Fünfte Szene

[194] In Lille.

Wesener sitzt und speist zu Nacht mit seiner Frau und ältesten Tochter. Mariane tritt ganz geputzt herein.


MARIANE fällt ihm um den Hals. Ach Pappa, Pappa!

WESENER mit vollem Munde. Was ist, was fehlt dir.

MARIANE. Ich kann's Ihm nicht verhehlen, ich bin in der Komödie gewesen. Was das für Dings ist.

WESENER rückt seinen Stuhl vom Tisch weg und kehrt das Gesicht ab.

MARIANE. Wenn Er gesehen hätte was ich gesehen habe, Er würde wahrhaftig nicht böse sein Papa. Setzt sich ihm auf den Schoß. Lieber Papa, was das für Dings alles durcheinander ist, ich werde die Nacht nicht schlafen können für lauter Vergnügen. Der gute Herr Baron.

WESENER. Was, der Baron hat dich in die Komödie geführt?

MARIANE etwas furchtsam. Ja Papa – lieber Pappa!

WESENER stößt sie von seinem Schoß. Fort von mir, du Luder – willst die Mätresse vom Baron werden?

MARIANE mit dem Gesicht halb abgekehrt, halb weinend. Ich war bei der Weyhern – und da stunden wir an der Tür – Stotternd. und da redt' er uns an.

WESENER. Ja lüg nur, lüg nur dem Teufel ein Ohr ab – geh mir aus den Augen du gottlose Seele.

CHARLOTTE. Das hätt ich dem Papa wollen voraussagen daß es so gehen würde. Sie haben immer Geheimlichkeiten miteinander gehabt, sie und der Baron.

MARIANE weinend. Willst du das Maul halten.

CHARLOTTE. Denk doch, vor dir gewiß nicht. Will noch kommandieren dazu und führt sich so auf.

MARIANE. Nimm dich nur man selber in Acht mit deinem jungen Herrn Heidevogel. Wenn ich mich so schlecht aufführte als du –[194]

WESENER. Wollt ihr schweigen? Zu Marianel. Fort in deine Kammer den Augenblick, du sollst heut nicht zu Nacht essen – schlechte Seele! Mariane geht fort. Und schweig du auch nur, du wirst auch nicht engelrein sein. Meinst du kein Mensch sieht warum der Herr Heidevogel so oft ins Haus kommt.

CHARLOTTE. Das ist alles des Marianel Schuld. Weint. Die gottsvergeßne Allerweltshure will honette Mädels in Blame bringen weil sie so denkt.

WESENER sehr laut. Halt's Maul! Mariane hat ein viel zu edles Gemüt als daß sie von dir reden sollte, aber du schalusierst auf deine eigene Schwester; weil du nicht so schön bist als sie, sollst du zum wenigsten besser denken. Schäm dich – Zur Magd. Nehmt ab, ich esse nichts mehr.


Schiebt Teller und Serviette fort, wirft sich in einen Lehnstuhl und bleibt in tiefen Gedanken sitzen.


Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 194-195.
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