6. Clorinda betrachtet die Falschheit der Welt sammt ihren schnöden Wollüsten/ und verändert ihre Welt-Lieb in dero heiligen Haß

Meliùs est ire ad domum luctus, quàm ad domum convivii.

Eccles. 7. v. 3.


Es ist besser in das Klag-Hauß/ dann in das Trinck-Hauß gehen.


1.

O falsche Welt/ wer kan

Wohl deine Tück ergründen/

Dem Volck genug verkünden/

Und ernstlich zeigen an!

Hierzu zu wenig wäre

Der Pytho1 Zungen-Kunst/

Was ich darvon erkläre/

Nur Schatten ist/ und Dunst.


2.

Doch muß ich deine Tück'/

So gut ich kan/ beschreiben/

Zu diesem Werck mich treiben

Mein Elend und Unglück/

In welche mich gestürtzet[53]

Dein falsche Boßheit hat/

So/ daß ich Heyl-verkürtzet

Muß leben ohne Raht.


3.

Du bist dem Straussen gleich/

Wild/ grausam/ und zornmühtig:

Ob du schon scheinest gütig/

Holdselig/ und liebreich/2

Du legst die Wollust-Wäider

Zwar süß an deine Brust/

Erwürgst sie aber/ läider!

In mitten ihrer Lust.


4.

Was Dalila einmahl

An Samson hat begangen/3

Das hast du/ Bruth der Schlangen/

Verübet ohne Zahl/

Niemand ist dir entwichen/

(Der deine Gunst gesucht)

So nicht/ mit vielen Stichen

Verwundet/ dich verflucht.


5.

Du pflegest auch so gar

Der Seelen zu beranben/

Die deiner Falschheit glauben/

Sehnd Kinder der Gefahr:[54]

Du scheinest zwar zu lieben

Den/ welcher dir anhangt/

Ach aber gleich dem Dieben/

Der nach dem Beutel langt.


6.

Du bist den Apfflen gleich/

Die dort auff Sodoms-Heyden/

Zu sehen an mit Freuden/

Als wären sie Gold-reich/

Innwendig seynd sie aber

Voll Aschen; wie man meldt/

So ist/ ô Welt-Liebhaber/

Auch deine Braut/ die Welt.


7.

Auswendig/ wie der May/

Inwendig viel unstäter/

Als das Aprillen- Wetter/

Falsch/ wie ein altes Ay:

Auswendig schertzst/ und lachest/

Innwendig ungeheur/

Gleich einer Bomben/ krachest/

Die heiß schon von dem Feur.


8.

Du Seelen- Rauberin

Bist ärger/ und viel schlimmer/

Als dort gewesen nimmer

Circe die Zauberin/

So die Ulyss-Gesellen

Aus Spaß in Schwein verkehrt:[55]

Die dir anhangen wöllen/

Desgleichen wiederfahrt.


9.

Circe4 hat wiederumb

In Menschen sie verwandlet/

Mit ihnen mild gehandlet/

Als eine/ die noch frumb/

Du läider auch verkehrest

Die deinige in Schwein/

Ach aber ihnen sperrest

Den Menschen gleich zu seyn!


10.

Was Meroë5 gestifft

Für Unheil bey den Leuten/

Viel deren auszureuten

Mit ihrem Zauber-Gifft/

Ist gegen deinen Thaten

Nichts/ als ein Kinder-Spiel/

Viel tausend müssen braten/

Die dir getraut zu viel.


11.

Es ist/ ô böse Welt/

Dein arge Lieb beschaffen/

Gleich wie die Lieb der Affen/

Die nur den Liebsten quält/

Gehst um mit deinen Jungen

Im Schein der Lieb so hart/

Daß dero Seel gezwungen

Aus nach der Höllen fahrt.
[56]

12.

Gleich wie der Wind geneigt/

(Den Schiffmann unerschrocken

Nach hohem Meer zu locken)

Sich an dem Port erzeigt/

Wann er das Schiff erhoben/

Und weit hinein geweht/

Fangt er an wild zu toben/

Biß es zu scheitern geht.


13.

Auch du/ Wind-gleiche Welt/

Erzeigest dich auswendig

In deiner Lieb beständig/

Biß man dir Glauben hält/

Wann du das Hertz gewonnen/

Erfahrt man deine Treu/

Was du falsch angesponnen/

Verübst du ohne Scheu.


14.

Wer ist in deiner Gnad

Beständig je geblieben/

Dem du nicht umbgetrieben

Das leichte Glückes-Rad?

Wer diesen sich darff nennen/

Aus gantzer deiner Rott/

Der komm'/ ich will erkennen6

Ihn für den Lorbeer-Gott.
[57]

15.

Gleich wie der Artzt aus List

Die Pillulen vergüldet/

Dem Krancken süß fürbildet/

Was Gallen-bitter ist/

So gibst du auch mit Zucker

Das Gifft dem Menschen ein/

Da meint der arme Schlucker/

Es sey gewürtzter Wein.


16.

Wann bey dem Sünder dann

Die Wollust was verjesen/

So findt er/ daß gewesen

Der Zucker Entzian/

Drauff kommt die Forcht der Sünden/

Und machet solche Qual/

Die schärffer zu empfinden/

Als ein geschliffner Stahl.


17.

Der nie-vergnügte Schwamm

Der weltlichen Gelüsten

Ist gleich den Dracken-Brüsten/

Wo Milch und Gifft beysamm/

Vergifftet/ und ergötzet/

O wohl ein schöne Freud!

Wodurch die Seel verletzet/

Fallt in das gröste Läid.
[58]

18.

Man sagt viel von dem Zwang

Der reitzenden Sirenen,

Wie sie die Schiff-Leut hönen

Mit lieblichem Gesang:

Wann ihnen man zuhöret/

Wird das verzuckte Schiff

Von ihnen umbgekehret

Durch gantz verborgne Griff'.


19.

Du auch pflegst lieblich sehr

Den Menschen vorzusingen

Dein Untreu anzubringen

Auff diesem wilden Meer:

Mit deiner süssen Kählen

Bethörest du die Leut/

Daß die fürnehmste Seelen

Auch werden deine Beut.


20.

Weil niemand in der Höll/

Der nicht durch deine Thaten/

O Welt/ dahin gerahten/

So lieb' dich/ wer da wöll'/

Ich aber will verfluchen

Nun deine Grausamkeit/

Und meiner Seelen suchen

Die wahre Sicherheit.


Fußnoten

1 Die Beredungs-Göttin. Poët.


2 Filia populi mei crudelis, quasi ftruthio in deserto. Thren. 4. v. 3.


3 Iudic. 16.


4 Zauberin.


5 Zauberin.


6 Eris mihi magnus Apollo. Gott der Weißheit. Poët.


Quelle:
Laurentius von Schnüffis: Mirantisches Flötlein. Darmstadt 1968, S. 49-50,53-59.
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