In der Neujahrsnacht 1839/1840

[489] Fahr wohl, fahr hin, o Jahr! nimm fort mit dir im Scheiden

All deine Lust, nur laß nicht liegen mir die Leiden!


O könnt ich hinter dir die Pforte schließen, – hören,

Wie deine Tritte sich in stiller Nacht verlören!


Jetzt nah und schon so fern, wie auf der Flucht ein Reiter,

Daß mein Gedächtnis, müd, nicht folgen könnte weiter,


Wie einem Reitersmann des Weges noch ein Stücke

Nachbellend folgt der Hund, und still dann kehrt zurücke!


Doch ist dies eitler Wahn, des Weges nimmer müde,

Folgt deinen Spuren nach, wohl bis er stirbt, mein Rüde.


Fahr hin, unholdes Jahr! mir warst du von den schlimmen;

Es mögen andre dir ein Liedlein Dankes stimmen.


Die andern?! – strafend will die Scham mich überkommen,

Daß ich, was andern frommt, nicht mir auch ließe frommen.


Was gilt mein Körnlein Schmerz, was gilt mein Lüftchen Klage,

O scheidend Jahr, wenn ich den letzten Gruß dir sage?


Doch läßt mein Herz auch nur vom Weltgeschick sich führen,

Kann mich dein Scheiden nicht zu Dankestränen rühren.[490]


Zwar hieß dein wahres Wort manch Lügenbild erblassen,

Doch war dein Lieben matt, doch war zu kühl dein Hassen.


Zwar hast du unserm Heil den Weg gebahnt von Eisen;

Doch eisern mochte nicht dein Wille sich erweisen.


Noch fährt der Nachtgeist fort zu siegen und zu schrecken,

Auf neuen Feldern stets sein Lager abzustecken.


Eins sei gebeten, Jahr: was du getan, gesonnen,

Verlaufe nicht im Sand wie Wein zerschlagner Tonnen.


Wenn die Ablöse kommt, das neue Jahr von Osten,

Und nimmt an deiner Statt den Erdenwacheposten,


So murmle nicht zu dumpf die geltende Parole

In den bereiften Bart, daß sie der Wind nicht hole;


Damit dein Nachmann fein einhellig sich gebare,

In deinem Segensspruch nicht fluchend weiter fahre,


Und nicht, wo du geflucht, ins Knie anbetend sinke,

Und nicht, was du verscheucht, zurück liebkosend winke;


Und wo du Funken warfst, die glücklich schon gezündet,

Wo schon der Rauch für bald den Flammenschlag verkündet,


Da soll das neue Jahr nicht schrecken vor dem Rauche,

Nicht löschen feig stupid mit seinem Wasserschlauche!

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 489-491.
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