Vierte Szene


[258] Die Journalisten


EINER. Es fängt da oben an bald zu wölken bald zu tagen. Hört Kinder, es ist euch kein andrer Rat, wir müssen hinauf und sehen wie die Leute das machen.

ZWEITER. Ganz gut, wie kommen wir aber hinauf.

ERSTER. Wollen wir ein Luftschiff machen wie die bösen Geister im Noah das uns in die Höhe hebt.

ZWEITER. Ein fürtrefflicher Einfall. Es kommt auch so ein Wind von oben herab, der uns schon heben wird.

ERSTER. Ich hab auch eben nichts Bessers zu tun und es wäre doch kurios den Leuten auf die Finger zu sehen.

DRITTER. Mir wird die Zeit auch so verflucht lang hier unten, ich weiß wahrhaftig nicht mehr was ich angreifen soll.

VIERTER. So können wir uns auch mit leichter Mühe berühmt machen.

FÜNFTER. Und ich will meine Akten und all ins Feuer werfen, was Henkers nützen einem auch die Brodstudia. Es soll uns so an Geld nicht fehlen.

SECHSTER zum Siebenten. Wenn die droben sind, wollen wir einen Geist der Journale schreiben. Das geneigte Publikum wird doch gescheut sein und pränumerieren, wie dem Klopstock da.

SIEBENTER. Wenn aber ein Achter käm und schrieb einen Geist des Geists?

SECHSTER. Es ist der Geist der Zeit. Laß uns keine Zeit verlieren, wer zuerst kommt der mahlt erst.


[258] Heben sich auf ihrem Luftschiff mit Goethens Wind und machen ihm Komplimente.


GOETHE. Landt an, landt an! Zu Lenz. Wollen den Spaß mit den Kerlen haben. Wirft ihnen ein Seil zu, die Journalisten verwandeln sich alle in Schmeißfliegen und besetzen ihn von oben bis unten. Nun zum Sackerment. Schüttelt sie ab.


Sie bekommen die Gestalt kleiner Jungen und laufen auf dem Berg herum, Hügelein auf, Hügelein ab. Goethe steigt eine neue Erhöhung hinan, eine Menge von ihnen umklammert ihm die Füße.


Nimm mich mit, nimm mich mit.

GOETHE. Liebe Jungens laßt mich los, ich kann ja sonst nicht weiter kommen.

EINER. Womit soll ich dich vergleichen? Alexander, Cäsar, Friedrich: o das waren alles kleine Leute gegen dich.

ZWEITER. Wo sind die großen Genieen der Nachbarn, die Shakespear, die Voltaire, die Rousseau.

DRITTER. Was sind die so sehr gerühmten Alten selber? der Schwätzer Ovid, der elende Virgil und dein so sehr erhabner Homer selbst. Du du bist der Dichter der Deutschen und soviel Vorzüge unsere Nation vor den alten Griechen –

LENZ sein Haupt verhüllend. O weh sie verderben mir meinen Goethe.

GOETHE. Daß euch die schwere Not. Schüttelt sie von den Beinen und wirft sie alle kopflängs den Berg hinunter. Ihr Schurken, daß ihr euch immer mit fremder Größe beschäftigt und nie eure eigene ausstudiert. Wie seid ihr im Stande zu fühlen was Alexander war, oder was Cäsar war, wie seid ihr im Stande zu fühlen was ich bin. Wie unendlich anders die Größe eines Helden, eines Staatsmannes eines Gelehrten und eines Künstlers! Ich bin Künstler dumme Bestien und verlangte nie mehr zu sein. Sagt mir ob's mir in meiner Kunst geglückt ist, ob ich wo einen Strich wider die Natur gemacht habe,[259] und denn sollt ihr mir willkommen sein. Übrigens aber haltt's Maul mit euren wahnwitzigen Ausrufungen von Groß Göttlich und merkt euch die Antwort die der König von Preußen einem gab, der ihn zum Halbgott machen wollte. Und der König von Preußen ist doch ein ganz andrer Mann als ich.

DIE JOURNALISTEN. Wir wollen alle Künstler werden.

GOETHE. In Gottes Namen, ich will euch dazu behülflich sein.

EINER. Wir brauchen Eurer Hülfe nicht. Ich bin schon ein zehnmal größrer Mann als du bist.

LENZ sieht wieder hervor. Also auch als alle die, die er unter dich gestellt hat.

GOETHE lacht. So aber gefällt mir der Kerl.

LENZ. Lieber Goethe, ich möchte mein Dasein verwünschen, wenn's lauter Leute so da unten gäbe.

GOETHE. Haben sie's andern Nationen besser gemacht? Woher denn der Verfall der Künste, wenn sie zu einer gewissen Höhe gestiegen waren.

LENZ. Ich wünschte denn lieber mit Rousseau wir hätten gar keine und kröchen auf allen Vieren herum.

GOETHE. Wer kann davor?

LENZ. Ach ich nahm mir vor hinabzugehn und ein Maler der menschlichen Gesellschaft zu werden: aber wer mag da malen wenn lauter solche Fratzengesichter unten anzutreffen. Glücklicher Aristophanes, glücklicher Plautus, der noch Leser und Zuschauer fand. Wir finden, weh uns, nichts als Rezensenten und könnten eben so gut in die Tollhäuser gehen um menschliche Natur zu malen.[260]

Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 258-261.
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