XXXIV. Der Ginster oder Die Blume der Wüste.

[137] (Gedichtet 1834 bis 37, zuerst gedruckt 1845).


Καὶ ὴγάπησαν οἱ ἄνϑρωποι μᾶλλον τὸ σκότος τὸ φῶς.

Und die Menschen liebten die Finsterniß mehr als das Licht.

Ev. Joh. III. 19.


Hier auf dem dürren Grat

Des schreckenvollen Berges

Vesuvio, des Verwüsters,

Wo sonst nicht Baum noch Blume fröhlich grünt,

Verbreitest du dein einsam wuchernd Laub,

Duftvolle Ginsterblume,

Genügsam in der Oede. So auch sah ich

Die klaren Fluren blühend dich beleben,

Die jene Stadt umgeben,

Wo einst der Herrscherthron der Erde stand,

Die von gestürzter Größe

Schweigsam dem Wandelnden zu reden scheinen,

Ernst und erinnrungsschwer in ihrer Blöße.

Nun seh' ich hier dich wieder, die du stets

Schwermüth'ge, weltverlassne Stätten liebst

Und dich gesellst leidvollen Schicksalsloosen.

Die Fluren hier, verschüttet

Von unfruchtbarer Asche und bedeckt

Mit der versteinten Lava,

Die unterm Fuß des Wandrers wiederhallt,

Wo aus dem Neste sich die Schlange ringelt

Und sonnt und das Kaninchen

Sein Lager aufsucht im gehöhlten Bau –

Einst waren's heitre Dörfer,

Von Aehrengold umwogt und wiederhallend[138]

Von ihrer Rinder Brüllen;

Einst fanden müß'ge Reiche

In Gärten hier und Villen

Erwünschte Rast, und prächt'ge Städte waren's,

Die blitzesprühend aus dem Feuerschlund

Der hehre Berg zugleich mit den Bewohnern

Im Glutenstrom verschlang. Nun ward dies Alles

Rings Eine Wüstenei,

Wo du, o holde Blume, blühst und, gleichsam

Mitfühlend mit so großem Weh, zum Himmel

Den Hauch entsendest süßesten Gedüfts,

Der Wüste Trost und Labsal. Hieher komme,

Wer unser Menschenloos als hochbeglückt

Zu preisen pflegt; hier mag er lernen, wie

Natur um uns sich mühte

In ihrer Huld und Güte, kann gerecht

Ermessen im Gemüthe,

Wie große Macht dem Menschen sie verliehn.

Denn plötzlich, wo Gefahr am fernsten schien,

Vermag mit leichtem Ruck die harte Amme

Uns theilweis zu verderben,

Dann, wenig heft'ger rüttelnd, ganz und gar

Uns in das Nichts zu stürzen.

In diesen Trümmerweiten

Lehrt jeder Stein fürwahr,

»Wie herrlich doch die Menschen vorwärts schreiten.«


Hier spiegle dich, hoffärtig

Verblendetes Jahrhundert,

Das du von jenem Pfade,

Den dir gezeigt der auferstandne Geist,

Gewichen bist und wähnst, daß rückwärts schreitend

Du fortgeschritten sei'st,

Der Umkehr dich berühmend.[139]

Ob deines kindischen Lallens schmeicheln dir

Die Geister, denen dich ihr herbes Schicksal

Zum Vater gab, obwohl sie

Auch manchmal hinterm Rücken

Dein spotten. Aber ich

Will nicht mit solcher Schmach zur Grube fahren.

Leicht zwar geläng' es wohl,

Den Andern gleich ruhmredig in die Wette

Zu singen, was bei dir in Gunst mich brächte.

Doch lieber will ich dreist sie offenbaren,

Statt sie zurückzupressen,

Die trotzige Verachtung dieser Zeit,

Weiß ich auch wohl, vergessen

Wird, wer zu sehr der Mitwelt mißbehagt.

Doch dieses Unglücks, das

Ich mit dir theile, lach' ich noch von Herzen.

Du träumst von Freiheit, und in Fesseln schlägst du

Von Neuem den Gedanken,

Der uns allein emporhob

Aus tiefster Barbarei, und der allein

Die Sitten adelt, daß der Völker Loos

Sich wandeln mag zum Bessern.

So sträubst du dich, die Wahrheit

Zu hören, welch ein niedrig hartes Schicksal

Uns die Natur verhängte. Darum wandtest

So jämmerlich dem Lichte du den Rücken,

Und vor der Wahrheit fliehend, schiltst du feige

Den, der sie sucht, und rühmest

Als edel Den allein,

Der thöricht oder schlau, betrogen oder

Betrüger, selig preis't der Menschen Loos.


