Der Abendgang

[584] Tiefschweigend ruhn die Alpenwiesenhänge,

Die Blume schließt den Tau in ihren Schoß

Und freut sich still an ihrem Frühlingslos;

Die Vögel sinnen schweigend auf Gesänge.

Fern unten tönt im Tal ein leiser Bronnen,

Als träumte dem Gebirg von einem Quell;

Es glüht im Abendscheine purpurhell

Der Wald, verloren in sprachlose Wonnen.

Wie freudesinnend steht die Lämmerherde,

Vergessend nun das frische Alpenkraut;

Still hält der lichte Wolkenzug und schaut

Herunter nach der schönen Frühlingserde.

Nur manchesmal die blühenden Gestalten

Der Bäume selig rauschend sich verneigen,

Ein Windhauch, überschwellend, bricht das Schweigen,[584]

Wie Wonneseufzer nimmer festzuhalten. –

Doch unerfreut von Gottes Lenzgeschenken,

Irrt Faust umher durch Felsen, Wies und Hain,

Von der Natur geächtet, und allein

Mit seines Mordes bittrem Angedenken.

Natur, die Freundin, ist ihm fremd geworden,

Hat sich ihm abgewendet und verschlossen;

Er ist von jeder Blüte kalt verstoßen,

Denn jede Blüte spricht: du sollst nicht morden.

Der frische Wald, die grünen Lämmerweiden,

Der Friede, der auf allen Bergen ruht,

Und drüber hell der Wolken Freudenglut:

Das alles muß ins kranke Herz ihm schneiden.

Doch wecket ihm der Seele bangste Qual

Der ferne Bach tief unten in dem Tal.

Die Wasserstimme, leise klagend, scheint

Ihm seine Unschuld, die von ferne weint.

Doch ist der Mann zu stolz, um solche Wehen

Dem eignen Herzen gerne zu gestehen.

Er läßt die düstern Blicke zürnend rollen,

Und er beginnt mit der Natur zu grollen:

Wie blöde Kinder ihrem Vater lauschen,

Wenn Märchen bunt von seinen Lippen rauschen,

So horchet ihr, Fels, Wolke, Blum und Baum,

Dem Märchen froh in eurem Kindestraum,

Das euch ein Gott erzählt von seiner Liebe,

Indes der Tod euch trifft mit scharfem Hiebe.

Was laß ich, Tor, an meinem Herzen nagen

Den Vorwurf noch, daß jenen ich erschlagen?

Ist nicht der Mord das alte Weltgebot?

Und gibt es ohne Mörder einen Tod?

Mag mir das Herz des Feindes Stahl durchstechen,

Mag mir den Leib Naturgewalt zerbrechen,

Mag diesen Leib an spätem Lebenstag[585]

Selbstmörderische Trägheit überkommen,

Daß er zu seinem eignen Nutz und Frommen,

Sich selber treulos, sich nicht rühren mag: –

Wie auch das Leben aus dem Herzen floh,

All eins, ich bin gemordet so, und so.

Doch faßt es wieder mich mit herber Pein,

Als könne morden nur der Mensch allein.

MEPHISTOPHELES zwischen den Bäumen hervortretend.

Ja, ja, es mordet, das ist wahr,

Der Mensch allein, und jeder zwar;

Denn, schau dich um, wo findst du einen

So frommen und unmäßig reinen,

Der niemand haßt auf weiter Erden?

Er haßt, und gibt er auch dem Feind

Nicht zu verstehen, wie ers meint,

Frei, mit totschlagenden Gebärden;

Im Herzen doch der Wunsch ihm keimt:

O, wäre der hinweggeräumt!

Im Herzen aber, glaube mir,

Dort hat der Mord sein Standquartier;

Und wagt er sich hervor einmal

Aus dem geheimen Schattental

Verbotner süßer Lustgedanken,

Die flüsternd euer Herz umranken,

Hat er den Mut hinaus zu reisen

Vom Busen in die Faust, ins Eisen:

So hat ihn nur ans Licht beschworen

Der Grimm; er ward nicht erst geboren.

Freund, was dir so zu Kopfe geht,

Und was dich brennt mit scharfer Pein,

War von dir einzig und allein

Ein Fehler der Genußdiät!

Du solltest brauchen das Gewissen,[586]

Damit zu würzen das Genießen;

Hast zu viel Würze nur genommen,

Nun bist du dämisch und beklommen.

FAUST.

Wohl gerne glaubt ich deinem Wort,

Doch rauscht die Luft und weht es fort;

Es sprechen diese Bäume drein,

Die Häupter schüttelnd: nein, o nein!

Ganz andre Worte bringt der Wind

Vom Bache dort heraufgetragen,

Ich hör es leise, ferne klagen

Und möchte weinen wie ein Kind.

Wär ich ein Lamm aus jener Schar!

Die Wolke dort, so licht und klar!

Wär ich ein Baum, ein Halm, ein Stein!

Doch wie sie alle rein! doch rein! –

O Wolke dort im Untergang!

Ich segne dir dein Wandelspiel,

Von dem ein Trost ins Herz mir fiel,

So hoffnungsfroh, so sehnsuchtsbang:

Du, Wolke, zeigest meinem Blick

Vielleicht prophetisch mein Geschick.

Erst hast du hell und klar geblüht,

Vom Sonnenstrahle überglüht; –

Dann wardst du schwarz, es ließ der Schein

Versunkner Sonne dich allein; –

Und nun zerfließet und vergeht

Dein Bild, vom Abendhauch verweht!

Mir ist ein Trost die Hoffnung nur,

Daß einst, im kühlen Abendhauch,

Vergehn wird meine Seele auch,

Ein finstres Traumbild der Natur.

