Von der Judentochter die Novelle

[53] Es war eine schöne Jüdin,

ein wunderschönes Weib,

sie hatt ein schöne Tochter,

ihr Haar war schön geflochten,

zum Tanz war sie bereit.

(Des Knaben Wunderhorn)


I

Sei fremder zu mir, fremd. Laß toten Raum

von jetzt sein zwischen meinem Atem und

dem deinen. Denn heut wissen wir ja kaum

die Grenze mehr von deines Busens Rund


zu meinen Augen, deines Schoßes Schaum

zu meinen Lefzen, Lefzen wie ein Hund.

Komm mir mit Lippen, Zähnen, Zung und Gaum

so nicht entgegen mehr! Flieh mich, du Schlund!


Drei Tage waren, daß ich dich nicht sah,

seit wir uns kennen. Und in dieser Zeit

grub ich drei Zeichen in die Ewigkeit,


in den drei Tagen, die du mir nicht nah ...

Nun wieder aber stehen dir die Zitzen

geil ab vom Leibe, spitz wie Nadelspitzen!


II

Küßt mir den Mund und saugst, ihn küssend: »Nennt

er, den ich küsse, mich denn nie mehr wieder

scherzend wie oft: Mein Altes Testament ...?

Weißt du, das singt, das klingt! Wie Marsch und Lieder
[54]

einst an die Mauern Jerichos, so rennt

das wider all mein Blut! ... Ja! hier durchs Mieder

bohrt Judenmädchenbusen! ... Ein Percent

vom Juden, Christ, hast auch!«

Und ihre Glieder


aufrauschen wie der Wildstrom in dem Walde

in meiner Heimat. Und ihr Haar ist Sausen

in Wipfeln. Ihre Brüste Speere. Grausen

zielt nach mir, und ich bin gehetzt.

»Du! Skalde!


Barde! Sing mir des Judenvolkes Schrei,

als ob es Jagd in Odins Wäldern sei!«


III

Eß ich den Staub von deinen Füßen: wie

von Wüste Staub so schmeckt er. Und vermengt

mit Manna mundets. Opferblutbesprengt

auch. Deine Füße, deine Sohlen, sie


haben Vernarbtes, blasse Narben, die

sind, weil der Väter Fuß einst ward versengt,

von gottszornglühenden Splittern ward versengt

aus jenen weggeschmissenen Tafeln. Und nie nie

mehr heilt das vollends ...

»Wie? Und euere Füße?


Wateten euere denn nicht in Meth,

bis an die Knöchel in Honigbier? O Süße,


längst abgestandener Zucker! O noch weht

mich euer Meth-Rausch an aus deinem Mund!

Iß dich von meinen Füßen nüchtern und gesund!«
[55]

IV

Und dieses Spiel, grad eh der Vorhang fallen muß:

Eine Judenwohnung. Juden an den Wänden

auf Bildern. Aus der Abgemalten Lenden

lebendige Juden um den Tisch hier. Allen


ist Gleiches eigen. Und sie schweigen. Und gefallen

sich in dem Schweigen ... Wie soll ichs beenden,

der ich hier steh, wie mit gefesselten Händen?

Wie? welche Worte mir zum Wurfe ballen

und schleudern auf sie alle?


Da! vom Wein

Trunkene könnten nicht so ähnlich schrein

als die Entsetzenstrunkenen hier –


Trat ein

die meine, durch die Tür, ganz nackt am Leibe.

Und sang: »Ihr Judenvolk!« Und tanzte fein:

»so hatte je und je er mich zum Weibe!!«

Quelle:
Heinrich Lautensack: Das verstörte Fest. Gesammelte Werke. München 1966, S. 53-56.
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