Zweite Szene


[253] Die Nachahmer

Goethe steht auf einem Felsen und ruft herunter zu einem ganzen Haufen Gaffer.


GOETHE. Meine werte Herrn! wollt ihr's auch so gut haben, dürft nur da herumkommen – denn daherum und denn daherum, 's ist gar nicht hoch ich versichere euch und die Aussicht ist herrlich. – Lenz nun sollst du deinen Spaß haben. Geht ein jämmerlich Gepurzel an. Bleiben ihrer etliche am Fuß des Berges auf Feldsteinen stehen und rufen den andern zu. Meine Herren wollt ihr's auch so gut haben, dürft nur daherum kommen.

ANDERE VON DEM HAUFEN. Sollst gleich herunter sein, Hanns Pickelhäring, bist ja nur um eine Hand hoch höher als wir.


Stoßen einander herunter, jene wehren sich mit den Steinen, auf welchen sie stunden.


GOETHE schlägt in die Hände. Zu Lenz. Ist das nicht ein Gaudium?


Die so jene vorher heruntergestoßen sagen.


Wollen doch sehen ob wir die von oben nicht auch hinabbekommen können, ist's uns doch mit diesen gelungen.[253]

EINER. Hör, hast du nicht eine Lorgnette bei dir, ich kann sie nicht recht unterscheiden dort oben, ich möchte dem einen zu Leibe der uns herabgerufen hat.

DER ANDERE. Mensch wo denkst du hin, wie willst du an ihn kommen?

ERSTER. Kam doch David mit der Schleuder bis an Goliath herauf und ich bin doch auch so niedrig nicht. Ich will mich auf jenen Stein stellen dort gegen mich über.

DER ANDERE. Probier's.


Goethe stößt Lenzen an, der lauert gleichfalls hinunter.


ERSTER schwingt einen Stein. Hör du dort, halt mir ein wenig den Arm fest, er ist mir aus dem Gelenk gegangen.

ZWEITER durch die Lorgnette guckend. Da da oben, gerade wo ich mit dem Finger hindeute, da steht der Goethe, ich kenn ihn eigentlich mit seinen großen schwarzen Augen, er paßt auf, er wird sich wohl bücken wenn der Stein kommt, und der andere hat sich hinter ihm verkrochen.

ERSTER schleudert aus aller seiner Macht. Da mag er's denn darnach haben. Der Stein fällt wieder zurück und ihm auf den Fuß. Hinkt herum. Aye! Aye! was hab ich doch gemacht?

ZWEITER. O du alte Hure! hat grade soviel Kraft in seiner Hand als meine alte Großmutter. Wirft die Lorgnette weg, faßt den Stein ganz wütend und wirft blindlings über die Schulter seinem Nachbar ins Gesicht, daß der tot zur Erde fällt. Der Teufel! ich dacht ihn doch recht gezielt zu haben. So hat mich die Lorgnette betrogen. Es wird heutzutage doch kein vernünftig Glas mehr geschliffen.

GOETHE. Wollen uns doch die Lust machen und was herunterwerfen! Hast du ein Bogen Papier bei dir?

LENZ. Da ist.

GOETHE. Sie werden meinen es sei ein Felsstück. Du sollst dich zu Tode lachen. Läßt den Bogen herabfallen.


[254] Sie laufen alle mit erbärmlichem Geschrei.


O weh! er zermalmt uns die Eingeweide, er wird einen zweiten Ätna auf uns werfen.


Einige springen ins Wasser, andere kehren alle Vier in die Höhe, als ob der Berg schon auf ihnen läge.


EIN PAAR PEDANTEN. Wir wollen sehen, ob wir uns nicht Schilde flechten können, testudines nach Art der Alten. Es werden solcher mehr kommen.


Verlieren sich in ein Weidengebüsch.


EIN GANZER HAUFEN auf Knien, die Hände in die Höhe. O schone, schone! weitwerfender Apoll!

GOETHE kehrt sich lachend um, zu Lenz. Die Narren!

LENZ. Ich möchte fast herunter zu ihnen und sie bedeuten.

GOETHE. Laß sie doch. Wenn keine Narren auf der Welt wären, was wär die Welt!


Der ganze Haufe kommt den Berg herangekrochen wie Ameisen, rutschen alle Augenblick zurück und machen die possierlichsten Capriolen.


UNTEN. Das ist ein Berg!


Der Henker hol den Berg!

Ist ein Schwerenotsberg.


Ei was ist dran zu steigen, wollen gehen und sagen wir sind droben gewesen.

ALLE. Das wird das gescheutste sein. Kommt ein Haufen Fremde zu ihnen, sie komplimentieren sich. Kennen Sie den Herrn Goethe? Und seinen Nachahmer den Lenz? Wir sind eben bei ihnen gewesen, die Narren wollten nicht mit herunterkommen, sie sagten es gefiel ihnen so wohl da in der dünnen Luft.

EIN FREMDER. Wo geht man hinauf meine Herren, ich möchte sie gern besuchen.

EINER. Ich rat es Ihnen nicht. Wenn Sie zum Schwindel geneigt sind –

FREMDER. Ich bin nicht schwindligt.

ERSTER. Schadt nichts, Sie werden's schon werden. Unter uns gesagt, die Wege sind auch verflucht verworren[255] durcheinander, wir müßten Sie bis oben hinauf begleiten. Der Lenz selber soll sich einmal verirrt haben ganzer drei Tage lang.

FREMDER. Wer ist denn der Lenz, den kenn ich ja gar nicht.

ERSTER. Ein junges aufkeimendes Genie aus Kurland, der bald wieder nach Hause zurückreisen wird. Er ist von meinen vertrautsten Freunden und schreibt kein Blatt, das er nicht vorher mir weist.

FREMDER. Und der ist so hoch heraufkommen?

ERSTER. Der Goethe hat ihn mitgenommen, er hat mir's auch angetragen, aber ich wollte nicht, meine Lunge ist mir zu lieb. Doch hab ich ihn besucht oben.

FREMDER. Ich möchte doch die beiden Leute gern kennen lernen, es müssen sonderbare Menschen sein.

ERSTER. Ach sie werden gleich herunterkommen, wenn wir ihnen winken werden.


Winken mit Schnupftüchern, jene kehren sich um und gehen fort.


ERSTER. Sehn Sie? Warten Sie nur einen Augenblick, sie werden gleich da sein.

ZWEITER. Wart du bis morgen früh. Da sind sie schon auf einem andern Hügel.

FREMDER. Das ist impertinent. Wenn man bei uns Auteur ruft und er kommt nicht, wird er ausgepfiffen.

ERSTER. Wollen wir auch pfeifen?

ZWEITER. Was hilft's, sie hören's doch nicht.

ERSTER. Desto besser.[256]


Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 253-257.
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