II. Als man Dante in Florenz ein Denkmal setzen wollte.

[31] (1818.)


Ob auch die weißen Schwingen

Der Friede breitet über unser Land,

Wie soll'n Italiens Geister

Dem Bann der langen Schlafsucht sich entringen,

Eh' nicht dies arme Volk sich seiner alten

Urväter Vorbild wieder zugewandt?

Sorg, o Italien, wie

Du deine Todten ehrst! Denn weit und breit

Bist du verwais't von solchen Hochgestalten,[31]

Und Keiner lebt, dem Ehr' und Ruhm gebührt.

Schau rückwärts, o mein Vaterland, und sieh

Die Schaar Unsterblicher aus alter Zeit,

Bis Schmerz in dir des Zornes Flamme schürt,

Denn ohne Zorn ist thöricht heut der Schmerz.

Schau rückwärts, raffe dich empor voll Scham

Und stachle dir's das Herz,

Zu sehn, wohin es mit den Enkeln kam.


Die Fremden, an Geberd' und Sprach' und Art

Verschieden, wandelten am Arnostrande

Und forschten, wo der Staub

Des Sängers ruhe, dem die Ehre ward,

Allein gesellt zu sein dem Mäoniden,

Und hörten – o der Schande! –

Daß nicht allein, in fremdem Land begraben,

Nicht die Gebeine kehrten

Aus der Verbannung zu der Heimath Frieden,

Daß auch in deinen Mauern nicht ein Stein

Ihn ehrt, Florenz, ihn, dessen hohe Gaben

Dich vor der Welt verklärten.

O ihr, die unser Land nun wollt befrei'n

Mitleidig von der Schmach, der es verfallen,

Heil eurem edlen Werk, Heil euren Mühen,

Ihr Wackern! Dank von Allen,

Die noch in Liebe für Italien glühen!


Ja, Liebe zu der armen

Mutter Italien sporn' euch an, ihr Theuren,

Zu ihr, für deren Schicksal

In keiner Brust mehr wohnet ein Erbarmen,

Seit ihr der Himmel Leid nach Glück verhängte.

Erbarmen, Söhne, fördre stets in euren

Gemüthern dies Beginnen

Und Grimm und Gram ob all der herben Qual,[32]

Die Wang' und Schleier ihr mit Zähren tränkte.

Doch ihr – wie soll mein Wort und Lied euch preisen,

Daß nicht bedacht nur, Pläne zu ersinnen,

Nein, treubemüht mit Geist und Hand zumal

Ihr ew'gen Danks euch würdig wollt erweisen,

Dies edle Werk zu frohem Ende führend!

In welchem Ton soll ich zu euch mich wenden

Und euren Eifer schürend

Euch neue Funken in die Seele senden?


Begeistern wird euch das erhabne Ziel

Und scharfe Stacheln in den Busen drücken.

Wer schilderte den Sturm

Der Inbrunst, wer das lodernde Gefühl?

Wer malt die stummverzückten Angesichter,

Die Glut in euren Blicken?

Wie reicht' ein stammelnd Menschenwort hinan,

Himmlisches auszusprechen?

Fern bleibe der Profane! Seinem Dichter

Wird noch im Bild Italien Thränen weih'n.

Wie könnt' es je zerfallen, wie der Zahn

Der Zeit den Ruhm euch schwächen?

Ihr, die uns Trost im Unglück durftet sein,

Ihr himmlisch holden Künste, lebt ja immer,

Und lindernd unserm Volk den Fluch, den schweren,

Wollt ihr, ob auch in Trümmer

Italien sank, den Ruhm Italiens mehren.


So komm' auch ich und bringe

Zu unsrer leidgebeugten Mutter Ehren

All was ich kann und habe,

Dies Lied, das ich zu eurem Werke singe,

Indeß des Meißels Schlag den Stein belebt.

O du, erlauchter Vater unsrer hehren

Dichtkunst, wenn eine Kunde[33]

Von ird'schem Thun, von ihr, die du so hoch

Erhoben, bis zu euren Ufern schwebt,

So weiß ich, nicht um dich dünkt dir's Gewinn.

Denn gegen deinen Ruhm im Weltenrunde

Sind Erz und Marmor so vergänglich doch

Wie Wachs und Sand. Und wenn aus unserm Sinn

Du je entschwunden warst, je kannst entschwinden,

Mag unser Leid noch wachsen unermessen,

Mag ohne Trost zu finden

Dein Volk vergehn, von aller Welt vergessen.


Doch nicht um deinetwillen, – um das Land,

Das dich gebar, ist's Freude dir, wenn je

Am Vorbild hoher Ahnen

Der schlummertrunkne Enkel sich ermannt,

Daß er erhobnen Haupts sich stark erwiese.

Ach, von wie langem Weh

Gebeugt siehst du nun Die, die schon vor Zeiten

Armselig du gesehen,

Als du von Neuem gingst zum Paradiese,

Heut so im Elend, daß im stolzen Schimmer

Von Glück und Macht sie damals schien zu schreiten.

So weh ist ihr geschehen –

Du glaubtest's wohl den eignen Augen nimmer!

Doch nichts von andrer Noth, die sie bezwang!

Nur von der bittersten, der jüngsten Schande,

Die schier den Untergang

Verhängte deinem armen Vaterlande.


