Fulco

[791] »Wie kam es, daß der frohe Troubadour

Fulco sich hat gesellt dem Priesterorden,

Der Kirche Spür- und Hetzhund ist geworden,

Nachwitternd ohne Rast der Ketzerspur?

Ein Zauber mußte schlagen seinen Mund,

Die Nachtigall verwandeln in den Hund.


Im tiefsten Forste jagt die Pfaffenmeute,

Und Fulcos Lauf und hitziges Gebell

Verrät den grimmen Jägern ihre Beute,

Und ihre Todespfeile folgen schnell.

Mir tut es um den wackern Sänger leid,

Dem edle Fraun, wenn seine Lieder rauschten,

Wie keinem sonst in der Provence lauschten;

Gib mir, wie er verwandelt ward, Bescheid.«


So stellt Roger von Beziers die Frage

Dem Freund, und dieser spricht im Ton der Klage:

»Auch mir ist leid. Noch klingt mirs in den Ohren,

Und Fulcos Lied ist das Geringste nicht,

Was uns in diesem Sturme geht verloren;

Es ist verweht, wie manches Freudenlicht.


Denkst du des Abends noch in Carcassonne?

Als Fulco sang in kühler Linden Kreise,

Als edle Damen seine süße Weise

Gerührt zu stillem Schmerze, lauter Wonne?

Bei seinem sehnsuchtsvollen Minneliede

Entfloh aus mancher schönen Brust der Friede,

Der solchen Klang nicht kann ertragen,

Und wich der Sehnsucht schlummerlosen Klagen.[791]


Er sang ein Lied voll tiefem Liebesgrame,

Er pries die Rosenwangen seiner Dame

Und jeden Reiz, der ihn entzückend quäle,

Der Augen Glut, in welcher seine Seele

Sich bang verzehrt und hoffnungslos versiegt,

Dem Bächlein gleich, wenn es vom Schattentale

Hinaus sich wagt zum heißen Sonnenstrahle

Und in die Luft als irrer Dunst verfliegt.

Doch Bächlein muß den Strahl der Sonne loben,

Weil sterbend es zum Himmel wird gehoben.


So sang er dort im Hauch der Lindenbäume,

Und auf die Wangenrosen holder Frauen

Sah man die Tränen leise niedertauen

Vom dunkeln Himmel ihrer Liebesträume.

Und wer im Herzen fühlte Liebeswunden,

War süß erleichtert, wenn auch nicht genesen;

Denn auch sein Leiden hatte Wort gefunden

In Fulcos wonnereichen Sirventesen.

Beglückt die Frau, der solche Feier gilt!

Der Sänger, dem sie von den Lippen quillt!

Ein schöner Abend wars an jenen Linden,

Wie wir vielleicht ihn niemals wiederfinden.


Nun aber will ich dir von Fulco sagen,

Wie's kam, daß er sein Saitenspiel zerschlagen,

Das Haupt sich schor, die Kutte nahm und wild

Die Hölle malt, mit gleicher Leidenschaft,

Wie er gepriesen einst ein Frauenbild

Und jedes Herz in Sehnsucht hingerafft.

Nun schwelgt er in geschreckter Herzen Qualen,

In Bannesblitzen, so die Welt verheeren,

Wie einst in schöner Augen milden Strahlen

Und in des Beifalls schmeichlerischen Zähren.

Das eben wars, ein schöner Frauenblick

Und seiner Liebe trauriges Geschick.[792]


Warum ein Sänger zarte Frauen

Mit schönem Lied so mächtig rührt,

Daß er sie von der Freude grünen Auen

Zur Schwermut, die dem Tode hold, entführt? –

Hört ihre Seele, wenn sie lauschen,

Im schönen Liede schon auf Erden

Die himmlischen Gewande rauschen,

Die sie, verklärt, umkleiden werden?

Spürt in des Liedes trunknen Reden

Ihr Herz die Hauche süß erschrocken,

Die schmeichelnd einst gespielt im Eden

Mit ihrer Ahnfrau goldnen Locken?

So daß ihr Herz hienieden bangt

Und sich die Seele fortverlangt?

O Frauenherz! o zarte Seele!

