XVII. Consalvo.

[76] (1836.)


Dem Ziele seines Erdenlebens nah

Lag nun Consalvo, und der alte Hader

Mit seinem Schicksal war gestillt; denn mitten

Im fünften Lustrum hing schon das ersehnte

Vergessen ihm zu Häupten. Wie seit lange,

So lag er auch an seinem Todestage,

Verlassen von den liebsten Freunden allen.[76]

Bleibt in der Welt kein Freund doch auf die Länge

Dem Menschen treu, der sich der Welt verschließt.

Doch bei ihm war, von Mitgefühl bewegt,

Den Armen, einsam Scheidenden zu trösten,

Die immer und allein sein Herz erfüllte,

Elvira, allverehrt um ihre Schönheit,

Wohl ihrer Macht bewußt, wohl wissend, daß

Ein heitrer Blick von ihr, Ein süßes Wort,

Ihr tausend Mal und tausend nachgesprochen

In treuester Erinnrung, Trost und Nahrung

Ihm war in hoffnungsloser Liebesqual,

Obwohl sie selbst noch nie ein Wort der Liebe

Von ihm vernommen. Sein Gemüth beherrschte,

Noch allgewalt'ger als die tiefe Sehnsucht,

Geheime Scheu. So sehr zum Kind und Sklaven

Macht' ihn das Uebermaß der Leidenschaft.


Doch endlich lös'te seiner Zunge Fessel

Der Tod; denn als er fühlt' an sichern Zeichen,

Daß seines Scheidens Tag gekommen sei,

Und sie hinweggehn wollte, fasst' er sie

An ihrer weißen Hand mit leisem Druck

Und sprach: Du gehst; die Stunde treibt dich fort.

Lebwohl, Elvira! Heut wohl seh' ich dich

Zum letzten Mal. Nun denn ade! Ich sage

Dir Dank für deine Sorg' und Müh', so innig

Es nur mein Mund vermag. Ein Höh'rer wird sie

Dir lohnen, wenn der Himmel Gutthat lohnt. –

Bleich ward die Schöne, und den Busen hob ihr

Ein schwerer Seufzer; denn dem Menschen, wär' er

Auch nur ein Fremder, schnürt doch stets ein Schmerz

Die Brust zusammen, wenn ein Scheidender

Für immer Abschied nimmt. Und widersprechen,

Verhehlen wollte sie das Nahn des Schicksals[77]

Dem Sterbenden. Doch er kam ihrer Rede

Zuvor und sagte: Lang ersehnt, du weißt es,

Und heiß herbeigewünscht, doch nicht gefürchtet

Kommt über mich der Tod, und dieser Tag

Des Scheidens dünkt mich froh. Wohl wird mir's schwer,

Für immer dich zu lassen. Ach, für immer

Scheid' ich von dir! Das Herz zerschneidet mir

Dies Wort! Dies Auge soll ich nimmer sehn,

Noch deine Stimme hören! Sag, bevor du

Auf ewig von mir gehst, Elvira, willst du

Nicht einen Kuß mir gönnen? Einen Kuß nur

In meinem ganzen Leben? Sterbenden

Versagt man keine Bitte. Auch nicht prahlen

Kann ich mit dieser Gunst, ich Halberloschner,

Dem bald, noch heute, fremde Hand die Lippen

Auf ewig schließen wird. – Nach diesem Wort

Drückt' er erseufzend seine kalten Lippen

Inbrünstig auf der Heißgeliebten Hand.


Unschlüssig, in nachdenklicher Geberde

Stand erst die Wunderschöne, heftete

Den Blick, von tausend Reizen sprühend, fest

Auf den des Unglücklichen, drinnen noch

Die letzte Thräne glänzte. Und sie bracht' es

Nicht übers Herz, die Bitte zu versagen,

Sein traurig Scheiden zu verbittern. Mitleid

Mit seiner Glut, um die sie wußte, zwang sie.

Und jenes Himmelsantlitz, jenen Mund,

Nach dem er heiß geschmachtet, der seit Jahren

All seinen Träumen sehnlich vorgeschwebt,

Sanft nähert' sie dem leidenvollen Antlitz,

Das schon erblichen war von Todeswehen,

Und drückte Kuß um Kuß, ganz holde Güte

Und hohes Mitleid, auf die bangen Lippen

Des Liebenden, der vor Entzücken bebte.
[78]

Wie war dir da? In welchem Licht erschien

Nun Leben, Tod und Unglück deinen Augen,

Consalvo, kurz vorm Scheiden? Jene Hand

Der Theuren, die er noch in seiner hielt,

Legt' er aufs Herz, drin schon die letzten Schläge

Des Todes und der Liebe zitterten,

Und seufzt': Elvira, o Elvira, bin ich

Noch auf der Erde? Waren diese Lippen

Denn deine Lippen? Drück' ich deine Hand?