Heil dir, daß voll Erbarmen

Dein Schicksal dich bewahrt, dies zu erleben,

Daß du Italiens Frauen

Nicht siehst entehrt in fremder Krieger Armen,

Mit Brand und Plündrung Stadt und Land geschlagen

Und aller Wuth des Feindes preisgegeben;[34]

Die göttlich hohen Werke

Italischer Meister fortgeschleppt in schnöde

Knechtschaft jenseit der Alpen, von der Wagen

Wüstem Gedränge jede Straße dröhnend

Und Herr'n im Lande Trotz und rohe Stärke!

Du hörtest nicht das frevle Hohngerede

Von Freiheit, wie ein Spottgelächter tönend

Zum Klang von Ketten und von Geißelhieben.

Wer ward verschont? Wovon sind jene frechen

Ehrfürchtig fern geblieben,

Von welchen Heiligthümern und Verbrechen?


Was mußten wir so arge Zeit erleben?

Was ließest du uns werden, ach, warum

Nicht früher wieder scheiden,

Grausames Schicksal? Daß wir unterjocht

Von Fremden schauend unser Vaterland,

Vernichtet, todt und stumm

Jedwede Tugend, doch die grimmen Schmerzen,

Die nagten sein Gebein,

Mit keinem Trost zu lindern ihm vermocht

Und keinen Hoffnungsstrahl ihm durften gönnen!

Ach, nicht einmal das Blut aus meinem Herzen

Durft' ich dir, Theures, weih'n.

Nicht hab' ich, dich zu retten, sterben können!

Denk' ich's, schwillt mir das Herz vor Zorn und Harme.

Wohl starben auch von uns viel tapfre Fechter,

Doch nicht für dieses arme

Italien, nein: für seine fremden Knechter.


Wenn dies dich nicht empört,

Wardst, Vater, du ein Andrer, als auf Erden.

In Rußlands eis'gem Schlamme

Hinsanken, ach, wohl bessren Todes werth,

Italiens Tapfre; Sturm und Frost verbanden[35]

Und Thier' und Menschen sich, sie zu gefährden.

Mit Blut die Erde tränkend,

Hinsanken sie, halbnackt und abgezehrt,

Wo sie im Eisgefild ihr Wundbett fanden.

Und nahte dann die letzte Stunde sich,

Voll Heimweh der geliebten Mutter denkend,

Erseufzten sie: O rafft' uns hin das Schwert,

Nicht Schnee und Eis, und stürben wir für dich,

Geliebte Heimath! Von dir losgerissen,

Da noch uns lacht die schönste Zeit im Leben,

O daß wir sterben müssen

Ruhmlos, für Jene, die den Tod dir geben!


Ihr Klagen hat die nordische Wüste nur

Und sturmgepeitschter Föhrenwald vernommen.

So fanden sie ihr Ende,

Und witternd der verlassnen Leichen Spur

Im graus'gen Meer von Schnee, ist aus den Höhlen

Das Wild zum Fraß gekommen,

Daß nun der Trefflichen und Tapfern Name

Spurlos der Nacht geweiht,

Gleich dem der Feigen sei. Ihr theuren Seelen,

Ob euer Unglück auch so grenzenlos,

Dies sei allein euch Trost in eurem Grame,

Daß ihr in Ewigkeit

Müsst bleiben jedes Trostes baar und bloß.

Im Abgrund eures Jammers sollt ihr ruhn,

Als echte Söhne jener Schmerzenreichen,

An deren Unglück nun

Das eure nur vermag hinanzureichen.


Euch klagt sie ja nicht an,

Die Muttererde, nein, die euch gezwungen

Zum Kampfe wider sie,

Daß sie nun bitter weinen muß fortan[36]

Und ihre Thränen mischen mit den euren.

O rührte sie, die höchsten Ruhm errungen,

Jetzt in der tiefsten Noth

Nur Einem so das Herz, daß er empor

Sie zög' aus dieser düstren, ungeheuren

Versunkenheit! Sag, o erlauchter Schatten,

Ist denn die Liebe zu Italien todt?

Erlosch die Glut, die dich beseelt zuvor?

Die Myrte, dran wir uns getröstet hatten

In langem Leid, treibt nie sie frische Blätter?

Soll'n unsre Kränze hingestreut verbleichen?

Und kommt uns nie ein Retter,

Der nur von fern sich dürfte dir vergleichen?


Ist's mit uns aus für immer? Wird der Schmach

Ein Ziel und Ende nimmer?

Ich, weil ich athme, bleib' als Rufer wach:

Verrottetes Geschlecht, denk deiner Ahnen!

Schau diese stolzen Trümmer,

Die Schriften, Bilder, Statuen, Tempelhallen;

Denk, wo du wandelst, und erweckt dich nimmer

Der helle Glanz von diesen Mustern allen,

So heb dich weg für immer!

Dies Land, das einst geglänzt von Heldenehren,

Sei nicht ein Tummelplatz so schnödem Treiben.

Statt Memmen nur zur nähren,

Mag es verlassen und verwittwet bleiben!

Quelle:
Leopardi, Giacomo: Gedichte und Prosaschriften. Berlin 1889, S. 31-37.
Lizenz:
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