Wer mag ergründen, was dich quäle? –


Hat sie dein Auge nie geschaut,

Die schöne Gräfin Adelheid,

Den Grafen Barral angetraut,

So sei es deinem Auge leid.


Wohl hast du ihrem Ruhm gelauscht,

Der weit durch die Provence wehte,

Als wie von einem Rosenbeete

Die Lüfte taumeln süß berauscht.

Doch Namen können dirs nicht sagen,

Wie sie gestrahlt im Tugendglanz

Und in der Schönheit vollem Kranz;

Das kühnste Wort muß bleich verzagen,

Wie dir der Duft kann schildern nicht

Der Rose holdes Blütenlicht,

Verwirrend war es, sie zu schauen,

Die schönste, sittigste der Frauen,

Ein Blick, dem Herzen selig bitter,

Ins Paradies durch Eisengitter.[793]

Auch Fulco sah sie und sie ihn,

Und ihre Ruhe war dahin.

Ein Augenblick, so schnell er flieht,

Ist gnug, daß sich zwei Herzen nie vergessen;

Ein Blitz genug, die Zukunft zu ermessen,

Von Gram und Leid ein weites Nachtgebiet.


Die Gräfin von Marseille war

Von Fulcos Liedern tief bewegt;

Doch was ihr Herz für Leid gehegt,

Gab nie ein Wort ihm offenbar;

In ihrem Blick nur konnt er lesen,

Wenn ihr ertönte sein Gesang,

Daß sie mit einer Liebe rang,

Von der noch nie ein Herz genesen.


Und Fulco rang mit heißen Schmerzen,

Zugleich mit Wonnen, schwer zu tragen;

Weh dir, wenn sich in deinem Herzen

Der Himmel und die Hölle schlagen!

Er hat in ihrem Blick erkannt,

Daß ihm ihr Herz sich zugewandt,

Doch auch, daß jede Hoffnung schwinde

Und nie sein Herz Erhörung finde.


Da wurden seine Lieder dringend,

Der Dame bittern Vorwurf bringend.

In schmerzlich grollenden Kanzonen

Bewahrt' er stets doch zartes Schonen,

Denn nie erklang darin der Name

Der wunderholden spröden Dame.

Sie hieß in seinem Lied ›Magnet‹,

Auch ›Allezeit‹ in seinen Grüßen;

Weil ihn hinzog zu ihren Füßen

Die Macht der Liebe früh und spät.[794]


Einst sang er kühn: ›Zerbrich das Joch

Der strengen Pflicht! mich dünkt ja doch,

Daß du nach mir geheim dich kränkest

Und mein in süßer Huld gedenkest.

O könnt ich mich durch Zauberein

Verwandeln in mein glücklich Bild,

Das oft vielleicht bei dir darf sein

Und still bei Nacht dir Küsse stiehlt!‹

So klang das Lied des Allzukecken,

Vom Schlaf das Unheil aufzuwecken.


Ein Wandrer saß bei goldner Abendröte

Im stillen Wald und blies die Flöte.

Da hört' ers leis im Dickicht rauschen,

Und inne hielt sein Hauch erschrocken,

Denn auf der Flöte helles Locken

Kroch eine Schlange vor zu lauschen.

So kam aus ihrer finstern Schlucht,

Gelockt von Fulcos Minnesange,

Plötzlich hervor die giftge Schlange,

Des Grafen Barral Eifersucht.

Sie flocht in wechselvoller Windung

Und immer neuer Qualerfindung

Sich um den Gatten fest und stach

Ihn mit dem Gift vermeinter Schmach.


Die Hölle klang in Fulcos Lied

Dem Grafen Barral, und nicht länger

Am Hof geduldet blieb der Sänger,

Und der Verwiesne trauernd schied.

Als Fulco stumm verließ das Zimmer,

Da rief ihm Barral nach: ›Auf immer!‹

Die schöne Gräfin blickte schweigend

Ihm nach, das Haupt in Trauer neigend,

Und ihr entfallen heiße Zähren,[795]

Die sich ihr Recht nicht lassen wehren.

Barral gewahrt der Tränen Lauf

Und tritt mit einem Fluche drauf;

Am Estrich rauh verwischt sein Fuß

Der Liebe letzten stummen Gruß.


