7. Fragment eines Gedichts über das Begräbniß Christi

[68] Untergehend küßte die niedrige Sonne die Klippen

Des westlichen Gestades traurig. Ihr rauschten die Wellen

Furchtsam entgegen, und, da sie mit matterem Strahle

Ihnen zuwinkt': er starb! da flohen sie schäumend vom Ufer

Tief in den Schooß des Meeres hinab und rauscheten hohler. –

Ehrerbietige Dämmrung umgab den grossen Entseelten,

Dessen holdselige Wangen Todesbläß' entstellte.

Doch, wie die scheidende Sonne noch erquikkende Röthe

An dem Abendhimmel zurük ließ, so war auf dem Antliz

JESU die göttlicherbarmende menschenfreundliche Miene

Noch nicht gestorben. –


Plözlich wandte Maria ihr weitoffenes Auge

Von dem Kreuze hinweg, schlug in die bebenden Hände,

Konnte Seufzer dem vollen Busen nicht mehr entpressen,

Tränen nicht mehr dem Auge. Nun eilte sie, unwissend, wo sie

Ihre ohnmächtigen Füsse hintragen würden: ihr dunkler[68]

Blik sah den Himmel nicht mehr, sah nicht mehr die Erde; hoch über

Dem starr vor sich schauenden Haupt die Arme gerungen,

Eilte sie fort. –


Indem war sie zu einem einsamen Thale gekommen,

Den ein Hügel des Golgatha macht. Eine schlängelnde Quelle

Tränkte die lieblichen Blumen, die hier den Boden durchkreuzten;

Deren melancholisches Rieseln klang harmonisch in ihr

Abgebrochenes Stöhnen. Ausser sich sank sie am bunten

Ufer nieder. Zirkelnd empfing das trübe Gewässer

Ihre einzelnen Tränen. Und sieh! die frommen Schaafe,

Die hier weideten, nahten furchtsam zu ihr; blikten

Starr mitleidig sie an, und blökten und weidten nicht ferner. –

»Sohn! – o göttlicher Sohn! – du bist mir entrissen – entrissen!«

Dann blieb sie lange sprachloß, schlug an die Brust, dann sprach sie:

»Er ist dahin! – Mein Stolz dahin! – Nun bin ich nicht Mutter

Des Allerheiligsten mehr, ein sündiges Weib bin ich izt nur.«

Nun fiel sie auf ihr Antliz: »Du, der du starbst, o erhabner

Göttlicher Mann, nicht Sohn mehr – klaget ihr Mütter, die ihr mich

Selig prieset, nicht Sohn mehr, darf die elende Maria

Die du nicht würdig mehr hieltest von dir den seligen Namen,

Den herzerhöhenden Namen der Mutter länger zu hören,

Darf sie hinaufflehn zu dir? Zulezt noch, bittre Erinnrung!

Nannte dein blasser Mund mich mit diesem göttlichen Namen:

Ach! nun hör' ich ihn ewig nicht mehr. – O Sohn, o Geliebter!

Der du hoch über dem Staube zu dem ich verstossen bin, über

Dieser Dämmrung in der ich weine, umringet von Engeln

Sizzest und leuchtest und zählst meine Tränen, sie alle versammelst,

Sende Trost in diesen geöfneten blutenden Busen,

Dem der Sohn entrissen ist, unter dem du einst geschlafen. –[69]

Göttliche Stunden, ihr seid entflohn, ihr besucht mich nicht wieder,

Da ich ihn trug den Großen, Erhabenen, Größten der Söhne. –

Tröste mich Sohn! Jehovah! tröste du selbst mich! –

Ich kann deinen der Gottheit beraubten, leblosen Leichnam,

Diese Hülle, die ich gebar, die allein mir zurük bleibt,

Jene blutrünstigen Lokken, jene noch freundlichen Lippen,

Jene strömenden Hände, ich konnte sie länger nicht ansehn. –

Meines trostlosen Mutterherzens, ich kann sie nicht sprechen,

Kann seine Martern nicht aussprechen. Tröste, tröste,

Du mich Sohn! Jehovah!«


Hier ward ihr Sprechen ein Schluchsen;

Ihre Seele ganz Schmerz vermocht nicht Gedanken zu denken.

Aber bald dämmerte ihr eine Morgenröthe von Hofnung,

Die Verzweiflung milderte sich, und stiller Kummer

Breitete Wermuttriefende Schwingen über sie. Seufzend

Hub sie sich auf vom tränenbenezten Boden; da hörte

Sie in der Stille der Dämmrung wie eines Sterbenden Stöhnen.

Und sie näherte sich der dumpfen angstvollen Stimme,

Und sah – Petrum schlafend. An eine ächzende Eiche

Hatt' er sein Haupt gelehnt, die Händ' auf dem Busen gefaltet,

Und der Todesangst Tropfen blizten auf seiner feuchten

Traurig gerunzelten Stirne; sein Herz schlug sichtbar: sie sah ihn

Mitleidig an: »Welch schreklicher Traum verkündigt dem Treusten

Seiner Jünger sein Schiksal?« –


Aber furchtbare Bilder täuschten die Sinne des blöden

Reuerfüllten Verleugners. Am Ufer des tobenden Welt Meers

Stand, so träumt' er, ein hoher abhängiger Felsen mit dünnem

Dürren Gesträuche bekleidt: er theilte mit eißgrauer Scheitel

Das Gewölk. An diesem Felsen klimmte der bange

Petrus, schon war er hoch hinangeklimmt – da verliessen

Ihn die Kräfte auf einmal: die Reiser flatterten plözlich

Aus seinen blutig gestreiften Händen, er haschte vergeblich

Nach ihnen, sich an sie zu halten, und stürzte den schroffen[70]

