Der Traum

[801] Schlaf, Innozenz, schlaf wohl, und flöße

Ein sanfter Traum ins Herz dir Frieden.

Doch nein, der Schmerz, der dir beschieden,

Wächst fort im Schlaf zu wilder Größe.

Du bist tief krank; sollst du genesen,

Muß erst dein Leib im Sarg verwesen;

Nicht heilt der Brand, der dich verzehrt,

Weil er am Ewigen sich nährt.


Furchtbar zuweilen ist des Traumes Macht;

Er ängstigt, schmerzt, erschüttert, droht,

Und wenn der Schläfer nicht erwacht'

Im Augenblick, im nächsten wär er tot.

Hat man nicht oft den abends noch Gesunden

Des Morgens auf dem Lager tot gefunden?

Sein stilles Antlitz kann es euch nicht sagen,[801]

Ob ihn ein böser Traum erschlagen?

Ein Traum kann Übermaß von Freude geben,


Daran das Herz nicht ward gewöhnt im Leben,

Und eilte nicht das Herz, sich selbst zu wecken,

Es stünde still in seinem Himmelsschrecken.


Solch banges oder frohes Traumgesicht

Ergreife dich mit zaubrischer Gewalt,

Und wenn dein Herz im höchsten Sturme wallt,

Dann, Innozenz, erwache nicht!


Noch wacht der Papst in späten Nachtgedanken:

Dem Gifthauch der Irrlehre preisgegeben

Seh ich das Christentum auf Erden schwanken,

Das Grundgestein der Kirche fühl ich beben.


Die Seele und der Mittelpuls, das Herz,

Der Christenwelt durchwärmend alle Adern,

Bin ich durch Gott; drum quält mich tiefster Schmerz,

Daß krank die Glieder mit dem Herzen hadern.

Wenn Luzifer sein Schwert stets wilder schwingt,

Und wenn es dem Verderber wo gelingt,

Ein Glied vom Leib der Kirche abzuschneiden,

Durchzuckt es mich, o Gott, mit welchen Leiden!

Mein Wachen, Sorgen, ruheloses Ringen,

Das Christentum zu halten und zu mehren,

Das Band des Glaubens um die Welt zu schlingen,

Die Welt im Strahl der Liebe zu verklären:

Dagegen stürmen rastlos böse Horden,

Sie wollen frech die Gotteseintracht morden.


Einsam hab ich in mancher dunkeln Nacht

Der Kirche kranken Atemzug bewacht,

Und ihren Fieberträumen muß ich lauschen;

Und näher hör ich ein Verhängnis rauschen.[802]

Aus fernen Landen mir herübertönen

Die Ketzerstimmen, – wie sie lachen, höhnen!

O wie sie manches arme Herz verheeren!

Wie sie mit Wutgeschrei die Tempel stürmen!

Die Bilder fallen schmetternd von Altären,

Die Glocken stürzen schreiend von den Türmen.


O dunkle Nacht, vor Gott klag ich dich an,

Wenn du dich hüllend legst um ihre Bahn.

Ich liege hier, und die verderblich Schnellen

Sind auf, das Unheil durch die Welt zu tragen;

Ins weite Land hör ich den Reiter jagen,

Den Schwimmer hör ich rauschen durch die Wellen.

Allnächtlich stürzt er in den Strom und schwimmt,

Bis heimlich er den dunkeln Strand erklimmt;

Da harrt des Lehrers die betörte Schule

Und öffnet ihrem Liebling Schoß und Herz,

Wie einst am Hellespont des Griechen Buhle,

Bis ihn die Götter rissen abgrundwärts.


Wie ein gezücktes Schwert von ferne blitzt,

Ein Wetterstrahl die schwarze Wolke ritzt,

Hat ein Gedanke plötzlich mich erhellt:

Ich soll die Ketzer tilgen aus der Welt!

Wie manches blutverströmende Gefecht

Ward rühmlich für gekrönten Staub geschlagen,

Und soll mein Herz vor Schwert und Flamme zagen

Für Christi tiefgekränktes ewges Recht?!


