XXII. Erinnerungen.

[95] (1831.)


Ihr schönen Siebensterne, nimmer glaubt' ich,

Daß ich euch wieder so begrüßen würde,

Hoch über meines Vaters Garten funkelnd,

Und Zwiesprach mit euch halten aus den Fenstern

Des Hauses, drin ich schon als Kind gewohnt

Und meiner Freuden frühes Ende sah.

Wie viele Bilder einst, wie viele Märchen

Schuf mir im stillen Innern euer Anblick

Und eurer leuchtenden Gefährten, damals,

Als wortlos ich auf grüner Scholle sitzend

Die halben Nächte zu verbringen pflegte

Gen Himmel blickend und dem fernen Ruf

Der Frösche lauschend draußen in der Ebne.

Und an den Hecken, auf den Fluren hin

Schweifte der Glühwurm, säuselten im Nachtwind

Die duft'gen Laubengäng' und die Cypressen

Im Walde dort, und aus dem Vaterhaus

Erklangen Wechselreden und der Diener

Gelassnes Treiben. Wie unendliche

Gedanken, wie viel süße Träume hauchte[95]

Das ferne Meer mir zu, die blauen Berge,

Die hier mein Blick erreicht und die ich einst

Zu überschreiten hoffte, neue Welten,

Ein neues Glück verheißend meinem Dasein.

Nicht kannt' ich mein Geschick und wußte nicht,

Wie oft ich dies mein leidvoll ödes Leben

Gern würde tauschen mögen mit dem Tod!


Weissagte doch mein Herz mir nicht, ich sei

Verdammt, die grüne Jugend hinzuzehren

Hier in der wilden Heimath, unter Menschen,

Die roh und niedrig, denen Wissenschaft

Und Weisheit fremde Namen, oft ein Anlaß

Zu Spott und Lachen, die mich fliehn und hassen.

Doch nicht aus Neid, da sie nicht höher mich

Erachten, als sich selbst: nur weil sie meinen,

Ich dünk' es selbst mir insgeheim, obwohl ich

Nach außen mir's vor Niemand merken ließ'.

Hier bring' ich meine Jahre hin, verlassen,

Verborgen, fern von Lieb' und Leben, muß

Im Schwarm Mißwollender zuletzt verhärten,

Mich aller Mild' und Tugenden entwöhnen

Und zum Verächter noch der Menschen werden

Durch diese Horde! Und indeß enteilt

Die theure Jugendzeit, die theurer ist,

Als Ruhm und Lorbeer, theurer als das Licht

Des Tages und des Athems Hauch; so nutzlos,

Ohn' irgend eine Lust verlier' ich dich

An diesem Ort unmenschlich öder Qual,

O du, des dürren Lebens einz'ge Blüte!


Der Wind trägt mir den Klang der Stunde zu

Vom Glockenthurm des Städtchens. Wohl gedenk' ich,

Wie dieser Klang mir Trost war in den Nächten,

Wenn ich als Knab' in meinem dunklen Zimmer,[96]

Umlagert rings von Schrecken, wachend lag

Und nach dem Morgen seufzte. Alles rings,

Was ich nur seh' und höre, bringt ein Bild mir

Zurück und weckt ein süß Erinnern auf,

Süß in sich selbst; doch mischt sich schmerzlich ein

Der Gegenwart Gefühl, vergebne Sehnsucht

Nach alter Zeit und der Gedank': ich war!

Dort der Altan, der nach den letzten Strahlen

Der Sonne blickt, – hier die bemalten Wände,

Die Heerdenbilder und der Sonnenaufgang

Über dem öden Feld: in meiner Muße

Wie freuten sie mich tausendfach, da noch

Mein übermächt'ger Wahn mir schmeichelnd nah war,

Wo ich nur weilte. Diese alten Säle,

Wenn hell der Schnee hereinschien und der Wind

Um ihre weiten Fenster pfeifend schnob,

Erdröhnten vom Gelächter und Gelärm

Des Knaben, zu der Zeit, da noch das herbe,

Arglist'ge Weltgeheimniß uns so süß

Entgegenblickt, da noch der Jüngling, wie

Ein unerfahrner Liebender, sein Leben

Gleich einer ersten Liebe hätscheln mag,

Von selbsterträumter Himmelsschöne trunken.


O all ihr Hoffnungen, du holder Trug

Der Jugendtage! Immer kehrt die Seele

Zu euch zurück. Denn wie die Zeit auch eilt,

Wie sich Gedanken und Gefühle wandeln,

Niemals vergess' ich euch! Trugbilder, weiß ich,

Sind Ruhm und Ehre; Glück und Wonne nur

Ein eitler Wunsch; das unfruchtbare Leben

Ein nutzlos Elend. Dennoch, ob auch leer

All meine Jahre, dunkel und verödet

Mein sterblich Dasein, raubt das Glück – wohl seh' ich[97]

Es ein – mir wenig nur. Doch ach, so oft ich

An euch, ihr Jugendhoffnungen, gedenke,

An das, was einst so hold mir vorgeschwebt,

Und dann mein jammervoll armselig Leben

Erwäg', und daß von so viel schöner Hoffnung

Der Tod allein mir heut noch übrig bleibt:

Krampft sich mein Herz zusammen, und mir ist,

Als gäb' es keinen Trost für solch ein Schicksal.

