Dritte Szene

[239] In Armentières.

Marys Wohnung.

Mary und Desportes sitzen beide ausgekleidet an einem kleinen gedeckten Tisch. Stolzius nimmt Servietten aus.


DESPORTES. Wie ich dir sage, es ist eine Hure vom Anfang an gewesen und sie ist mir nur darum gut gewesen, weil ich ihr Präsenten machte. Ich bin ja durch sie in Schulden gekommen, daß es erstaunend war, sie hätte[239] mich um Haus und Hof gebracht, hätt ich das Spiel länger getrieben. Kurz um Herr Bruder, eh ich mich's versehe, krieg ich einen Brief von dem Mädel, sie will zu mir kommen nach Philippeville. Nun stell dir das Spektakel vor, wenn mein Vater die hätte zu sehen gekriegt. Stolzius wechselt einmal ums andere die Servietten um, um Gelegenheit zu haben, länger im Zimmer zu bleiben. Was zu tun, ich schreib meinem Jäger er soll sie empfangen und ihr solange Stubenarrest auf meinem Zimmer ankündigen, bis ich selber wieder nach Philippeville zurückkäme und sie heimlich zum Regiment abholte. Denn sobald mein Vater sie zu sehen kriegte, wäre sie des Todes. Nun mein Jäger ist ein starker robuster Kerl, die Zeit wird ihnen schon lang werden auf einer Stube allein. Was der nun aus ihr macht will ich abwarten Lacht Höhnisch. ich hab ihm unter der Hand zu verstehen gegeben daß es mir nicht zuwider sein würde.

MARY. Hör Desportes, das ist doch malhonett.

DESPORTES. Was malhonett, was willst du – Ist sie nicht versorgt genug wenn mein Jäger sie heuratet? Und für so eine –

MARY. Sie war doch sehr gut angeschrieben bei der Gräfin. Und hol mich der Teufel Bruder ich hätte sie geheuratet, wenn mir nicht der junge Graf in die Quer gekommen wäre, denn der war auch verflucht gut bei ihr angeschrieben auch.

DESPORTES. Da hättest du ein schön Sauleder an den Hals bekommen.


Stolzius geht heraus.


MARY ruf ihm nach. Macht daß der Herr seine Weinsuppe bald bekommt – Ich weiß nicht wie es kam, daß der Mensch mit ihr bekannt ward, ich glaube gar sie wollte mich eifersüchtig machen, denn ich hatte eben ein paar Tage her mit ihr gemault. Das hätt alles noch nichts zu sagen gehabt, aber einmal kam ich hin, es war in den heißesten Hundstagen, und sie hatte eben wegen der Hitze nur ein dünnes dünnes Röckchen von Nesseltuch[240] an, durch das ihre schönen Beine durchschienen. Sooft sie durchs Zimmer ging und das Röckchen ihr so nachflatterte – hör ich hätte die Seligkeit drum geben mögen, die Nacht bei ihr zu schlafen. Nun stell dir vor, zu allem Unglück muß den Tag der Graf hinkommen, nun kennst du des Mädels Eitelkeit. Sie tat wie unsinnig mit ihm, ob nun mich zu schagrinieren, oder weil solche Mädchens gleich nicht wissen, woran sie sind wenn ein Herr von hohem Stande sich herabläßt, ihnen ein freundlich Gesicht zu weisen. Stolzius kommt herein, trägt vor Desportes auf und stellt sich totenbleich hinter seinen Stuhl. Mir ging's wie dem überglühten Eisen, das auf einmal kalt wie Eis wird. Desportes schlingt die Suppe begierig in sich. Aller Appetit zu ihr verging mir. Von der Zeit an hab ich ihr nie wieder recht gut werden können. Zwar wie ich hörte daß sie von der Gräfin weggelaufen sei –

DESPORTES im Essen. Was reden wir weiter von dem Knochen? Ich will dir sagen Herr Bruder, du tust mir einen Gefallen, wenn du mir ihrer nicht mehr erwähnst. Es ennuyiert mich wenn ich an sie denken soll. Schiebt die Schale weg.

STOLZIUS hinter dem Stuhl, mit verzerrtem Gesicht. Würklich?


Beide sehen ihn an voll Verwunderung.


DESPORTES hält sich die Brust. Ich kriege Stiche – Aye! –

MARY steif den Blick auf Stolzius geheftet ohne ein Wort zu sagen.

DESPORTES wirft sich in einen Lehnstuhl. – Aye! – Mit Kontorsionen. Mary! –

STOLZIUS springt hinzu, faßt ihn an die Ohren und heftet sein Gesicht auf das seinige. Mit fürchterlicher Stimme. Mariane! – Mariane! – Mariane!

MARY zieht den Degen und will ihn durchbohren.

STOLZIUS kehrt sich kaltblütig um und faßt ihm in den Degen. Geben Sie sich keine Mühe, es ist schon geschehen.[241] Ich sterbe vergnügt da ich den mitnehmen kann.

MARY läßt ihm den Degen in der Hand und läuft heraus. Hülfe! – Hülfe –

DESPORTES. Ich bin vergiftet.

STOLZIUS. Ja Verräter das bist du – und ich bin Stolzius, dessen Braut du zur Hure machtest. Sie war meine Braut. Wenn ihr nicht leben könnt, ohne Frauenzimmer unglücklich zu machen, warum wendt ihr euch an die, die euch nicht widerstehen können, die euch aufs erste Wort glauben. – Du bist gerochen meine Mariane! Gott kann mich nicht verdammen.


Sinkt nieder.


DESPORTES. Hülfe! Nach einigen Verzuckungen stirbt er gleichfalls.


Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 239-242.
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