Ach, ein Gesicht des Jenseits scheint es mir,

Ein wesenloser Traum! Wie viel, Elvira,

Wie viel dank' ich dem Tode! Nie zuvor

War meine Liebe dir verborgen, dir nicht

Und keinem Andern; wahre Liebe bleibt

Auf Erden nicht verborgen. Sprach sie doch

Dir klar genug in Blicken und Geberden

Und Mienen; ach, in Worten nie. Und jetzt noch

Wär' stumm geblieben dies unendliche

Gefühl, das mich beherrscht, hätt' es der Tod,

Nicht kühn gemacht. Nun sterb' ich ausgesöhnt

Mit meinem Schicksal und beklag' es nimmer,

Daß ich das Licht sah. Nicht vergebens lebt' ich,

Da mir's gegönnt ward, diesen Mund an meinem

Zu fühlen. Nein, vielmehr beseligt dünkt mir

Mein Loos. Zwei holde Güter birgt die Welt:

Liebe und Tod. Dem einen führt der Himmel

Im Jugendflor mich zu; vom Andern ward mir

Genug des Glücks zu Theil. Ach, hättst du Einmal,

Ein einzig Mal dies lange Sehnen mir

Beschwichtigt und gestillt, die Erde wäre

Hinfort für immer den bekehrten Augen

Ein Paradies erschienen. Selbst das Alter,

Das tiefverhasste Greisenalter hätt' ich

Gelassnen Muths ertragen; aufrecht hätte[79]

Mich stets erhalten eines einzigen

Moments Erinnrung, der Gedank': ich war

Beglückt vor allen Glücklichen. Doch ach,

So hohe Wonne gönnt der Himmel nicht

Dem irdischen Geschöpf. So überschwänglich

Liebt nicht, wer glücklich liebt. Und gerne drum

Hätt' ich mich Henkern überliefert, wäre

Zu Geißelung und Rad und glüh'ndem Eisen

Geeilt aus deinen Armen und hernach

Furchtlos hinabgetaucht in ew'ge Qual.


Elvira, o Elvira, selig Der,

Sel'ger als alle Götter, dem in Liebe

Du je zulächelst! Selig ihm zunächst,

Wer dir sein Blut und Leben opfern kann.

Es darf, es darf der Mensch – nicht ist's ein Traum,

Wie lang ich wähnte, – schon auf Erden darf

Er Glück genießen! Jenen Tag erfuhr ich's,

Da ich dein Antlitz sah. Wohl sollte dies

Mir tödtlich werden. Dennoch hab' ich nie

Mit klaren Sinnen, nie in so viel Aengsten

Verwünschen können jenen Unheilstag!


Du lebe glücklich nun, Geliebte, schmücke

Die Welt mit deinem Antlitz. Keiner wird

Dich lieben, so wie ich dich liebte. Nie

Kehrt solche Liebe wieder. Ach, wie schmerzlich

Hat in den langen Jahren dich der arme

Consalvo hergewünscht, erseufzt, ersehnt!

Wie pflegt' ich bei Elvira's Namen zitternd,

Die Brust von Frost durchschauert, zu erblassen,

Wenn deine Schwelle gramvoll ich betrat,

Bei deiner Engelsstimme, bei dem Anblick

Der weißen Stirn, der ich vorm Tod nicht bebe!

Doch nun versagt der Athem und das Leben[80]

Dem Laut der Liebe. Meine Zeit ist um;

Nicht soll ich dieses Tags mich mehr erinnern.

Fahrwohl, Elvira! Mit dem Lebensfunken

Trennt dein geliebtes Bild sich endlich nun

Von meinem Herzen. Lebewohl! Und zürnst du

Nicht dieser Liebe, sende morgen, wenn

Es Nacht wird, einen Seufzer meiner Bahre!


Er schwieg. Nicht lange mehr, und mit der Stimme

Schwand sein Bewußtsein; noch vor Abend war

Sein erster Glückstag seinem Blick entschwunden.

Quelle:
Leopardi, Giacomo: Gedichte und Prosaschriften. Berlin 1889, S. 76-81.
Lizenz:
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