Zum Kirchenhaupte fühl ich mich erkoren

Von Gott dem Herrn; soll ichs geduldig leiden,

Wenn überall verbrecherische Toren

Die Welt von Gott versuchen abzuschneiden?

Wenn jeder lehrt den Glauben, den er dichtet?

Wenn ringsumher, Irrlehren auszuschenken,

Giftmischer ihre Buden aufgerichtet,

Die Welt mit süßem Heidentum zu tränken?[803]


Schon tobt der wilde Rausch von Land zu Land,

Der Taumelbecher kreist von Hand zu Hand,

Ein jeder Wahn hat seinen Predigerorden

Und jede Mißgeburt verrückter Träume.

Es ist die Welt ein Labyrinth geworden,

Ein Wald verderblicher Erkenntnisbäume.« –

So klagt der Papst in nächtlich dunkler Stille.

Der Blutgedanke stürmt an seinem Herzen,

Mit Glut und Schwert die Ketzer auszumerzen;

Noch weigert dem Gedanken sich der Wille.


Er sendet seinen Boten, tief bekümmert,

Nach in die Ferne segnend seinen Gruß;

In ihrer Treu sein letztes Hoffen schimmert,

Im Kampf zu siegen ohne Blutverguß.

Und müd von Arbeit, Seelenstreit und Kummer,

Ist Innozenz gesunken jetzt in Schlummer.


Doch wer da lebt, die Erde zu gestalten,

Kann drauf nicht lang und tiefe Ruhe halten;

Nur wessen Los, die Erde zu genießen,

Mag vor dem Tod die Augen fester schließen.

Ein böser Traum ergreift den Kummervollen

Und läßt von Bild zu Bild die Seele rollen:


Er hört im Traum ein banges Glockensummen,

Die Kirche läßt ihr letzt Geläut verhallen,

Ihm dünkt die Welt von Christus abgefallen,

Er lauscht und weint-die Glocken, ach! verstummen;


So wie die Klänge leis und leiser beben,

Verzittert in den Tod das fromme Leben.

Das heilige Tau des Glaubens ist zerrissen,

Das diese Welt an ihren Gott gebunden,

Vom Nagetier dem Zweifel überwunden,

Vom Zahn der Höllenratte abgebissen.[804]

Da liegt das Kreuz zersplittert und zerschlagen,

Und drüber hin sieht er den Satan jagen;

Und Satan überläßt, dem Herrn zum Spotte,

Die Welt ein Spielzeug seiner Höllenrotte.


Auf schwarzer Wiese tummeln sich die Schwärme

Mit Lust und Scherz und ungeschlachtem Lärme.

Sie spielen Ball, die Welt im Fluge braust,

Die Teufel schlagen sie von Faust zu Faust,

Und ihr entfährt auf ihren tollen Wegen

Ein Staubgewölke von den harten Schlägen

Und senkt zum schwarzen Grund sich ins Verderben,

Das sind die Seelen derer, die da sterben.


Und weiter treibt sein Traum zu neuer Qual

In ein verdüstert einsam Felsental;

Dort hört er plötzlich eine Stimme klingen,

Sie füllt sein Herz mit Leide zum Zerspringen:

»Bei euch verbleib ich bis ans End der Tage

Als Trauerblick und als verlorne Klage!«


Und jetzt der Traum mit ihm zum Strande schießt,

Dort an der Rhone liegt ein Mönch getötet,

Das bleiche Angesicht vom Blut gerötet,

Das aufs geneigte Haupt herniederfließt.

Vom Haupte des Erschlagnen rauscht empor

Ein Geier und umflattert ihn und kreischt:

»Gib mir zu trinken!« rastlos ihm ins Ohr,

Wie er vom Araber Blutrache heischt,

Dem Haupte des erschlagnen Freunds entstiegen,

Indes die Rosse mit den Mördern fliegen.


