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[121] (1836.)
Wo eilst du hin? Wer ruft dich
Hinweg von deinen Lieben,
Du holde Mädchenblume?
Willst du allein dein väterliches Haus
So früh verlassen? Kehrst zu dieser Schwelle
Du je zurück und wird ein Wiedersehen
Erfreun, die heut in Thränen dich umstehen?
Dein Aug' ist trocken, muthig die Geberde,
Und dennoch bist du traurig. Ob willkommen,
Ob unerwünscht die Reise dir erschiene,[121]
Ob dir das Ziel mißfällt –
Aus deiner ernsten Miene
Verräth sich's kaum. Ach, zweifelnd und beklommen
Schwankt mir das Herz, und wohl in aller Welt
Weiß Niemand, ob sich gnädig dir der Himmel,
Ob grausam wollt' erweisen,
Ob man dich soll beklagen oder preisen.
Dich ruft der Tod; schon bei des Tags Beginn
Die letzte Stunde! Zum verlassnen Neste
Kehrst du nicht mehr. Für immer
Musst du die theuren Eltern
Verlassen. Unterirdisch
Ist deiner Reise Ziel;
Dort wirst du nun verweilen fürderhin.
Ein Glück vielleicht! Und doch, wer still bei sich
Dein irdisch Loos betrachtet, seufzt um dich.
Niemals das Licht zu schauen
War wohl das Beste. Doch einmal geboren,
Da Schönheit erst sich königlich entfaltet
In Wuchs und Angesicht
Und schon die Welt von ferne
Beginnt sich ihrer jungen Macht zu beugen,
Beim Aufblühn jeder Hoffnung, da noch nicht
Mit düstrer Blitze flammender Gewalt
Wahrheit die freudenhelle Stirn getroffen,
Gleich einem Rauche, der im Tageslicht
Ein windbewegtes Wölkchen aufwärts wallt,
So, gleich wie nie entstanden, zu verschweben
Und künft'ge Lebensfülle
Zu tauschen mit des Grabes dunkler Stille,
Das ist's – mag es dem Geist
Auch eine Wohlthat scheinen –,
Was auch dem Muthigsten das Herz zerreißt.
[122]
Mutter, von deinen Kindern
Gefürchtet, die du früh schon weinen lehrst,
Natur du grause, die du nur gebärst
Und nährst, um deine eigne Brut zu tödten:
Wenn Scheiden vor der Zeit
Ein Übel ist, wie kannst du es erwählen
Den schuldlos jungen Seelen?
Und ist's ein Glück, warum
Muß als das schwerste Leid
Solch Scheiden Dem, der bleibt, Dem, der die Seinen
Verlassen soll, so trostlos herb erscheinen?
Elend, wohin sie blicken,
Elend, wohin sie streben oder flüchten,
Sind deine schwachen Kinder,
Und selbst der Jugend Träume,
Du lässest sie am Leben
Zu Schanden werden. Wachsend mit den Jahren
Bedrängen uns Gefahren. Nur der Tod
Schirmt uns vor Leid. Dies unentrinnbar feste
Gesetz, dies letzte Ziel
Gabst du dem Lauf des Lebens. Ach, warum
Ist nach der rauhen Bahn zum Mindsten nicht
Das Ziel uns freudenvoll? Warum das Ende,
Das als gewiß uns Allen,
So lang wir leben, stets vor Augen steht,
Den einz'gen Trost der Leiden,
Die uns hienieden trafen,
Mit schwarzem Flor umkleiden,
Mit Grau'n ihn so umgeben,
Daß uns mit Furcht und Beben
Mehr als die Brandung schreckt der sichre Hafen?
Zwar, wenn dies bittre Sterben
Ein Loos ist, das du Allen[123]
Verhängt, die ohne Wissen du und Willen
Und ohne Schuld dem Leben preisgegeben,
So ist, wer stirbt, von Dem noch zu beneiden,
Der seiner Lieben Scheiden
Erleben muß. Denn wenn das Leben wirklich
Ein Unglück ist und sterben
Ein Glück, wer könnte drum und ach, wer wollte,
Wie doch im Grund er sollte,
Den letzten Tag ersehnen seiner Lieben,
Um dann, zurückgeblieben
Arm und beraubt, zu sehen,
Wie von der Schwelle das geliebte Wesen
Von hinnen wird getragen,
Mit dem vereint er lebte manches Jahr,
Ade ihm sagen, jeder Hoffnung baar,
Ihm wieder zu begegnen
In dieser ird'schen Welt;
Und dann, auf Erden einsam und verlassen
Umblickend, in gewohnter Stund' und Stätte
Zu denken Dessen, dem er einst gesellt?
Wie, o Natur, wie bringst du's übers Herz,
Grausam hinwegzureißen
Den Freund aus Freundesarmen,
Geschwister von Geschwistern,
Die Kinder von den Eltern,
Sein Lieb vom Liebenden, daß Eins erlischt
Und weiter lebt das Andre? Mußtest du
Zum Leiden und zum Lieben
Die Kraft uns leihn, daß, was wir heiß geliebt,
Wir überleben? Doch Natur von je
Gehorchte andern Trieben,
Und wenig gilt ihr unser Wohl und Weh.
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Gesänge
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