Nachtgesang

1

[775] O gläubger Hohn! o bitterste Satire

Auf diese Welt voll Haß und Feindesnot,

Wenn der Chinese sich dem grimmsten Tiere

Vertraut und sich begibt in seine Hut,

Wenn er für sich, die Seinen, Haus und Feld

Zum Schutzgeist den verstorbnen Tiger wählt.


Er schläft getrost, wenn still der Tigergeist

Als Hüter Haus und Feld bei Nacht umkreist;

Und wohl mag ihm sein Wahn zum Schutze taugen;

Denn wenn ein Feind sich schleicht in seine Nähen,

Der sieht im Glühwurm rolln des Tigers Augen,

Der spürt im Nachtwind seinen Rachen wehen. –

O wäre solch ein Tiger mir Genosse,

Mit Geisterkrallen, unsichtbarem Rachen


Mir den Gedankenherd treu zu bewachen,

Den Einbruch wehrend meinem Feindestrosse!

Wenn mein einsames Herz Gedanken hämmert,

Daß ich die Welt und ihren Gram vergesse,

Wenn mir an seiner hellen Feueresse

Die Morgenglut des heilgen Sabbats dämmert,

Ha! Tiger! dann bewache meine Schranken,

Und kommen Störer, schlag in ihre Seelen

Als scharfe Schauer deine luftgen Pranken,

Daß sie sich scheu verzagt von dannen stehlen! –


Wenn Erdenwünsche kommen, mich zu locken,[775]

So spring sie an, daß sie entfliehn erschrocken!

Und kommen klagende Erinnerungen,

Ermorde sie, bevor sie eingedrungen!

Auf eine aber stürze dich vor allen,

Zerreiße schnell mit deinen scharfen Krallen,

Verschling auf immer du in deinen Rachen

Ein Frauenbild, das mich will weinen machen! –

Send ich ein Lied auf die Tyrannenfratzen,

So hilf ihm, Tiger, nach mit deinen Tatzen!

Schlag ihnen breite Wunden ins Gewissen

Und Höllenträume hauche auf ihr Kissen!

Und wenn sie, aufgeschreckt, die Augen reiben,

Die Kerze zünden, zitternd auf sich setzen,

Blas aus das Licht, daß sie im Finstern bleiben,

Mach vor der Tür Geräusch wie Dolchewetzen!

Und will der Feige dann mit seinem Schrecken

Verkriechen sich, entreiß ihm seine Decken

Und wickle ihn in alle Flüche fest,

Die er getretnen Herzen ausgepreßt!

Sein Eingeweide schlag mit Schmerzensbissen,

Die wie Vergiftung durch den Leib sich ringeln,

Daß er auffährt, nach seinem Arzt zu klingeln,

Du aber hast die Glockenschnur zerrissen.


O Tiger, den Tyrannen quäle! quäle!

Bis er sich bessert, schüttre seine Seele!


Millionen wunde Herzen seh ich bluten,

So viele Tränenströme seh ich fluten,

Von frecher Willkür weit die Welt zerrüttet,

Der Menschheit Freudenschlösser rings verschüttet,

Ich seh gepeitscht von hochgestellten Zwergen

Gefangne Riesen, knirschend ihren Schergen.

O Welt! aus allen Wüsten möcht ich holen

Die Tigergeister dir zu Apostolen! – –[776]

Wohin ließ ich von meinem Haß mich führen!

Ich wünschte mir den Tiger zum Genossen,

Schon ist in meinem Geist sein Hauch zu spüren

Und durch mein Herz sein wildes Blut ergossen!


2

Also schweiften mir die Nachtgedanken,

Bis die Sinne mir in Schlummer sanken

Und dem Geist des Hasses Dolch entfiel.

Da begann ein Traum sein ernstes Spiel.


Einsam wandernd, mit dem Abendstrahle,

Fand ich mich in einem fremden Tale.

Stumm, nach einem Laute bange schmachtend,

War die Wildnis, stumm der Himmel, nachtend.


In der Wildnis irrt ich trüb alleine,

Und ich stieß auf einen Haufen Steine;

Aus den Steinen, stumm ein Los beklagend,

Ragt' ein Bambusrohr ein Fähnlein tragend.


Schlaffes Fähnlein, nicht so stille zaudre!