Da unten winkt die dunkle Tiefe,

Wo ich vielleicht gesichert schliefe,[587]

Und unerreicht von meinem Dränger,

Der mich verfolget immer bänger.

Der Seele Frieden ist dahin,

Ich kann der Reue nicht entfliehn;

Verschließ ich mich in meine Kammer,

Fühl ich am Herzen ihre Klammer;

Flücht ich heraus zu diesen Eichen,

Seh ich sie lauernd nach mir schleichen.

Der Bäume kalte Strafgesichter

Umtrotzen mich wie meine Richter.

Der Frühling ist der Flur erschienen,

Um seine vollen Lebensfreuden

An Berg' und Tale zu vergeuden,

Doch mir mit fremd verstörten Mienen.

Ich bin allein vom Lenz verstoßen;

Indem er täglich neue Sprossen

Vom Winterschlafe zieht empor,

Zählt er dem Mörder langsam vor,

Und bitter quälend, Stück für Stück,

Das schöne, süße Erdenglück,

Das dem Erschlagnen ich geraubt,

Und jede Blüte trifft mein Haupt.

Ich fluche dir, der fort mich riß

In seine grause Finsternis

Aus meiner Unschuld Heiligtum!

MEPHISTOPHELES.

Ein lustiges Delirium!

Dem Teufel fluchen, das verdreht

In Gottes Ohr sich zum Gebet?

Ich aber mein, es ist zu spät.

Da seh ich einen Narren leiden,

Weil Blumen ihm Gesichter schneiden;

Und weil im Tal die Wasser lärmen,

Beginnt der weiche Mann zu schwärmen.[588]

Das aber ist die feigste Richtung,

Daß du dich sehnest nach Vernichtung.

Die Wolke soll dirs schmeichelnd malen,

Daß du die Zech nicht darfst bezahlen? –

Warum denn immer auswärts gaffen,

Statt sich im Innern aufzuraffen?

Was kann dich kümmern die Natur

Und ihre Frühlingskreatur?

Ist solcher Tor wohl auch ein Mann,

Den eine Blume kränken kann?


Ironisch.


Du kennst die Art der Domestiken,

Die dir dienstbare Grüße nicken

Und huldigen zum Überfluß,

Solang du stehst auf Freundesfuß

Mit ihrem Herrn; beleidige den,

So ists um ihren Gruß geschehn;

Sie müssen dem Gebieter dienen

Und treten stolz dir nun entgegen.

Drum sei dir an den bösen Mienen

Des Lenzgesindels nichts gelegen. –


Treuherzig.


Doch das ist Scherz; ob die Natur

Dir freundlich scheint und wohlgewogen,

Ob feindlich grollend, beides nur

Hast du in sie hineingelogen.


Er zieht einen Krug hervor.


Tu mir Bescheid aus diesem Krug,

Ich füllt ihn eben zu Tokay

Mit Lust und süßer Raserei;

Dein Geist bedarf wohl neuen Flug.

FAUST trinkt.

Der Wein ist gut; – er macht das Mark

Mir in den Knochen frisch und stark.[589]

MEPHISTOPHELES.

Es lief der Mensch in grauen Tagen,

Wie uns berichten manche Sagen,

Zu Mahom, Christ und Zoroaster,

Zu holen sich ein Wunderpflaster

Für seine alte Erdennot,

Den Zweifel und den bittern Tod.

Mehr als Prophet und Messiade

Half ihm des milden Zufalls Gnade,

Der seine Angst gelehrt zu pressen

Aus Trauben sich ein süß Vergessen.

FAUST.

Vortrefflich schmeckt der edle Wein!

Komm, schenke mir noch weiter ein!

Er hat den Sinn mir aufgehellt,

Mich wieder auf mich selbst gestellt.

MEPHISTOPHELES.

Es gab der Wein schon manchen frei

Aus alten Wahnes Gängelei.

Oft wenn die Gläser lustig schollen,

Mußt Christus sich von dannen trollen;

Drum ist ein Wein im wälschen Land

Lacryma Christi zubenannt.

Freund! neuen Flug bedarf dein Mut,

Nimm hin und trink, das ist mein Blut!


Scherzend.


Komm, Faustule, wir wollen singen

Und uns an deinen Feinden rächen;

Wir wollen diese Berge zwingen,

Daß sie das fromme Schweigen brechen,

In unser Lied als Chorus fallen

Und unsre Weisen widerhallen.

(Er jauchzt in die Berge)[590]

Ruf du nur einmal zum Versuch

Hinüber einen wackern Fluch.

FAUST ruft, den Krug schwingend, in die Berge.

Dem Teufel hab ich mich ergeben,

Den Teufel lieb ich, er soll leben!

MEPHISTOPHELES scherzend.

Hörst du sie dort herüberschreien,

Echo, die alte Felsenhure?

Sie läßt sich gleich von Gott und Teufel freien,

Dient jedem gleich mit einem Liebesschwure.

Und was du ihr auch magst entgegenjohlen,

Sie wird es, einverstanden, wiederholen.


Bitter.


Doch das sind wieder eitel Possen

Und Gleichnisse, die schmählich lahmen;

Natur lebt nur für sich, verschlossen,

Und sie hat nichts mit dir zu kramen;

Und wenn sie dir ein Echo schallen läßt,

Wirft sie dein Wort zurück dir mit Protest.

FAUST.

Und doch erregte mir so manches Mal

Der grüne Plunder Herzensqual.

Nun aber fühl ich Kraft in mir gedeihen,

Die mich von solchem Zudrang will befreien.

Es ballt sich fest in mir und fester immer,

Und schon bereu ich meine Taten nimmer.[591]

Quelle:
Nikolaus Lenau: Sämtliche Werke und Briefe. Band 1, Leipzig und Frankfurt a.M. 1970, S. 584-592.
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