]

KISSLING. Das wird sich schon finden. – Apropos, gehst du heute zu Schöller?

ALFRED unmutig. Komische Frage! Ich kann doch meinen Onkel nicht allein lassen, und dann muß ich dir offen gestehen, ist die Gesellschaft, die dort wohnt, fast durchgängig eine so verschrobene, daß –

KISSLING. Famos! Da haben wir ja, was wir brauchen!

ALFRED. Ich verstehe dich nicht.

KISSLING. Und es liegt doch so nahe. Du führst deinen Onkel ganz einfach heut' abend zu Schöllers in die Gesellschaft und bestärkst ihn vorher geschickt in dem Gedanken, es sei eine Soirée in einer Privatheilanstalt, wie er sie zu sehen wünscht.

ALFRED entsetzt. Kißling! Mensch! Satan! Wie kannst du mir nur mit so einem impertinent ruhigen Gesicht einen so unverschämten, ungeheuerlichen Vorschlag machen!

KISSLING zum Kellner. Kellner, noch ein Pilsener! – Aber Freundchen, sei doch nicht so schwerfällig. Bedenke doch, wie günstig für dich die Chancen liegen. Wenn du schon sagst, es ist eine verschrobene, merkwürdige Gesellschaft dort zusammen, wie sollte da dein Onkel, der alsdann fest überzeugt ist, es mit geistig gestörten Patienten zu tun zu haben, den Schwindel merken? Er geht in diesem Gedanken hin und sieht folglich durch die Brille des Vorurteils. Und wie schwer ist es doch schon meistens im gewöhnlichen Leben, zu unterscheiden, wer verrückt ist und wer nicht. Du siehst also, daß mein Vorschlag lange nicht so gewagt ist, wie es anfänglich scheint.[25]

ALFRED zögernd. Du meinst also wirklich, es ginge?

KISSLING. Ich rede, um dir das zu beweisen, mir die Kehle trocken, und du fragst noch.

ALFRED. Na, man muß doch erst eine so geradezu verblüffende Idee ein wenig verdauen. – Sag' mal, würdest du mir eventuell bei der Ausführung ratend und helfend zur Seite stehen?

KISSLING. Ich war nie ein Spielverderber! Also abgemacht, der Onkel wird heute abend zu Schöllers geführt.

ALFRED. Verführer! Einschlagend. Gut denn, abgemacht. Aber kann ich denn so ohne weiteres den Onkel mitnehmen, der ja gar nicht eingeladen ist?

KISSLING. Kleinigkeit! Schöller ist froh, wenn jemand kommt, und zum Ueberfluß kann ich ihm ja noch rasch einige Zeilen schicken und den Onkel anmelden. Zieht sein Notizbuch und schreibt.


Quelle:
Carl Laufs: Pension Schöller. Berlin 11[o.J.], S. 16-26.
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