Schwarz und weißes Fähnlein, flattre, plaudre,

Daß ein Wandrer, den die Seinen missen,

Hier von einem Tiger ward zerrissen;

Daß er vor den schnellen Todesstreichen

Kaum die Zeit gefunden zu erbleichen. –


Und ich sah das Felsental sich dehnen,

Still und weit, wie satten Tigers Gähnen.

O wie war die Erde mir so traurig!

O wie war mir die Natur so schaurig!

Furchtbar schweigend stand mir gegenüber

Die Natur, stets wilder, fremder, trüber.


Horch! da rief so liebevoll, so traut,

Wie noch nie mir klang ein Erdenlaut,

Tröstend rief mir eine Stimme leise:[777]

»Guten Abend, Freund, und gute Reise!

Wolle nicht den wilden Geist beschwören,

Dem die Wüstentiere angehören!

Wähle nicht zu deiner Herzensbraut

Die Natur, wenn sie dir winkt vertraut.


Hold und reizend kommt sie dir entgegen,

Liebesgluten ihre Rosen scheinen,

Ihr Gesang, ihr sanfter Frühlingsregen

Scheinen sehnsuchtsvoll nach dir zu weinen.

Wenn du bist an ihre Brust gesunken,

Siehst du sie verwandelt, mit Entsetzen:

Ihre Nachtigallen werden Unken,

Ihrer Rosen Dornen dich verletzen,

Ihre Tränen sind zu Eis geronnen

Und verhageln alle deine Wonnen,

Todeshauche ihre Liebesreden,

Denn verloren ist auch ihr das Eden.

Nicht dem Tiger in den Rachen fluchen

Sollst du jene Unheilvollen, Bösen,

Denn es kann die Welt nur Gott erlösen,

Den ja brüllend selbst die Tiger suchen.


Wenn der Tiger schlau im Dickicht lauscht,

Vorspringt und ein Menschenbild zerreißt,

Blut trinkt, hat er sich in Gottes Geist,

Den er spüret, ahnungsvoll berauscht.

Flieh mit deinem Kummer nicht zu denen,

Die aus tiefrer Haft so wild sich sehnen.


Weltbefreien kann die Liebe nur,

Nicht der Haß, der Sklave der Natur,

Dem Dämonen in den finstern Stätten

Mit den Waffen schmieden seine Ketten.

Dort! sieh Golgatha! – Jehovas Stunden,[778]

Heilgen Königstigers, sind verwunden.«

– Also sprach der Unsichtbare leise –

»Guten Abend, Freund, und gute Reise!«


Wieder stille war es in der Wüste,

Bis mich eine zweite Stimme grüßte,

Stark und voll und dringend klang die zweite:

»Hasse herzhaft! rüste dich zum Streite!

Liebe die Natur, die, treu und wahr,

Ringt nach Licht und Freiheit immerdar,

Wenn auch unter ihren heilgen Füßen

Graun und Schmerz und Tod aufwirbeln müssen.


Waffen braucht die Welt; kein Liebeslächeln

Kann das Elend ihr von dannen fächeln,

Wärs ein Lächeln auch wie das vordem

Auf dem Kreuze zu Jerusalem.

Jener Tod hat nicht verfangen wollen,

Gott soll wieder in Gewittern grollen,

Blitze müssen in die Dächer fahren,

Schlachtgetümmel muß ihn offenbaren.


Wie die Faust einst Brand und Eisenruten,

Muß der Geist sein Schwert, sein Feuer brauchen,

Bis die Herzen der Despoten bluten

Und zerfallend ihre Burgen rauchen.


Menschheit will in Lüsten feig versiechen,

Die entnervend durch die Herzen kriechen;

Soll sie heilen schleichend faule Sünden,

Muß die alte Wunde sich entzünden.


Elend gibts, wovon die Welt zu reinen,

Mehr als Tränen, um es zu beweinen.

Schiebe nicht den Trost ins Nebelweite!

Hasse herzhaft! rüste dich zum Streite!

Eh die Kräfte dir im Tode schlaffen;

Guten Morgen, Freund, und gute Waffen!«[779]

Sturmwind rauschte jetzt wie Freiheitspsalm,

Trug von hinnen mir den Bambushalm.

Blies den Steinehaufen fort wie Flaum,

Weckte mich zurück aus meinem Traum.

Und zu singen in der stillen Nacht

Hob ich an die Albigenserschlacht.

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 775-780.
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Werke und Briefe. Historisch-kritische Gesamtausgabe / Versepen 2. Savonarola, Die Albigenser, Don Juan, Helena

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