Zweiter Auftritt

[1563] Fürst. Julius. Guido.


FÜRST. »Gott erhalte Sie und Ihr Haus?« – wenn nur ein Haus erhalten werden könnte, das mit sich selbst uneins ist. Ihr kennet den Schmerz eines Vaters nicht, und vermögt ihn nicht[1563] zu kennen, aber ihr wisset doch, daß es schmerzt, ein Gewächs verdorren zu sehn, das man selbst gepflanzt und gewartet hat. Nun so denkt euch den Gram eines Vaters, der die Freude an seinen Kindern verliert.

JULIUS. Ich hoffe, Herr Vater, es ist Ihnen bekannt, daß ich an dem Zwist nicht schuld bin.

FÜRST. Diese Freude sollte mir alle Sorgen eurer Erziehung vergelten, aber itzt seh ich's – ich glaubte Vergnügen zu säen, und siehe, ich ernte Tränen. –

Was soll ich von der Zukunft hoffen? – Da ihr itzt schon so handelt, was werdet ihr nicht tun, wenn euch Liebe und Furcht gegen mich nicht mehr zurückhalten! – mit welchen Empfindungen wollt ihr, daß ich sterben soll, wenn ich euch an meinem Todbett sehe? euch beide soll ich segnen, und jeder von euch hält Fluch über den andern für Segen auf sein Haupt? O Julius! o Guido! die ganze Welt läßt diese grauen Haare in Frieden in die Grube fahren – nur ihr nicht, nur ihr nicht – ich bitt euch, lieben Kinder, laßt mich in Ruhe sterben.

JULIUS. Ich versichre Ihnen bei allem, was heilig ist, ich bin unschuldig – und Sie würden meine Mäßigung bewundern, wenn Sie alle Beleidigungen wüßten, die er mir zugefügt hat. – O Bruder, es zerreißt mir das Herz, daß ich so reden muß.

GUIDO. Und die Geduld eines Märtyrers möchte zerreißen, wenn du von Beleidigungen reden kannst. – Keine Beleidigungen, nur die Wahrheit, sollst du mit Mäßigung anhören, wollte Gott, daß du das könntest!

FÜRST. Seid ruhig – ich weiß es genau, in welchem Grad ihr beide schuldig seid. – Aber kannst du es leugnen, Guido, daß du heute den Degen gegen Julius' Freund zogest, in einem Streit über deinen Bruder zogest?

GUIDO. Ich tat es, Herr Vater – aber mein Bruder, und nachher Aspermonte, hatten meine Ehre so tief, und mit so kaltem Blute verwundet; – ich wollte, Sie hätten es gehört, mit welcher Kälte sie meine Ehre –

FÜRST. Schämst du dich nicht von Ehre gegen Bruder und Vater zu reden? Wenn diese Torheit auch die Weisen überschreit, so sollte sie doch wenigstens die Stimme des Bluts nicht übertäuben.

GUIDO. Verzeihen Sie, Herr Vater, meine Ehre ist nichts, wenn sie in Betracht des einen etwas anders ist, als in Betracht des zweiten. –

FÜRST. Halt, Guido, ich hör nicht gern Leute deines Temperaments[1564] mit kochendem Blut von Grundsätzen reden – im Affekt trefft ihr sowenig, als andre das rechte Ziel – und seid denn nachher immer bereit, jedes im Affekt gesprochene Wort mit eurem Blute zu versiegeln. Itzt nichts mehr davon, ich will zu einer bequemern Zeit davon mit dir reden – wenn du mehr dazu aufgeräumt bist, einmal mit Ruhm aus einem Feldzuge zurückkommst, oder sonst eben eine große Handlung getan hast.

GUIDO. Möchten Sie bald diese Gelegenheit finden!

