Foix

[851] Wo der Held die Bande des Geistes bricht,

Fehlt auch der Tor, der frevelnde, nicht,

Der von der Fessel zwar los sich reißt,

Doch mit der Fessel zugleich vom Geist;

Wie der Fuchs in der Eisenfalle verzagt,

Und weil er sie nicht kann brechen entzwei,

Das gefesselte Glied vom Leibe sich nagt,

Um zu verbluten im Walde frei.[851]

Der Graf von Foix will nur genießen

Die Freuden, die irdisch auf Erden sprießen;

Ungläubig verhöhnt er und verachtet,

Was über die Erde hinübertrachtet.


Ihm ist das Grab wahrhaftiges Grab,

Der Tod ein hoffnungsloses Hinab.

Er lacht der einen, die für die Lehren

Der Kirche sich rotten zu grimmigen Heeren

Er lacht der andern, die frommen Witzen

Zulieb ihr köstliches Blut verspritzen.


Das alles nennt er ein strittiges Meinen,

Indes man über des Weibes Küsse,

Des Weines Freudengewittergüsse

Schon seit Jahrtausenden ist im reinen.


Mit Rossen, Gauklern, Dirnen und Jägern,

Stoßvögeln, Hunden und Lautenschlägern,

Mit vollem Rüstzeug der Lust umgeben,

Zu genießen rasch ein verfemtes Leben,

Braust Graf von Foix durch die Felder hin

Zum Kloster des heiligen Antonin.

Ein Mönch, die Lämmer des Klosters weidend

Und eben ein Rohr zur Flöte sich schneidend,

Siehts, taucht ins Gebüsch vor solchem Zug

Und schlägt erschrockene Kreuze gnug.

Er hört Geplauder, Wiehern, Gelächter,

Gebell und Vogelkreischen dazwischen,

Drein klägliches Blöken die Lämmer mischen:

Ach, in die Herde stürzen die Schlächter.


Sie kommen den Hügel heraufgezogen,

Gleich steigenden Überschwemmungswogen,

Sie stoßen ins Horn, Einlaß verlangend,

Der Pförtner gehorcht dem Rufe bangend,[852]

Der Schlüssel irrt in zitternder Hast,

Bis drehend im Schloß den Riegel er faßt,

Auf geht die Pforte zur schlimmen Stunde,

Des friedlichen Klosters klaffende Wunde.


Foix führt in die Kirche, die Mönche zu necken,

Sein Roß und tränkt es im Weihebecken;

Der eisenbeschlagne Gaul betrat

Die Marmorglätte mit zögernder Scheu,

Gleich weiß der frevelnde Reiter Rat,

Wirft Meßgewänder ihm vor zur Streu.


Er schüttet seinem geliebten Traber

Ins Tabernakel den Zehenthaber

Und spricht mit spöttisch verzogner Lippe:

»Das heilige Kindlein von Bethlehem

Lag dort so ärmlich und unbequem,

Hier schläft es nun wieder in einer Krippe;

Doch Gold nicht und Myrrhen, noch Weihrauch läßt

Mein Hengst ihm fallen zum Wiegenfest.«


Er scherzt, indem er den Falken wiegt:

»Sieh, sieh! dort über dem Altar fliegt

Der weißgefiederte Köhlerglaube,

Der heilige Geist im Flaumenkleide;

Auf, auf, mein Falke, du lustiger Heide,

Und beize herab mir die zierliche Taube!«


Die Gnadenmutter der gläubigen Seelen

Steht zierlich geschnitzt und strahlt in Juwelen;

Die losen Dirnen, zum Tanz sich schmückend,

Umringen die Jungfrau Maria pflückend;

Sie rauben der Stirne den Blumenkranz,

Vom Hals das goldgestickte Gekröse,

Die Perlen, der funkelnden Steine Glanz

Und streicheln das Kinn ihr: »O sei nicht böse!«[853]

Indessen die Köche, was nötig, fodern,

Am Herde gewaltige Scheiter lodern,

Und im Takte provenzalischer Weisen

Am Spieße, sich bräunend, die Lämmer kreisen.


Die Knechte bringen den Wein in Mulden,

Rasch wandeln die Becher im lustigen Kreise,

Zum Prior der Graf spricht, schelmisch leise:

»Ei! gebt mir Bescheid und sagt mir in Hulden,

Braucht ihr das alles zum Opfer der Messe?

Ist alle der Wein nur Blut des Herrn?

An seine Größe glaub ich wohl gern,

Verträgt er so reichliche Aderlässe.«


Der Graf ermuntert das wüste Toben;

Ein Schalksnarr steht auf der Kanzel oben,

Mit tollen Gebärden, mit scharfem Gekreisch,

Er predigt; »Im Anfang war das Fleisch,

Und Gott war das Fleisch, und dieses war

Bei ihm beständig und immerdar;

Und das Fleisch ist Wort geworden und Licht;

Johannes schrieb verkehrten Bericht.

Drum sollen das Fleisch wir halten in Ehren,

Seid lustig, ihr Kinder, und laßt es gewähren.«


Er springt von der Kanzel und sinkt aufs Knie

Vor einer Dirne mit Courtoisie:

»Komm, schönste der Damen, die Geigen locken,

O tanze mit mir! die Stunden rennen,

Wer weiß, wie bald wir beide verbrennen

Und tanzen im Wind als graue Flocken.

Ach, Aschenflocken dein blühender Leib!

Komm, hänge dich fest, du süßes Weib,

An mich und liebe mich wild und zart,

Eh du hangen bleibst an des Pfaffen Bart!«[854]

Und Foix lacht auf und schmettert ins Horn,

Die Mönche zittern vor Angst und Zorn.

Der Reigen ist los, ein brausendes Jagen,

Die Tänzer fliegen in grimmiger Lust,

Als fühlten sie alle doch in der Brust

Das unbetäubte Verhängnis schlagen.

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 851-855.
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