Fulco zieht stumm; er hat kein Recht,

Barral zu fordern ins Gefecht;

Ihn bat der Dame Scheideblick,

Zu tragen still sein Mißgeschick.


Er trug es still; – doch oft bei Nacht,

Wenn Mond und Stern am Himmel lacht,

Wenn süßen Duft die Blumen senden,

Als ob sie Liebe auch empfänden,

Wenn im Gebüsch der Vogel ruft

Den Sehnsuchtslaut in weiche Luft –

Da steht der Troubadour gebannt

Und blickt zum Schlosse unverwandt,

Wo Adelheidens Lichter brennen,

Und Qualen fühlt er, nicht zu nennen.


Da reißt ihn fort die Eifersucht

Von Bild zu Bild in heißer Flucht;

Sie lüftet ihm des Schlosses Mauern,

Ins Innre ist sein Blick gedrungen,

Er sieht, wie Barral sie umschlungen;

Da faßt sein Herz ein wildes Trauern,

Abscheu und grimmiges Beneiden,

Und mit den Augen möcht er schütteln

Das Schloß und es zusammenrütteln,

Begraben in den Schutt die beiden.


Und wieder stimmt zu sanften Klagen

Erinnrung aus beglückten Tagen

Den Sänger; seine Blicke legen[796]

Sich mit der Liebe heißem Segen

Wehmütig an des Schlosses Zinnen,

Bis ihn der Morgen weckt aus tiefem Sinnen.


Die Zeiten schlichen seinem Grame

Freudlos vorbei; die teure Dame

Sah er nicht mehr seit jenem Tag,

Als bis sie auf der Bahre lag. –


Verworrnes Klaggeläute schallt,

Die Menge wandelt ernst und still

Zum Schloß, wo sie noch schauen will

Der Erde lieblichste Gestalt,

Bevor ihr letzter, bleicher Schimmer

Verschwunden ist auf immer.

Nur manche fragen trauernd sich,

Warum sie denn so früh verblich?


Der eine meint: ›Sie war zu gut

Für diese Welt, drum hat sie Gott entrückt

Und hat mit ihr sein Haus geschmückt;

Nun ist ihr wohl in seiner Hut.‹

Ein andrer meint: ›Der Liebe Schmerz,

Den sie verbarg, brach ihr das Herz,

Es ist die schöne Frau des Grafen

Bei Fulcos Minneliedern eingeschlafen.‹


Der dies gesprochen, ahnte nicht,

Wie scharfes Wort ihm da entfuhr,

Denn seinen Schritten folgte dicht

Und unerkannt der Troubadour;

Der trug die Brust so schwer, so voll

Von ungeheurem Schmerz und Groll.


Der weite Saal ist schwarz verhangen,

Am Sarkophag die Wappen prangen.

Solch Prunken taugt, den Tod zu ehren,

Sein hohes Ansehn noch zu mehren,[797]

Weil für das Aug so höhnisch bitter

An einer Bahre Erdenflitter.


Viel Kerzen um die Leiche brennen

Und lassen jeden Zug erkennen

Von hoher Schönheit, stillen Harme.

Und ernste Mönche murmelnd beten,

Daß Gott der Toten sich erbarme,

Als plötzlich Fulco eingetreten;

Fulco, der sie noch schauen will,

So bleich wie sie, nur nicht so still.


Er sieht sie tot! – da bricht entzwei

Sein Herz mit einem wilden Schrei;

So schmerzlich seine Stimme gellt,

Daß banger Schreck die Mönche bleicht,

Der Rosenkranz der Hand entweicht

Und rasselnd auf den Boden fällt.


Wenn jene Stimm auf Ceylon ruft,

Tiefklagend plötzlich durch die Luft,

Wenn dort der Geistereremit

Aufschreit, den nie ein Wandrer sieht,

Doch keiner ohne Weinen hört,

So ists ein Ruf, dem Schrei verwandt,

Der hier die Mönche aufgestört

Und sie zu Tränen übermannt;

Und jeder wünscht im Herzensgrund:

O Tote! könnt ich dich beseelen

Und dem Unglücklichen vermählen!

