Zweiter Auftritt

[1575] Julius. Aspermonte.


JULIUS. Wie steht's, Aspermonte?

ASPERMONTE. Alle Anstalten sind getroffen, die aufgehende Sonne muß uns schon auf dem Meere finden.

JULIUS. Und wie ist Ihr Plan?

ASPERMONTE. Ich habe zwanzig Bewaffnete zusammen, und die denk ich in zwei Haufen zu teilen – mit dem einen fallen wir ins Kloster, und versichern uns ihrer Person – der andre soll mit dem Reisegeräte an der Gartentür auf uns warten – ein Schiff liegt bereit, und der Wind ist vortrefflich.

JULIUS. Aber Sie haben doch auch für Blankas Bequemlichkeit gesorgt?

ASPERMONTE. Als wenn sie meine Geliebte wäre.

JULIUS. Ich dank Ihnen; aber, lieber Aspermonte, ich hab es nie so stark gefühlt, was Vaterland sei, als itzt.

ASPERMONTE. Prinz, noch ist es Zeit! – Verlassen Sie Tarent nicht, wenn Sie es ungerne verlassen.

JULIUS. Ich verlasse es wie ein Weiser das Leben, gerne, aber unwillkürliche Schauer regen sich – und für die kann er nicht.

ASPERMONTE. Haben Sie Ihren Spazierritt ge macht?

JULIUS. Ja, und diese melancholischen Empfindungen sind eben die Frucht davon. Ich habe mir das Bild aller dieser Gegenden tief eingeprägt; es ist so angenehm in einer weiten Entfernung die väterlichen Fluren in Gedanken zu durchirren; – das soll mir Stoff für meine zukünftigen schwärmerischen Abende sein. Und ich versichere Sie, es ist hier kein Bach, kein Hügel, der mir nicht durch eine kleine Begebenheit aus meiner Kindheit, oder Jugend merkwürdig wäre – wirklich nur durch kleine Begebenheiten, deren Andenken aber dem Manne, den sie angehn, schätzbarer sind, als eine Weltgeschichte.

ASPERMONTE. Das Zitronenwäldchen, in dem Sie Blankan zum erstenmal sahn, und in dem Sie so oft träumten, haben Sie vermutlich vergessen?

JULIUS. Wie sollt ich, Aspermonte, wie sollt ich das, ich habe darin noch einige unschätzbare Minuten zugebracht, und wenn ich etwas von der Gegend mitnehmen könnte, so sollt es dies Wäldchen sein.

Zuletzt besucht ich noch die Gruft meiner Väter; – ein wahres[1575] Bild des Standes der Fürsten, dacht ich, als ich die silbernen Särge, und die verrotteten Fahnen sah! – Bei ihnen ist alles so, wie in jedem andern Stande, die Flittern ausgenommen, die sie allem, was sie angeht, anhängen. Die Hand voll Staub in diesem Sarge, ehemals der große Theoderich, liebte den Schädel in jenem, einst die schöne Agnese! – Können sie doch itzt ruhig schlafen, ohne daß ein Kammerherr im Vorsaal zu zischen braucht: »Pst.« Dieser erstickende Dunst ist wie der Dunst aus der Gruft eines Bettlers, und kein Schmeichler kann sagen, er duftet lieblich. Faulet nicht Theoderichs Hund so gut, als Theoderich, obgleich an seinem Grabe kein verrostetes Schwert und Szepter liegt – Hm, dacht ich, ich werd auch schon vermodern, wenn es gleich in keinem Erbbegräbnis geschieht!

ASPERMONTE. Ihre Anmerkungen sind richtig, aber es lassen sich bei ebender Gelegenheit auch andere machen, die ebenso richtig sind. – Lassen Sie den Stand eines Fürsten seine Flittern haben: – es ist dennoch der, für den Ihre große Seele gemacht ist. Sie verachten die Stände nicht, die diese Flittern nicht haben, denn sie sind Nebenwerk. – Gut, in dem Stande, der sie hat, sind sie auch Nebenwerk – Julius, Sie sind bestimmt, die Glückseligkeit vieler Tausenden zu gründen, und Ihr ganzer Zweck soll nun das Vergnügen und der Zeitvertreib eines einzigen Weibes sein?

JULIUS. Sie erzürnen mich, Aspermonte – Doch reden Sie, ich bin ja kein Fürst mehr.

ASPERMONTE. Auch auf die Art will ich es Ihnen zeigen, daß ein Fürst Freunde haben kann. Bedenken Sie noch einmal den Tausch, Vater und Vaterland für ein Weib!

JULIUS. Ich bin wie ein Standhafter auf der Folter, Ihre Vorstellungen können mich quälen, aber meinen Entschluß nicht besiegen – Sie haben recht, ich opfere ihr Vater und Vaterland, aber ist ein minder edles Opfer Blankas würdig? – Wann ich für sie diese teuren Gegenstände misse, so wird es mir vorkommen, als wenn sie mit ihr zusammenschmölzen. – Vater und Vaterland will ich in ihr lieben. – Ich bin auf meine eigene Liebe eifersüchtig; nichts soll sie mehr teilen, alles was meine ganze Natur von Neigungen zu äußern Dingen aufbringen kann, soll ihr gehören.

ASPERMONTE. Noch eine Vorstellung, Prinz! Wenn Sie bloß das Glück Ihres Volks nicht machten, so wären Sie zu entschuldigen,[1576] aber Sie machen sein Unglück. Ihrem Entschluß zufolge ist Guido sein künftiger Beherrscher.

JULIUS. Ich reise! – vielleicht haben Sie Ihren Entschluß geändert?

ASPERMONTE. Nein, Prinz, wenn Sie auf dem Ihrigen bestehn; – ich folge.

JULIUS. Und wo treffen wir uns heut abend?

ASPERMONTE. Um eilf Uhr und an der Eleonorenkirche. – Kleider zum Unkenntlichmachen schick ich Ihnen noch vorher zu.

JULIUS. Noch einen harten Stand hab ich, den Abschied von meinem Vater. – Bedenken Sie, von ihm auf ewig Abschied zu nehmen, ohne daß er's weiß. Sehen Sie, so sehr bin ich Bürge für die Festigkeit meines Entschlusses, daß ich in Rücksicht auf ihn diese Zusammenkunft nicht scheue; – aber sie wird mein ganzes Wesen erschüttern.

ASPERMONTE. Fassen Sie sich, er kommt; ich kann seinen Anblick nicht ertragen.


Ab.


JULIUS. Himmel, itzt und in meiner Todesstunde hilf mir!


Quelle:
Sturm und Drang. Band 2, München 1971, S. 1575-1577.
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