An einen Jugendfreund

[36] Des Lebens holder Zauber ging vorüber.

Ich klage, daß die Jugend mir verloren;

Doch eines macht mir noch die Klage trüber:

Die Treue brach, die du mir einst geschworen.

Nicht meint ich, daß vor uns das teure Erbe

Verblichner Jugend – ihre Freundschaft sterbe.


Du eiltest im Vergessen! ungeduldig

Warfst du dem Tod aus deiner Brust entgegen,

Was du nur allzubald dem herben schuldig,

Wenns einmal aus ist mit des Herzens Schlägen.

Nicht wolltest du die Treu im Busen halten

Bis an der Gruft gebieterisch Erkalten.


Wenn du tief schlummerst unter deinem Hügel,

Nichts mehr erfährst vom holden Lenzerwachen,

Wie laue Winde dann mit leichtem Flügel

Die Rosenglut am Strauch lebendig fachen,

Wie süß dann singen in den grünen Hallen

Von Rosenduft berauschte Nachtigallen:[36]


Dann wäre früh genug der Freund vergessen,

Den du geliebt in deinen Jugendtagen,

Des volles Herz gleich glühend, unermessen,

Dem Jugendideal und dir geschlagen.

Er hielt den Traum umarmet und dein Lieben,

Und beides sah er märchenhaft zerstieben.


Gleichwie Nachtlüfte wehn in Blütenhagen,

Wehmütig säuseln, doch kein Blatt entführen;

Wie Nachtigallen durch Gebüsche klagen,

Doch keine Rose je zu Tode rühren:

So sollte dieses Lied mit seinem Trauern

Durch deine reiche Freudenblüte schauern.


Jedoch umsonst, daß ich dem Lied geböte,

Es will nicht ahmen leiser Lüfte Zittern

Und nicht im Hain das klagende Geflöte;

Sein rauher Klang will deine Freude schüttern.

Hat doch der Frost, der mir von dir gekommen,

Von meinem Herbstgrün auch viel fortgenommen.


Das muß die sanften Klagetöne schärfen,

Seh ich den Freund, mir einst vor allen teuer,

Mein Herz in frohem Übermut verwerfen;

Und zünden muß des Stolzes zürnend Feuer.

Dies Herz war oft von Gottes Flammen helle,

Nicht der Verwerfung Staub ist seine Stelle.


Ich kann es meiner Klage nicht verwehren,

Daß sie dich führe längstverlaßne Pfade,

Und daß sie dich, vielleicht auch deine Zähren,

Zu einem trüben Abschiedsfeste lade;

Denn unsre Freundschaft will ich nun bestatten

Auf ewig in der Wehmut tiefern Schatten.

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 36-37.
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