Wie gerne wollt ich segnen euren Bund!


Und Fulco starrt sie an – und weint.

Der Rosenschein auf ihren Wangen

Ist hingeloschen und vergangen;

Doch um die bleichen Lippen scheint

Für ihn ein süßes Wort zu schweben,[798]

Ein Wort, das sie nicht sprach im Leben;

Die Augen, die allein gesprochen

Von seinem Himmel, sind gebrochen.


Das Leben schwand, die Schönheit nicht

Von diesem stillen Angesicht,

Als ob vor ihr der Tod sich scheue,

Als müßte der, vor so viel Reiz erschrocken,

In seiner grausen Eile stocken,

Zu spät erfaßt von bittrer Reue.


Vor Fulcos Leid den Mönchen graut,

Wie seine Augen auf der Leiche brennen,

In wilder Angst die Zähren rennen;

Der Schrei war seiner Liebe letzter Laut.


Geschiehts, damit der Tod noch herber quäle,

Wenn scheidend eine schöne Seele

So festen Schatten wirft auf Erden,

Daß ihre Züge und Gebärden

Noch sichtbar sind, wenn sie entschwunden?

Damit noch heißer bluten unsre Wunden?


Wenn unglückliche Liebe, ganz umnachtet,

Am letzten Ziele, angesichts

Der Leiche steht, sie stumm betrachtet,

Das schöne, starre, kalte Nichts,

Das grause Nichts, das taub und still

Noch immer das Verlorne scheinen will:

Wer kann den dunkeln Weg wohl wissen,

Wer kann erraten wohl den Ort,

Wohin, von ihrer Leiche fort,

Die Liebe wird von ihrem Schmerz gerissen?


Und Fulco tritt zur Toten dicht

Mit heftgem Schritt; die Mönche bangen,[799]

Daß er sie küssend werd umfangen,

Doch nein, o nein, er küßt sie nicht.

Was lebend sie so streng versagt,

Fulco noch minder jetzo wagt,

Wo duldsam sie es ihm vergönnte

Und nicht mehr hold erröten könnte.


Aus ihren Händen löst er sacht

Das Kruzifix, das küßt er wild

Und preßt ans Herz das Christusbild

Und atmet tief, wie traumerwacht.

Doch scheinbar nur ist sein Besinnen,

Ein andrer Traum zieht ihn von hinnen.


Sein Glück ist hin, damit ists aus;

Doch eh des Schmerzes wilder Braus

Ihn wirbelnd ganz hinabgedreht,

Hat ihn der Sturm noch angeweht,

Der jetzt die Völker treibt auf Erden:

Er will ein Streiter Christi werden.

Er schwingt empor das Kruzifix,

Entschloßnen Muts, entflammten Blicks,

Und flieht vom traurigen Gemach,

Und jeder starrt ihm staunend nach.


Von Adelheidens Totenbahr

Riß ihn der Wahnsinn zum Altar.

Wenn all sein Glück ein starkes Herz verloren,

Wenn seine Wund am tiefsten klafft,

Dann wird es vom Verhängnis gern erkoren

Und in den großen Sturm hinausgerafft.


Als Fulco stand am Sarg der Lieben,

War ihm ein Hoffen nicht geblieben,

Es finden sich jenseits der Tränen,

Die hier umsonst ans volle Herz sich sehnen?[800]

Vielleicht hat ihn die Kirch erworben,

Weil Adelheid in ihr gestorben,

Die fromme Frau, die, schon vergangen,

Das Bild des Heilands hielt umfangen.


Er haßt uns andern, weil wir meinen,

Wer einen Toten liebt, soll weinen,

Denn sterben ist: im Geist verschwinden,

Wir glauben an kein Wiederfinden.


Er hält am Wahn der frommen Toren,

Daß uns die Toten unverloren,

Und grollt der Wahrheit kühnen Freiern,

Die sich das Menschenlos entschleiern

Und keck den Blick durch heilige Nebel tauchen,

Die hüllend überm Abgrund rauchen.

Ein heimlich vor der Wahrheit Zittern

Mag gegen uns sein Herz so wild erbittern.«

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 791-801.
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