Felsen hinunter, den Tod in der Brust – da ergrif aus der Wolke

Ueber dem Felsen eine glänzende Hand ihn, und hob ihn

Auf den Felsen empor, und eine Stimm' aus der Wolke

Nannt' ihn Bruder, und herrlich breitete himmlische Freude

In seiner Seele sich aus. – Doch plözlich veränderte sich die

Scene. Am Fuß des Felsen stand er und sah – (er bebte,

Seine Empfindung war Grenzlose Furcht, hinreissendes Staunen)

Sah in ihrer ganzen Grösse blutroth die Sonne,

In ihrer ganzen Grösse, umwälzend, die Feuerwelt vor sich:

Tausend wütende Meerstrudel hätten (so braußte sie) mehr nicht

Als das Schwirren der Mükke bei diesem Getöse die Ohren

Fernher berührt. Und nun, o Himmelerschütterndes Wunder!

Sank sie langsam verlöschend in die versiegenden Wogen

Des Oceans. Sein schlammigter Grund ward sichtbar. Ein Rauchdampf

Wie von zahllos kämpfenden Meteoren bedekte

Den mit sträubendem Haar hinfallenden Jünger: es stürzte

In ihm von Ader zu Ader das kochende Blut. Wie vom Tode

Ein Beseßner erwacht, um sich den erschlagenen Vater

Und der Mutter rauchend Geblüte von mördrischen Fäusten

Rinnen sieht: so erschrokken, so ganz ausser sich, schlug izt

Petrus ein wildes Aug' auf, schaute – sprang auf – sank zu Boden,

Röchelte Seufzer: – spät erst erblikt' er Maria, da füllte

Blut sein Angesicht, Tränen sein Aug', er wandte sich plözlich.

»Warum fliehest du Jünger? Hör' erst die schrökliche Bothschaft,

Die mein Haupt wie ein Wetter belastet, höre sie! flieh dann!

JESUS verschied.« – Er hört's, stand starr, schlug laut in die Hände,

Stöhnete laut, floh schneller, verlor' sich dem Auge und suchte Wüsten. –


Auch Maria war izt von neuen Aengsten ergriffen:

Unwissend wohin sie eilte, nahete sie durch das dunkle[71]

Thaubefeuchtete Graß an einen duftenden Hügel

Von dessen mooßigter Stirn' ein Hayn ehrwürdiger Tannen

Sich ins Thal hinabzog. Nie empfundener Schauer

Drang ihr durch die Gebeine und verschlang ihre Tränen.

»GOTT, wie heilig muß dieser Ort sein! Hier ist des Himmels

Haus, des Allerhöchsten Wohnung. Vielleicht ward ein Weiser,

Ein Prophet, ein Gerechter, dem Göttlichen gleich, hier begraben,

Daß die Tannen so heilig rauschen, und süsser Schauer

So die beschatteten Gänge dieses Hügels durchlispelt.«

Aber plözlich durchdrang ihr Ohr ein hohles Gemurmel

Menschlicher Stimmen: – ihr Herz schlug heftiger. Ahndungsvoll eilte

Sie um den Hügel herum, und sah auf der östlichen Seite

Ein Gedränge von Menschen. Mit beflügelten Schritten

Lief sie hinzu und schaut' und fragte die rauschende Menge.

Alles stand betrachtend. Wie auf aufschwellendem Meere

Sich des beängstigten Fischers Ruder vergeblich bemühet:

So erhub sie umsonst beschwörende Fragen. Izt theilte

Sich eine Wolke von Pöbel: sie drängte sich näher und sah ein

Hohes Grab in den Felsen gehauen, sah Joseph den Rathsherrn

Und Nikodemus den Pharisäer. Nun ward eine Leiche

Niedergesenkt. Sie richtete hoch sich über die Häupter

Derer Schauenden auf, und sah – (ihr Auge ward dunkel,

Schnelle Tränen entflohn ihm): es war Jesus. Da rekte

Sie die zitternden Arme hoch empor: »Es ist Jesus!

Es ist JESUS mein Sohn: wehrt nicht der Träne der Mutter

Ihn zu betröpfeln, wehrt nicht den brennenden Lippen den lezten

Theuren Kuß ihm zu geben.« Sie sprach es: aber die Hüter

Schlossen schnell einen Kreiß ums Grab; sie sah ihn nicht ferner.

Wie die rathlose Henne, der ein grausamer Knabe

Die unschuldig schreienden Kinder entreißt, mit schneller

Kriegerischer verzweiflungsvoller Wuth auf ihn losstürzt:

So drang stürmisch Maria sich hizzig durch alle aufhaltende Haufen[72]

Und die barbarische Wache der Kriegsknechte, die ihrer Stärke

Voll Verwundrung und Ehrfurcht auswichen. Inbrunstvoll warf sie

Dann vor der Leiche sich hin, und weinte über der Leiche. –

Quelle:
Jakob Michael Reinhold Lenz: Gedichte, Berlin 1891, S. 68-73.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Grabbe, Christian Dietrich

Hannibal

Hannibal

Grabbe zeigt Hannibal nicht als großen Helden, der im sinnhaften Verlauf der Geschichte eine höhere Bestimmung erfüllt, sondern als einfachen Menschen, der Gegenstand der Geschehnisse ist und ihnen schließlich zum Opfer fällt. »Der Dichter ist vorzugsweise verpflichtet, den wahren Geist der Geschichte zu enträtseln. Solange er diesen nicht verletzt, kommt es bei ihm auf eine wörtliche historische Treue nicht an.« C.D.G.

68 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon