Vierte Szene


[269] Goethe zieht Wieland das Blatt Zeichnung aus der Tasche das er vorhin von der Dame eingesteckt.


GOETHE hält's hoch. Seht dieses Blatt – und hier ist die Hand die es gezeichnet hat.


Die Verfasserin der Sternheim ehrerbietig an die Hand fassend.


EINE PRÜDE weht sich mit dem Fächer. O das wäre sie nimmer im Stande gewesen allein zu machen.

EINE KOKETTE. Wenn man ein so groß Genie zum Beistand hat, wird es nicht schwer einen Roman zu schreiben.

GOETHE. Errötest du nicht Wieland? verstummst du nicht? Kannst du ein Lob ruhig anhören, das soviel Schande über dich zusammenhäuft? Wie daß du nicht deine Leier in den Winkel warfst, als die Dame dir das Bild gab, demütig vor ihr hinknietest und gestandst du seist ein Pfuscher? Das allein hätte dir Gnade beim Publikum erworben das deinem Wert nur zu viel zugestand. Seht dieses Bild an.


Stellt es auf eine Höhe.


ALLE MÄNNER fallen auf ihr Angesicht, rufen. Sternheim wenn du einen Werther hättest, tausend Leben müßten ihm nicht zu kostbar sein.

PFARRER von der Kanzel herunter mit Händen und Füßen[269] schlagend. Bösewichter! Unholde! Ungeheuer! Von wem habt ihr das Leben? Ist es euer? Habt ihr das Recht, drüber zu schalten?

EINER AUS DER GESELLSCHAFT. Herr Pfarrer halten Sie das Maul.

KÜSTER mischt sich unter sie. Ja erlauben Sie meine großgünstige Herren, es ist aber auch ein Unterscheid zwischen einer schönen Liebe und einer solchen gottsvergessenen, und denn so mit Ihrer großgünstigen Erlaubnis, der Herr Pfarrer hat auch so unrecht nicht, denn sehn Sie einmal, meine arme Frau steht auch in Gefahr, eines Menschen Leben auf ihr Gewissen zu laden, und da ich mit den Gespenstern nichts gern zu teilen habe –

EIN BUCHBINDER. Ei freilich, ich bin auch von des Herrn Küsters Partei, meine Nachtruhe ist mir lieb auch.

KÜSTER. Also mit Ihrer gnädigen Erlaubnis meine Herren, wäre mein Rat wohl, wir gingen fein alle nach Hause und schlössen die Kirchtür zu. Wer Lust hat den Werther zu machen kann immer drin bleiben, he he he ich denk er wird doch in der Einsamkeit schon zu Verstand kommen, wir andere ehrliche Bürgersleut aber gehen heim nach dem Sprüchlein Lutheri:

Ein jedes lern sein Lektion,

So wird es wohl im Hause stohn.

GOETHE. Geht in Gottes Namen. Ich bleib allein hier.


Es bleiben einige bei ihm im Tempel. Die meisten gehn heraus und der Küster schließt die Kirchtür zu.


KÜSTER. So. Du sollst mir nicht mehr herauskommen.

PFARR. Nur die Schlüssel der Frau nicht gegeben.

FRAU PFARR. Mannchen! der arme Werther.

PFARR UND KÜSTER. Da haben wir's, da wirkt das höllische Gift. Ich wollt er läg auf unserm Kirchhof, oder der verachtungswürdige Proteus an seiner Stelle. Wir wollten die Knochen ausgraben lassen, verbrennen und die Asche aufs Meer streuen.[270]

KÜSTER. Ich wollt einen Mühlstein an die Asche hängen und sie ersäufen lassen. Er hat mich in die Seele hinein geärgert. Mein armes Weibchen was machst du denn? Du wirst doch nicht toll sein und dir auch deinen Werther schon angelegt haben, ich wollte dich – Es ist wohl gut, daß in Teutschland keine Inquisition ist, aber es ist doch nicht gar zu gut. Ich wollte mein Leben dran setzen einen solchen Rebellen, einen solchen –

KÜSTERS FRAU. Er ein Rebell?

KÜSTER. Red mir nicht. Was für schnöde Worte er im Munde führt. Wenn man das alles auseinandersetzte was der Werther sagt.

KÜSTERS FRAU. Er sagt es ja aber in der Raserei, da er nicht recht bei sich war.

KÜSTER. Er soll aber bei sich bleiben der Hund. Wart nur ich will ein Buch schreiben, da will ich dich lehren und alle die den Werther mir so gelobt haben – kurz und gut Weib, lieber doch einen Schwager als einen Werther, kurz von der Sache zu reden. Und damit so weißt du meine Meinung und laß mich mit Frieden.


Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Werke und Schriften. Band 2, Stuttgart 1965–1966, S. 269-271.
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