Und wenn nun dieser oft erflehte Tod

Mir nahetritt und ich am letzten Ziel

All meines Unglücks stehe, wenn die Erde

Ein fremdes Thal mir wird und meinem Blick

Die Zukunft schwindet: euer dann gewiß

Werd' ich gedenken, euer Bild wird mich

Den letzten Seufzer kosten, bitter mahnend,

Daß ich umsonst gelebt, und in die Süße

Des schicksalvollen Tags mir Wermuth träufeln.


O, schon im ersten stürmischen Jugenddrang

Der Freuden, Aengsten und Begierden rief ich

Den Tod so manches Mal und konnte lang'

Drauß an der Quelle sitzend drüber brüten,

Ob ich nicht besser thäte, Schmerz und Hoffnung

In ihrer Flut zu stillen. Dann, durch schleichend

Siechthum gerissen an den Rand des Grabes,

Weint' ich um meine schöne Jugend, um

Der armen Tage Flor, der schon so früh

Hinwelkt'; und manchen Abend, wenn ich traurig

Auf meinem Bette, dem vertrauten, saß

Und bei dem trüben Lämpchen dichtete,

Klagt' ich im Einklang mit der nächt'gen Stille

Um meinen flücht'gen Geist und sang mir selbst,

Als schwänd' ich scheidend hin, das Todtenlied! –


Wer kann an euch gedenken ohne Seufzen,[98]

O erster Jugendaufgang, o ihr schönen,

Ihr unaussprechlich holden Tage, wenn

Dem sel'gen Sterblichen ein Mädchenlächeln

Zuerst entgegenglänzt! Rings in die Wette

Lacht ihn das Alles an; es schweigt der Neid,

Noch schlummernd, oder schonend; und die Welt –

O seltnes Wunder! – scheint dem Unerfahrnen

Die Hand zu seiner Hülfe darzubieten,

Entschuldigt sein Verirren, feiert Feste

Dem neuen Lebensantritt und empfängt ihn

Und schmeichelt täuschend ihm als ihrem Herrn.

Die flücht'gen Tage! Wie ein Wetterleuchten

Sind sie verweht. Und welcher Sterbliche

Weiß noch vom Unglück nichts, dem schon die holde

Jahrszeit entschwunden, seine gute Zeit,

Dem schon die Jugend, ach, die Jugend auslosch!


Und du, Nerina! Reden mir nicht auch

Von dir all diese Stätten? Wie? Du wärst

Mir aus dem Sinn geschwunden? Wohin gingst du,

Daß ich hier einzig nur dein Angedenken

Noch finde, Süßeste? Ach, deine Heimath

Erblickt dich nimmer; jene Fenster dort,

Wo du mit mir geplaudert, drinnen jetzt

Sich nur so trüb der Strahl der Sterne spiegelt,

Ist leer. Wo bist du, daß ich deine Stimme

Nicht tönen höre, wie in jener Zeit,

Wo jeder ferne Laut von deinen Lippen,

Der zu mir drang, das Blut mir aus der Wange

Zum Herzen trieb? Vorbei! Vergangen ist

Dein Dasein, süßes Lieb; vergangen bist du.

Nun kommt's an Andre, durch die Welt zu wandeln

Und diese duft'gen Hügel zu bewohnen.

O, rasch vergingst du, und dein Leben war[99]

Nur wie ein Traum! Als du dort tanztest, glänzte

Die Lust dir an der Stirn, glänzt' in den Augen

Die ahnungsvolle Zuversicht, das Licht

Der Jugend, – da verlöscht' es das Geschick,

Und stille lagst du. Ach, Nerina, immer

Herrscht noch in mir die alte Liebe. Oft

Bei Festen, in Gesellschaft sprech' ich heimlich

Zu mir: O nicht zu Tanz und Festen mehr,

Nerina, schmückst du und gesellst du dich! –

Und wenn der Mai kommt, grüne Zweig' und Lieder

Verliebte Knaben ihren Mädchen bringen,

Sag' ich: Nerina, nimmer kehrt für dich

Der Frühling wieder, nie die Liebe wieder!

An jedem heitern Tag, bei jeder Flur

Voll Blumen, jeder Freude, die ich fühle,

Sag' ich mir: Ach, Nerina freut sich nimmer,

Sieht Erd' und Himmel nicht! – Du gingst dahin,

Mein ew'ger Seufzer, gingst dahin! und mir

Bleibt treu gesellt bei allen lieblichen

Gefühlen, allem Süßen, Trüben, Theuren,

Was mich bewegt, ein herbes Angedenken!

Quelle:
Leopardi, Giacomo: Gedichte und Prosaschriften. Berlin 1889, S. 95-100.
Lizenz:
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