XVI. Einsames Leben.

[73] (1831.)


Am frühen Tage, wenn mit Flügelschlagen

Die Henne munter im verschlossnen Hause

Sich regt und gackert und der Landbewohner

Auf den Altan hinaustritt, während zitternd

Die Sonnenpfeile durch den Tropfenfall

Des Nebels dringen, weckt der Regen mich,

Sacht an das Fenster meiner Hütte klopfend.

Da steh' ich auf, und jene leichten Wölkchen,

Der Vögel erstes Zwitschern und die Frische

Der Lüfte segn' ich und die heitren Fluren.

Denn euch, der Stadt unsel'ge Mauern, sah ich

Nun lang genug und weiß: in euch ist immer

Dem Schmerz der Haß gesellt; ach, und in Schmerzen

Leb' ich und sterbe so – wohl bald! Nur hier,

In diesen Stätten, gönnt Natur, wie karg auch,

Ein stilles Mitleid mir, dem sie dereinst

So huldvoll sich bewies! Und du auch wendest

Vom Unglück ab den Blick; auch du verschmähst

Die Armen und Beladnen, o Natur,

Und huldigst nur dem Glück. So bleibt im Himmel[73]

Kein Freund und auf der Erde keine Zuflucht

Dem Unglücksel'gen als ein scharfer Stahl.


Zuweilen rast' ich einsam irgendwo

Auf einem Hügel, an des Weihers Saum,

Von traurigstummen Pflanzen rings umkränzt.

Dort, wenn der Mittag sich an Himmel neigt,

Spiegelt ihr ruhig Bild die hohe Sonne,

Im Winde regt sich weder Halm noch Blatt,

Kein Wellchen kräuselt sich, kein Heimchen hörst du,

Nicht einen Vogel schwirren im Gezweig;

Kein Falter flattert, weit und breit, vernimmst

Und siehst du Nichts, was tönt und sich bewegt.

Um diese Ufer webt die tiefste Ruhe,

Daß fast der Welt und meiner selbst vergessend

Ich reglos sitze, ja mir ist, als wären

Die Glieder mir gelös't, kein Hauch, kein Fühlen

Bewegte sie, und ihre alte Ruhe

Verschmölze mit der Stille dieses Orts.


O Lieb', o Liebe, wie so weit entflohst du

Von dieser Brust, die einst so warm gefühlt,

Ja, glühend heiß! Mit seiner kalten Hand

Ergriff das Unglück sie, bis sie vereis'te

Im Flor der Jahre. Jener Zeit gedenk' ich,

Da du mein Herz durchbebtest, jener süßen,

Ewig verlornen Zeit, wo sich zuerst

Dem jungen Blick der Schauplatz dieser armen,

Unsel'gen Welt eröffnet, mit dem Lächeln

Des Paradieses. Ach, jungfräulich Hoffen

Und süße Sehnsucht macht das Herz des Jünglings

Im Busen klopfen, und der arme Mensch

Schickt sich zur Arbeit dieses Lebens, wie

Zu Tanz und Spiel. Doch kaum, o Liebe, war

Ich deiner inne worden, als das Schicksal[74]

Mein Leben schon zerbrach, und diesen Augen

Nichts mehr geziemt', als für und für zu weinen.

Zuweilen nur, wenn auf den Frühlingsfluren,

Beim stillen Frühroth, oder wenn im Glanz

Der Sonne Dächer, Au'n und Hügel schimmern,

Ich eines holden Mädchens Antlitz schaue,

Oder so oft ich in der milden Ruhe

Der Sommernacht den Schritt, der ziellos schweift,

Anhaltend vor des Dorfes kleinen Hütten

Das öde Land betrachte, und ein Mädchen,

Das noch die Nacht zu ihrer Arbeit nützt,

Mit heller Stimme im verlassnen Zimmer

Zu singen anhebt: plötzlich klopft mir stürmisch

Dies schon versteinte Herz; doch ach, wie bald

Sinkt es zurück in seine eh'rne Dumpfheit,

Denn allem Süßen fremd ward diese Brust.


O holder Mond, bei dessen sanftem Strahl

Im Wald die Hasen tanzen, – und der Jäger

Schilt dann des Morgens, wenn er alle Fährten

Verwirrt und trüglich findet und die Spur

Vom Nest des Wildes ablenkt, – sei gegrüßt,

Du güt'ge Herrscherin der Nacht! Es gleitet

Verhaßt dein Strahl durch Wald und Klippen oder

In öde Trümmer auf den Dolch herab

Des bleichen Räubers, der gespannten Ohrs

Auf das Geräusch der Räder und der Rosse

Von ferne lauert, oder auf den Fußtritt

Im stillen Hohlweg; plötzlich mit dem Klirren

Der Waffen und dem rauhen Ruf der Stimme

Und der geschwärzten Larve macht zu Eis er

Des Wandrers Herz erstarren, den er blutend

Und nackt im Dickicht läßt. Verhaßt begegnet

Dein weißes Licht dort in der Städte Gassen[75]

Dem feigen Buhler, der entlang den Mauern

Der Häuser schleicht und im verstohlnen Schatten

Sich hält und plötzlich stehen bleibt, erschreckt

Vom Strahle der Laternen und der offnen

Balcone. Arger Menschenbrut verhaßt,

Wird mir dein Anblick immer lieblich sein

In diesen Fluren, wo du Andres nicht

Als heitre Hügel, weitgedehnte Felder

Dem Auge zeigst. Und dennoch pflegt' ich einst,

Obwohl ich schuldlos lebte, deinen zarten

Strahl zu verwünschen an bewohnten Stätten,

Wenn er dem Blick der Menschen mich verrieth,

Menschliche Formen meinem Aug' enthüllte.

Nun will ich stets dich preisen, mag ich durch

Gewölk dich schwimmen sehen, oder heiter

Als Königin des hohen Aetherraumes

Zum Thränenthal der Menschen niederblicken.

Mich wirst du oft noch schauen, stumm und einsam

Durch Wälder irrend und durch grüne Ufer,

Oder im Grase sitzend, hochzufrieden,

Wenn Kraft und Athem nur zum Seufzen bleibt!

Quelle:
Leopardi, Giacomo: Gedichte und Prosaschriften. Berlin 1889, S. 73-76.
Lizenz:
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