Zweite Szene


[262] Rabener tritt herein, den Haufen um Gellert zerstreuend.


RABENER. Platz, Platz für meinen Bauch Mit der Hand. und nun noch mehr für meinen Satyr, daß er gemächlich auslachen kann. Was in aller Welt sind das Gesichter hier.


[262] Zieht einen zylindrischen Spiegel hervor. Sie halten sich alle die Köpfe und entlaufen mit großem Geschrei wie eine Herde gescheuchter Schafe. Einige ermannen sich und treten sehr gravitätisch näher. Als sie nah kommen, können sie sich doch nicht enthalten, mit den Köpfen zurückzufahren. Als vernünftige Leute lachen sie aber selbst über die Grimassen die sie machen.


RABENER. Seid ihr's bald müde?


Gibt einem nach dem andern den Spiegel in die Hand, sie erschröcken sich mit ihren eigenen Gesichtern.


ALLE. So gefällt's uns doch besser als nach dem Leben.

RABELAIS UND SCARRON von oben. Au lieu du miroir, s'il s'était ôté la culotte, il aurait mieux fait.


Liscow horcht herauf, und da eben ein paar Waisenhäuserstudenten neben ihm stehen, zieht er sich die Hosen ab, die schlagen ein Kreuz, er jägt sie so rücklings zum Tempel hinaus. Ein ganzer Wisch junger Rezensenten bereden sich, bei erster Gelegenheit ein gleiches zu tun. Klotz bittet sie, nur solang zu warten bis er sich zu jenen drei Stufen hervorgedrängt, auf die er steigen und sodann zu allgemeiner Niederlassung der Hosen das Signal geben will.


KLOTZ. Das wird einen Teufels-Jokus geben. Es bleibt keine einzige Dame in der Kirche.

EINER. Die Komödiantinnen bleiben doch.

ZWEITER. Und die H*ren. Wir wollen Oden auf sie machen.


Anakreons Leier wird hervorgesucht und gestimmt. Die honetten Damen die was merken entfernen sich in eine Ecke der Kirche. Die andern treten näher. Rost spielt auf. Zu gleicher Zeit zieht Klotz die Hosen ab. Eine Menge folgen ihm. Das Gelächter, Gekreisch und Geschimpf wird allgemein. Die honetten Damen und die Herren von gutem Ton machen einen Zirkel um Rabener und lassen sich mit ihm in tiefsinnige Diskurse ein.


EINE STIMME. Flor der deutschen Literatur.

EINE ANDERE. Saeculum Augusti.[263]

DIE FRANZOSEN von oben. Voilà ce qui me plaît. Ils commencent à avoir de l'esprit, ces gueux d'Allemands là.

CHAULIEU UND CHAPELLE. En voila un qui ne dit pas le mot, mais il semble bon enfant, voyez comme il se plaît à tout cela, comme il sourit secouant la tête.


Stoßen ihn mit dem Stock an, winken ihm heraufzukommen, er geht hinauf.

Gleim tritt herein, mit Lorbeern ums Haupt, ganz erhitzt in Waffen. Als er den neckischen tollen Haufen sieht, wirft er Rüstung und Lorbeer weg, setzt sich zu der Leier und spielt, jedermann klatscht. Der ernsthafte Zirkel wird auch aufmerksam, Uz tritt daraus hervor; wie Gleim aufgehört hat, setzt er sich gleichfalls an die Leier.


EIN JUNGER MENSCH tritt aus dem ernsthaften Haufen hervor, mit verdrehten Augen, die Hände über dem Haupt zusammengeschlagen sagt. Ω ποποι! was für ein Unterfangen, was für eine zahmlose und schamlose Frechheit ist das? Habt ihr so wenig Achtung, so wenig Entsehen für diese würdige Personen, ihre Ohren und Augen mit solchen Unflätereien zu verwunden? Schämt euch, verkriecht euch, ihr sollt diese Stelle nicht länger schänden die ihr usurpiert habt, heraus mit euch Bänkelsängern, Wollustsängern, Bordellsängern, heraus aus dem Tempel des Ruhms.


Ein paar Priester folgen dicht hinter ihm drein, trommeln mit den Fäusten auf die Bänke, zerschlagen die Leier und jagen sie alle zum Tempel hinaus. Wieland bleibt stehen, die Herren und Damen umringen ihn und erweisen ihm viel Höflichkeiten für die Achtung so er ihnen bewiesen.


WIELAND. Womit kann ich den Damen itzt aufwarten, ich weiß in der Geschwindigkeit wahrhaftig nicht – sind Ihnen Sympathien gefällig – Briefe der Verstorbnen an die Lebendigen, oder befehlen Sie ein Heldengedicht, eine Tragödie.[264]

DIE GESELLSCHAFT. Was von Ihnen kommt muß alles vortrefflich sein.


