Erste Szene


[281] In Cadiz.

Strephon. Arist.


STREPHON. Ich bin allen alles geworden – und bin am Ende nichts. Sie haben mich abgeritten wie ein Kurierpferd: ich bringe den Meinigen ein Skelett nach Hause, dem nicht einmal die Kraft übrig gelassen ist, sich über seine erstandenen Mühseligkeiten zu beklagen.

ARIST. Das Herz möchte mir brechen. Wie ich Euch zu Hause 'kannt habe! Wo ist Eure Munterkeit, Witz, Galle, alle das nun? All unsre fröhlichen Zirkel erstarben, als Ihr uns verließet: Ihr werdt sie nicht wieder beleben.

STREPHON. Ins Kloster, oder in eine Wüstenei, das sind so meine Gedanken. Jeder Mensch, den ich ansehe, jagt mir einen Schrecken ein, ich denke, er verlangt wieder etwas von mir, und ich habe nichts mehr ihm zu geben.

ARIST ihn steif ansehend. Das der Ausschlag Eurer philosophischen Träume? – Eurer Erforschung der Menschen? Eurer Entwürfe zu ihrer Verbesserung? –

STREPHON. Ich will auch nicht gut mehr sein, wenn ich noch so viel Kraft übrig habe, böse zu scheinen. Aber meine Fasern sind durch die lange Übung so biegsam geworden, meine Geister so willfahrend, daß ich vor dem Gedanken, jemand etwas abzuschlagen, wie vor einem Verbrechen zusammenfahre. Es geht mir wie angefressenen Früchten, die immer noch ihre Röte behalten, ich kann die Gestalt der Liebe nicht ablegen, obschon das Herz mir zerfressen und bitter ist.

ARIST. Was haben sie Euch denn zu Leide getan?

STREPHON. Sie haben mir nichts getan, weder Liebes noch[281] Leides, aber sie verlangten, daß ich ihnen tun sollte. Wirkung ohne Gegenwirkung erstirbt endlich, all meine Liebe war wie ein Mairegen, der auf einen kalten Felsen gießt und dem nicht ein einziges belohnendes Veilchen nachkeimt.

ARIST. Bedenkt, daß es der Gottheit selbst nicht besser geht.

STREPHON. Aber ich bin kein Gott. Und verlangte keinen Dank als Liebe und Vergnügen um mich her. Darum suchte ich in ihrem Augenstern auf, was sie etwa wünschen, was sie sich etwa von mir versprechen könnten, und die mehrestenmale überraschte ich sie, eh sie ausgewünscht hatten. Alles umsonst, ihre Wünsche sind Fässer der Danaiden – die nie voll werden.

ARIST. Kommt nach Hause, wir wollen Euch danken.

STREPHON. Mein Kräfte sind verbraucht, das Öl ist verzehrt, was wollt ihr mit der stinkenden verlöschenden Lampe? Alle meine Kenntnisse, alle meine Vorzüge sind in fremden Händen, es ist nichts mein geblieben als der Gram über ihren Verlust. Ihr seht hier einen von den Menschen aus dem Evangelio vor Euch, denen auch das genommen ist, was sie hatten.

ARIST. Ihr erschrecket mich. Ihr seid in der Wahl Eurer Freunde zu unvorsichtig gewesen. Euer Herz hat Euch verführt.

STREPHON. Es ist all eins. Ich habe brave Leute gekannt, sobald sie meine Freunde waren, mußt ich vor ihnen auf der Hut sein. Ich übergab mich ihnen mit aller Offenheit eines gerührten Herzens, sobald ich eine schöne Seite an ihnen wahrnahm; und dafür mißhandelten sie mich. Ihr Hochmut blähte sich so weit über mich hinaus, daß sie mich als einen weggeworfenen Lumpen im Kot liegen sahen, blind dafür, daß ich mich ihnen weggeworfen. Sie vernachlässigten mich dafür, daß ich ihnen zuvorkam, ich stellte sie auf ihre Füße, daß sie stehen konnten, und sie traten mich mit Füßen.[282]


Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 281-283.
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