XXVI. Der herrschende Gedanke.

[108] (1836.)


Du holdester von allen

Gewaltherrn, der mein Herz lenkt nach Gefallen,

Furchtbar Geschenk des Himmels,

Und doch mir ewig theuer,

Mein treuster Freund im Leide,

Gedanke, dran ich für und für mich weide:
[108]

Wer spricht von deines Wesens

Geheimniß nicht? Wer ward nicht schon bezwungen

Von deiner Macht? Doch immer,

So oft von Menschenzungen

Erklingt des eignen Fühlens Lust und Qual,

Scheint neu das Wort, als kläng's zum ersten Mal.


Wie ist doch meine Seele

Vereinsamt seit den Tagen,

Wo du darin die Wohnung aufgeschlagen!

Mit Blitzesschnelle fühlt' ich mir im Nu

Entschwinden die Gedanken,

Die andern allzumal. In ödem Felde

Ein Thurm, so ragtest du

Gigantisch einsam in des Busens Schranken.


Was galt hinfort mir, außer dir allein,

Dies ganze arme Leben,

Was aller irdische Tand in meinen Augen?

Welch schales Zeitvergeuden

Schien all dies Thun und Treiben!

Ach, nur um eitle Lust ein eitles Mühen,

Verglichen mit den Freuden,

Den himmlischen, die mir durch dich erblühen.


Wie von des Apennin

Unwirthlich nackten Wänden

Zur grünen Flur, die fern herüberlacht,

In Sehnsucht sich des Wandrers Blicke wenden,

So von dem unfruchtbaren

Und rauhen Weltverkehr – wie streb' ich gerne,

Als in ein Paradies, zu dir zurücke,

Daß deine Nähe jeden Sinn erquicke!


Ich kann es kaum verstehen,

Wie ich so lang dies Leben, diese Welt[109]

Voll Unverstand und Plagen

Hab' ohne dich ertragen;

Begreifen kann ich's kaum,

Wie sich an andern Freuden,

Als du gewährst, sich Andre mögen weiden.


Nie bis zu jener Zeit,

Wo ich zuerst, was Leben heißt, erfahren,

Hat Todesfurcht die Seele mir bewegt.

Heut dünkt mich nur ein Spiel,

Was Thoren Angst erregt,

Ob sie es preisen auch mit Heuchelmunde:

Das Muß der letzten Stunde,

Und zeigt Gefahr sich, kann ich ohne Grauen

Mit Lächeln in ihr dräuend Antlitz schauen.

Verachtet hab' ich immer

Die feigen, ungroßmüth'gen,

Verworfnen Seelen; jetzt empört sofort

Mich jede schnöde That,

Und menschliche Gemeinheit

Reißt mein Gemüth alsbald zum Grimme fort.

Die Hoffahrt dieser Zeit,

Die sich mit leerem Hoffnungswahne nährt,

Zu schwatzen liebt und keine Tugend ehrt,

Nur Heil im Nutzen findet

Und thöricht nicht erkennt,

Wie nutzlos dann das ganze Leben schwindet,

Liegt unter mir. Des Urtheils

Der Menschen spott' ich, und die bunte Menge,

Die Hohes nicht genießen

Und dich verschmähen kann, tret' ich mit Füßen.


Wo ist die Leidenschaft,

Die sich nicht beugt der deinen?

Ja, welche sonst noch waltet[110]

Und herrscht auf Erden außer jener einen?

Habsucht und Hoffahrt, Ehr- und Machtbegier

Und Zorn und Haß – mit ihr

Verglichen sind sie mehr nicht

Als dumpfe Triebe nur. Zur Leidenschaft

Wirst du allein; als Herrn,

Der unumschränkt gebiete,

Gab dich Natur dem menschlichen Gemüthe.


Ganz ohne Werth und Sinn wär' unser Leben,

Wenn du nicht wärest, unser Ein' und Alles,

Der einzig noch das Schicksal

Entschuldigt, daß es Menschen

Zur eitlen Noth verdammt des Erdenballes.

Um dich nur wird zuweilen

Die Lust zum Leben theilen mit den Thoren

Ein Mensch auch, der zur Freiheit ward geboren.


Wohl werth sind's deine Wonnen, süßester

Gedanke, froh ergeben

Dies leidenvolle Leben

Auf sich zu nehmen viele Jahre lang,

Und wohl zum andern Male,

So bitter auch ich die Erfahrung büßte,

Würd' ich die Bahn betreten wohlgemuth;

Denn trotz des Sandmeers und der Natternbrut

Schleppt' ich mich nie so müde

Durch dieses Lebens Wüste

Zu dir, daß nicht dies unser Leidgeschick

Mir reich vergütet schien durch solch ein Glück.


Welch eine Welt, welch neue

Unendlichkeit, o welch ein Paradies

Erschließt mir oft dein allgewalt'ger Zauber

In hohem Flug! Mir däucht

Zu wandeln unter einer neuen Sonne,[111]

Wo all mein irdisch Fühlen,

Und was ich Wahrheit nannte, von mir weicht.

So müssen Götter träumen,

Sag' ich mir dann. Ach, bist du doch fürwahr,

Holder Gedank', ein Traum, der oft uns mild

Verschönt der Wahrheit Bild,

Ein offenbarer Wahn; und doch vor allen

Holdsel'gen Wahngebilden

Bist göttlich du, von solcher Lebensmacht,

Daß du bestehst, wenn alle Masken fallen,

Oft wesenhaft erscheinest

Und erst entschwindest in des Todes Nacht.


Gewiß, du mein Gedanke, der du einzig

Beseelst mein armes Leben,

Geliebter Urquell unermessner Leiden,

Erst mit dem letzten Hauch weichst du von hinnen.

An sichern Zeichen fühl' ich es tiefinnen,

Du bist zum Herrn für immer mir gegeben.

Andre geträumte Freuden

Hat oft der Wahrheit Blick

Entwerthet. Doch je öfter jene Eine

Sich zeigt den wachen Sinnen,

Von der mit dir zu plaudern Leben heißt,

Je höher wächs't das Glück,

Wächs't jener Wahnsinn, der mein Sein beseelt.

O engelgleiche Schönheit!

Ein jedes Antlitz, wie auch auserwählt,

Scheint mir ein Trugbild nur,

Das deine nachzuäffen. Du allein

Scheinst aller Anmuth Quelle,

Als ob sich wahrer Reiz nur dir geselle.


Seit ich zuerst dich schaute,

Warst du nicht jeder meiner ernsten Sorgen[112]

Inhalt und Ziel? Wo war nur eine Stunde,

Da ich nicht dein gedacht? Im nächt'gen Schlummer

Wann trat dein stolzes Bild

Nicht vor mich hin? Du engelgleiches Antlitz,

So schön, wie wir's nur träumen,

Wohin in Erdenräumen,

Wohin im Weltall mag den Blick ich lenken,

Was mag ein Gott mir schenken,

Das wie ein Blick von dir die Seele stillt?

Was kann noch süßer sein als dein gedenken?

Quelle:
Leopardi, Giacomo: Gedichte und Prosaschriften. Berlin 1889, S. 108-113.
Lizenz:
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