Er kramt seine Taschen aus.

Die Herrn und Dames besehen die Bücher und loben sie höchlich. Endlich weht sich die eine mit dem Fächer, die andere gähnend.


Haben Sie nicht noch mehr Sympathien?

WIELAND. Nein wahrhaftig gnädige Frau – o lassen Sie sich doch die Zeit nur nicht lang werden – Warten Sie nur noch einen Augenblick, wir wollen sehen ob wir nicht etwas finden können. Geht herum und sucht, findt die zerbrochne Leier die er zu reparieren anfängt. Sogleich, sogleich – nur einen Augenblick – ich will sehen ob ich noch was herausbringe. Spielt.


Alle Damen halten die Fächer vor den Gesichtern, man hört hin und wieder ein Gekreisch.


Um Gottes willen hören Sie doch auf.


Er läßt sich nicht stören, sondern spielt nur immer rasender.


DIE FRANZOSEN. Ah le gaillard! Les autres s'amusaient avec des grisettes, cela débauche les honnêtes femmes. Il a pourtant bien pris son parti.

EINER. Je ne crois pas que ce soit un Allemand, c'est un Italien.

CHAPELLE UND CHAULIEU. Ah ça – pour rire – descendons notre petit Lassen Jacobi auf einer Wolke von Nesseltuch nieder, wie einen Amor gekleidt. cela changera bien la machine.

JEDERMANN. Ach sehen Sie doch um Himmelswillen.


Jacobi spielt in der Wolke auf einer kleinen Sackvioline. Einige aus der Gesellschaft fangen an zu tanzen. Er läßt eine erschröckliche Menge Papillons fliegen.


DIE DAMES haschen nach ihnen und rufen. Liebesgötterchen! Liebesgötterchen!

JACOBI springt aus der Wolke und schlägt die Arme kreuzweis übereinander, schmachtend zusehend. O mit welcher Grazie![265]

WIELAND. Von Grazie hab ich auch noch ein Wort zu sagen.


Spielt. Die Damen minaudieren erschröcklich, die Herren setzen sich einer nach dem andern in des Jacobi Wolke und schaukeln damit herum. Andere lassen gleichfalls Papillons fliegen. Die Alten tun sie unter das Vergrößerungsglas und einige Philosophen legen den Finger an die Nase um die Unsterblichkeit der Seele aus ihnen zu beweisen. Eine Menge Offiziers machen sich Kokarden von Papillonsflügeln, andere kratzen mit dem Degen an der Leier sobald Wieland zu spielen aufhört. Endlich gähnen sie alle.

Eine Dame die, um nicht gesehen zu werden, hinter Wielands Rücken unaufmerksam auf alles was vorging gezeichnet hatte, gibt ihm das Bild zum Sehen, er zuckt die Schultern, lächelt, macht ihr ein halbes Kompliment und reicht es großmütig herum. Jedermann macht ihm Komplimente darüber, er bedankt sich schönstens, steckt es wie halbzerstreut in die Tasche und fängt wieder zu spielen an. Die Dame errötet. Die Palatinen der

andern Damen die Wieland zuhören kommen in Unordnung, weil die Herrchen zu ungezogen werden. Wieland winkt ihnen lächelnd zu und Jacobi hüpft wie unsinnig von einer zur andern herum.

Indessen klatscht die ganze Gesellschaft und ruft gähnend.


Bravo! bravo! bravo! le moyen d'ouïr quelque chose de plus ravissant.


Goethe stürzt herein in Tempel, glühend, einen Knochen in der Hand.


GOETHE. Ihr Deutsche? – – Hier ist eine Reliquie eurer Vorfahren. Zu Boden mit euch und angebetet, was ihr nicht werden könnt.


Wieland macht ein höhnisch Gesicht und spielt fort. Jacobi bleibt mit offenem Mund und niederhangenden Händen stehen.[266]


GOETHE auf Wieland zu. Ha daß du Hektor wärst und ich dich so um die Mauren von Troja schleppen könnte. Zieht ihn an den Haaren herum.

DIE DAMEN. Um Gotteswillen Herr Goethe, was machen Sie?

GOETHE. Ich will euch spielen, obschon's ein verstimmtes Instrument ist.


Setzt sich hin, stimmt ein wenig und spielt. Jedermann weint.


WIELAND auf den Knien. Das ist göttlich.

JACOBI hinter Wieland gleichfalls auf Knien. Das ist eine Grazie, eine Wonneglut.

EINE GANZE MENGE DAMEN stehn auf und umarmen Goethe. O Herr Göthe!


Die Chapeaux werden alle ernsthaft. Eine Menge laufen heraus, andere setzen sich Pistolen an die Köpfe, setzen aber gleich wieder ab. Der Küster, der das sieht, läuft und stolpert aus der Kirche.


Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 262-267.
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