FÜRST. Ich kann sie finden, wenn du willst: – und du, Julius, kannst mir eine ähnliche geben, du brüstest dich mit deinem Mut, und du mit deiner Philosophie. Eure törichte Liebe zu überwinden, ist eine rühmliche Laufbahn für beide. Laßt sehn, wer am ersten beim Ziel ist! Und daß euch itzt noch die Eifersucht entzweit! Sonst glaubt ich, es sei nichts törichter, als eure Liebe; aber ich habe mich geirrt, eure itzige Leidenschaft ist noch törichter. Unmöglich kann einer von euch Blankan besitzen, sie ist eine Nonne – für euch tot – ihr könnt mit ebendem Recht die schöne Helena, oder Kleopatra lieben. Eure Liebe ist also ein Nichts! – und doch seid ihr eifersüchtig? – Eifersüchtig ohne Liebe: – das heißt keinen Wein trinken, und Torheiten eines Berauschten begehn. – Oder glaubt ihr, der Liebe sei nichts unmöglich? – Versucht es – aber ihr werdet hier alles finden, was den Menschen aufhalten kann – Schwur und Religion, Riegel und Mauern. – Überleg das, Julius, und hör auf zu trauren.

JULIUS. Ich habe noch nicht einmal so lange getraurt, als ein Witwer um seine Gattin – und Sie sagten ja, Blanka sei tot. Und sehen Sie, meine Klagen sind ja nicht das Haarausraufen am Sarg, es sind ja nur die Tränen am Grabsteine. Sehn Sie meiner Schwachheit etwas nach, lieber Vater!

FÜRST. Ich hab ihr nachgesehn – aber wenn ich es länger tue, so wird meine Nachsicht selbst Schwachheit. Wach endlich auf, und sei das, was du sein sollst – Du bist kein Mädchen, die Liebe ist nicht deine ganze Bestimmung. Du wirst ein Fürst, und mußt dem Vergnügen der Tarentiner dein Vergnügen aufopfern lernen.

JULIUS. Da verlangen die Tarentiner zu viel.

FÜRST. Nicht zu viel, mein Sohn – hier ist nichts mehr als ein Tausch. Du gibst ihnen dein Vergnügen, und sie dir ihren Ruhm.[1565] In einem Jahrhundert bist du der Fürst, der einzige von allen deinen Tarentinern, den man noch kennt, wie eine Stadt mit der Entfernung verschwindet, und bloß noch die Türme hervorragen; – und doch war jeder vergeßne Tarentiner ein Teil des Staats, ohne den du kein Fürst sein konntest, jeder arbeitete für dich, trug ein Steinchen zu der Ehrensäule, auf die du zuletzt deinen Namen schriebest.

JULIUS. Aber, Herr Vater, wenn ich nun ein verborgnes Leben so begierig suchte, als die Liebe ein dunkles Myrtengebüsch; so tauscht ich auf die Art Schatten für ein wirkliches Gut ein.

GUIDO. Bruder, du redest wie ein Träumender.

FÜRST. Julius, Julius, du bist tief gesunken; – doch ich will mich nicht erzürnen. Ich seh, es ist noch zu früh mit dir vernünftig zu reden – Gründe sind eine stärkende Arznei, und bei dir hat sich die Krankheit noch nicht gebrochen – Dir geht's wie den Leuten, die nichts sehen, weil sie zu lange starr auf einen Gegenstand sahen.

JULIUS. Ich will mich zwingen, Vater, einen Kampf kämpfen, der mir viel kosten wird.

FÜRST. O Sohn, sollte mein graues Haupt nichts über dich vermögen – meine Runzeln nichts gegen ihre reizende Züge, meine Tränen nichts gegen ihr Lächeln, mein Grab nichts gegen ihr Bette?

JULIUS. O mein Vater!

FÜRST. Julius, dies sind nicht die Tränen eines Mädchens – es sind die Tränen eines Vaters – auch um dich vergieße ich sie, Guido, du gehst mit deinem Bruder zu gleichem Teile – wie du so sprachlos dastehst? – Ich bitt euch, lieben Kinder, macht mir eine Freude, und umarmt euch – sollt es auch nur mit halben Herzen geschehn, ein Schauspiel sein, das ihr an meinem Geburtstag aufführt, – ich will mich täuschen, der getäuschte Zuschauer weint ja auch Freudentränen vor dem Schauplatz! Sie umarmen sich. – Die Wollust hab ich lange nicht gehabt. Er umarmt sie beide. Ich bitt euch, lieben Kinder, laßt dies graue Haar mit Frieden in die Grube fahren.[1566]


Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 1563-1567.
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