Der Geierschrei hat Innozenz geweckt,

Er richtet sich empor und starrt erschreckt,

Ergossen ist durch seine Schlummerzelle

Wie Mondesdämmern eine sanfte Helle.[805]

Da steht ein Mönch, das Haupt vorunter neigend,

Wie reisemüd, gedankenvoll und schweigend.

Und Innozenz erkennt Pierr', den Frommen,

Und ruft ihm zu: »O sei gegrüßt, willkommen!

So bist du schon zurück von deiner Sendung?

Und eilst, zu künden mir die frohe Wendung?


O Freund, wie gut, daß du gekommen bist,

Viel Arbeit harret dein zu dieser Frist.

Die Briefe dort und manche ernste Kunde

Vertrau ich deinen Händen, deinem Munde.

Gott segne dich mit seinem Gnadenlichte!

Wie stehts in der Provence? schnell berichte!«

Doch traurig schweigt der Mönch, als ob er weine,

Und ist verschwunden samt dem hellen Scheine. –


Nach schlimmer Nacht noch schlimmre Morgenstunde;

Fulcos Gesicht im heißen Zorneslicht

Herein wie eine Rachesonne bricht,

Er bringt dem Papst von jenem Mord die Kunde:


»Zur Kreuzfahrt, Vater! sprich dein Machtgebot!

In tausend Bannern laß die Rache flattern!

Schon schlagen sie dir die Legaten tot

Wie auf dem Waldweg giftgeschwollne Nattern!


Weil sie so greulich sind zurückgefallen,

Will Christus rettend selbst zurücke wallen,

Er will noch einmal als Jehova schalten,

Ein zornig Blutgericht auf Erden halten.


Sei du sein Schwert und seine Zunge,

Sein Donner und sein Blitz zugleich

Und triff vor ihrem letzten Mördersprunge

Die Höllenkatze mit dem Todesstreich.[806]

Die Häresie mit immer kühnern Sätzen

Springt durch die Welt; erwache deinen Pflichten!

Du fängst sie nimmermehr mit Liebesnetzen,

Soll sie zur Ruhe, mußt du sie vernichten!«


So Fulco sprach, des Hasses Feuer schürend,

Der einst von Liebe sang so süß und rührend.


Er schweigt und harrt des Papstes Wort entgegen;

Doch dieser spricht erst seinen Morgensegen;

In seinen Zügen ist es fest und stille,

Wie Steingepräg in jedem Zuge steht

Entschluß und unerschütterlicher Wille;

Und ausgesprochen hat er sein Gebet.


Von Innozenz wird Fulco angeblickt,

Daß der, so kühn er ist, ins Herz erschrickt.

Bezwungen ist er von der Macht des Bannes

Im Zornblick eines großen Mannes.

Es ist derselbe Blick, der schon so lang

Als Herr die Wirren einer Welt durchdrang,

Der tausend Feinde in den Staub gestochen,

Vor dem sich zitternd Könige verkrochen.


Nun spricht der Papst: »Ha! welcher Wahnsinn lieh

Dir seine Rede, daß du so vermessen

Des Amts mich mahnst, als hätt ich sein vergessen,

Zu züchtigen mit Macht die Häresie?


Als ich den schlimmen Mord durch dich vernommen

Stand mein Entschluß geharnischt und in Waffen,

Zur Tat bereit, ganz fertig und vollkommen:

Die Ketzer von der Erde fortzuschaffen.

Getötet haben sie den Friedensboten

Und also selbst zerhaun den finstern Knoten.«[807]


Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 801-808.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Albigenser
Werke und Briefe. Historisch-kritische Gesamtausgabe / Versepen 2. Savonarola, Die Albigenser, Don Juan, Helena

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Der gute Mond / Er laßt die Hand küssen / Ihr Traum. Drei Erzählungen

Der gute Mond / Er laßt die Hand küssen / Ihr Traum. Drei Erzählungen

Drei Erzählungen aus den »Neuen Dorf- und Schloßgeschichten«, die 1886 erschienen.

64 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon