XX. Die Auferstehung.

[87] (1831.)


Vorbei für immer wähnt' ich schon

In meiner Jugend Blüte,

Die einst die Brust durchglühte,

Ach, all die süße Qual;


Die süße Qual, der zärtlichen

Gefühle tiefes Beben,

Was irgend nur das Leben

Uns lieblich macht zumal.


Wie streut' ich meine Klagen da

Und Thränen in die Winde,

Als unter Eisesrinde

Erstorben schien das Leid!


Das Klopfen schwieg, das stürmische,

Der Liebe Glut verglommen,

Das Herz starr und beklommen

Kein Seufzer mehr befreit!


Da weint' ich, daß so freudenlos

Mein Leben schwinden werde,

Daß rings um mich die Erde

Versteint im ew'gem Frost.


Der Tag verödet, öder noch

Der Nächte stummes Dunkel;

Nicht Mond, noch Sterngefunkel

Gab meinen Augen Trost.


Doch jener Thränen Quelle war

Die alte Liebeswunde;

Tief in des Busens Grunde

Fortlebte noch das Herz.
[88]

Noch sehnt' es nach den Bildern sich,

Daran sich's einst entzückte.

Der Gram, der mich bedrückte,

War immer noch ein Schmerz.


Doch bald erlöschen fühlt' ich auch

Des Schmerzes letzten Funken,

Die Kraft in mir versunken,

Zu klagen meine Noth.


Da lag ich; fühllos, sinnberaubt,

Nach keinem Trost verlangt' ich;

In tiefer Ohnmacht bangt' ich,

Von Herzen stumm und todt.


War ich denn ach, Derselbe noch,

Der solche Glut vorzeiten,

So trunkne Seligkeiten

Genährt in seiner Brust?


Die Schwalbe, die so frühe schon

Am Fenstersims verborgen

Zujubelte dem Morgen,

Nicht hört' ich sie mit Lust.


Und nicht wie sonst zur Herbsteszeit

Im stillen Landhaus freute

Mich abendlich Geläute,

Der Sonne Niedergang.


Mich grüßt' umsonst der Abendstern

Hoch überm dunklen Hage,

Umsonst mit süßer Klage

Der Nachtigall Gesang.


Und ihr, verstohlne, zärtliche

Glutblicke schöner Augen,

Daraus Verliebte saugen

Den seligsten Gewinn,
[89]

Du weiche Hand, der meinen doch

So traulich hingegeben,

Nicht konntet ihr beleben

Den dumpferstorbnen Sinn.


Verarmt an allem Lieblichen,

Trüb war ich, doch gelassen,

Doch frei von Lieb' und Hassen

Und heitern Angesichts.


Wohl hätt' ich gern herbeigesehnt

Des Todes tiefern Frieden,

Doch in der Brust, der müden,

Hofft' und ersehnt' ich Nichts.


Wie eines welken Greisenthums

Armselig nackte Reste

Hab' ich die Zeit der Feste,

Den Lebenslenz verbracht.


So, thöricht Herz, versäumtest du

Unnennbar schöne Stunden,

Wo, nur zu bald entschwunden,

Uns helle Jugend lacht.


Wer weckt mich aus der Ruhe nun,

Die lähmend mich bedrückte?

Welch neue Kraft durchzückte

Auf einmal mich mit Lust?


Ihr Träume, sanfte Regungen,

Herzpochen, trüglich Hoffen,

Steht wirklich euch noch offen

Die lang erstorbne Brust?


Seid ihr's in Wahrheit, einziges

Licht in der Welt Gewühle,

Ihr sehnlichen Gefühle,

Die ich so früh verlor?
[90]

Wohin der Blick nun schweifen mag,

Rings in der Fern' und Nähe,

Dringt ein geheimes Wehe,

Ein Wonneglück hervor.


Mit mir aufs Neu' beleben sich

Gestade, Wälder, Höhen;

Ich kann den Quell verstehen,

Es spricht zu mir das Meer.


Wer giebt nach Schmerzvergessenheit

Die Thränen mir zurücke?

Wie scheint die Welt dem Blicke

Verwandelt mehr und mehr!


Hat, armes Herz, die Hoffnung gar

Ein Lächeln dir gespendet?

Ach, ewig abgewendet

Wird ihre Huld dir sein!


Mir gab Natur zum Erbe nur

Den süßen Trug der Jugend;

Die angeborne Tugend

Erlag der langen Pein.


Doch nur betäubt, nicht ausgelöscht

Vom schweren Leidgeschicke,

Sah sie mit festem Blicke

Der Wahrheit ins Gesicht;


Vor deren Blick – ich weiß es ja! –

Die holden Träume schwinden.

Wie wir in Qual uns winden,

Natur erbarmt sich nicht.


Nie unsres Wohles eingedenk,

Des Seins nur mag sie walten;

Dem Schmerz uns zu erhalten,

Ist einzig sie bemüht.
[91]

Ich weiß, es hat bei Menschen auch

Das Mitleid keine Stätte,

Da höhnend um die Wette

Die Welt den Armen flieht;


Weiß, daß die Zeit, die klägliche,

Nichts fragt nach edlen Geistern

Und würd'ger Forschung Meistern

Sogar den Ruhm verwehrt.


Und ihr, ihr himmlisch leuchtenden

Augen voll scheuen Lebens,

Ich weiß, ihr glänzt vergebens,

Von Liebe nie verklärt.


Nie blitzt in euch verstohlenes

Gefühl von Wonne trunken,

Nie glimmt ein holder Funken

In dieses Busens Schnee.


Ach, einzig zum Gespötte nur

Dient euch ein treues Herze;

Mit übermüth'gem Scherze

Belohnt ihr Liebesweh.


Und doch, aufs Neu' ergeb' ich mich

Dem alten Trug mit Willen.

Es staunt das Herz im Stillen,

Wie laut es pocht in mir.


Dir, o mein Herz, verdank' ich ja

Dies letzte Lebensregen,

Der schönen Flamme Segen

Und jeden Trost nur dir.


Ich fühl's, daß diesem adligen,

Reinen Gemüth auf immer

Gebricht des Glückes Schimmer,

Schönheit, Natur und Welt.
[92]

Doch wenn du lebst, Unseliges,

Unbeugsam dem Geschicke,

Will ich nicht zeihn der Tücke

Die Macht, die mich erhält.

Quelle:
Leopardi, Giacomo: Gedichte und Prosaschriften. Berlin 1889, S. 87-93.
Lizenz:
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