Wer dürft'gen Standes ist und krank an Gliedern,

Doch von Gemüthe stolz und hochgesinnt,

Der wähnt und rühmt sich nicht[140]

An Golde reich und Kräften

Und fordert nicht heraus den Spott der Menge

Durch kindisches Gepränge

Mit Glücks- und Leibesgaben.

Er schämt sich nicht, als Bettler sich zu zeigen

An Gut und Blut, und kommt die Rede drauf,

Schätzt er das Seine, nicht die Wahrheit hehlend,

Nach seinem wahren Werth.

Der schien mir stets verkehrt,

Nicht edel, wer geboren

Zum Sterben und in Leiden aufgesprossen

Sagt: »Ich bin hier zum Gluckt!« –

Und füllt mit stinkendem

Selbstruhm die Blätter, hohe Freudenloose

Und Wonnen, selbst im Himmel unbekannt,

Geschweig' hienieden, diesen Erdgeschlechtern

Verheißend, die ein Stoß

Empörter Flut, ein Hauch

Von Fieberluft, ein unterirdisch Beben

Vernichtet und begräbt,

Daß kaum Erinnrung noch sie überlebt.

Von edler Art ist Der,

Der seine Menschenaugen

Auf unser Aller Schicksal

Zu heften wagt, der von der Wahrheit nichts

Abdingend, frei und offen

Das Leiden eingesteht, das uns beschieden,

Und unser schwankes Dasein;

Der seinen sichren Frieden

Bewährt im Dulden, nicht mit Bruderhaß

Und -Hader, herber noch

Als jeglich andres Unheil,

Sein Elend schärft; der nicht den Menschen zeiht

Der Schuld an seinen Qualen, sondern einzig[141]

Die wahrhaft Schuldige, der Menschheit Mutter

Durch die Geburt, Stiefmutter durch den Willen.

Sie nennt er unsre Feindin; gegen sie

Zu Schutz und Trutz verbündet,

Gegründet nur zur Abwehr ihrer Feindschaft

Sei menschliche Gemeinschaft

Und aller Menschen Bruderbund gestiftet.

Und allesammt umarmt er

Mit wahrer Liebe, Hülfe

Kraftvoll und rasch so bringend wie erwartend

In wechselnden Gefahren und den Nöthen

Des allgemeinen Kriegs. Und mit den Waffen

Unbilden ahnden oder Fallen legen,

Drin sich der Nächste fängt,

Däucht ihn so thöricht, wie im Feld, umdrängt

Von Feindesschaaren, wenn am hitzigsten

Der Sturm des Kampfes tobt,

Den Gegner schonend, mit den eignen Freunden

Erbos'ten Zwist beginnen,

Zur Flucht sie drängen und zu Boden schmettern

Des eignen Heeres Glieder.

Wenn die Erkenntniß wieder

Aufginge, wie vordem, der großen Menge,

Und jenes Grauen wieder

Vor der Natur, der argen,

Das zu geselligem Bund die Menschen trieb,

Uns warnend übermannte,

Nun klar bewußt: wie anders würden dann

Zucht, biedre Bürgersitte,

Gerechtigkeit und Ehrfurcht Wurzeln schlagen,

Als jetzt in jenen thöricht stolzen Possen,

Darin des Volkes Treu' und Redlichkeit

Nicht fester steht gegründet,

Als Alles was im Wahn die Wurzeln findet.
[142]

Gar oft auf diesen Halden,

Die trostlos ganz in Trauer

Einhüllt der starre Fluß, der noch bewegt scheint,

Sitz' ich bei Nacht. Und auf die Öde nieder

Seh' ich aus reinster Bläue

Des Firmaments die Sterne Flammen sprühn,

Die fern sich wiederspiegeln

Im Meer, und ringsum in der stillen Leere

Von Funken blitzen weit und breit die Welt.

Und heft' ich dann die Augen auf die reinen

Lichter, die Pünktchen scheinen

Und sind so unermeßlich,

Daß gegen sie in Wahrheit Erd' und Himmel

Nur Pünktchen sind; und denke,

Daß nicht der Mensch allein,

Auch diese Kugel, drauf der Mensch ein Stäubchen,

Ganz ihnen unbekannt; und sehe dann

Die noch entlegnern, grenzenlos entfernten –

Sternknäuel nenn' ich sie –

Uns nur wie Nebel sichtbar, denen nicht

Der Mensch nur und die Erde, nein zumal

All unsre Sterne, grenzenlos an Zahl

Und Masse, sammt dem Goldgestirn der Sonne

Theils unbekannt sind, oder sichtbar doch

Nur so, wie sie der Erde,

Ein nebelhafter Lichtpunkt: wie erscheinst du

Mir dann, du arm Geschlecht

Des Menschen? Und erwäg' ich

Dein Loos hienieden, wie der Boden mir's

Bekundet, den ich trete, und hinwieder,

Daß du den Herrn und Endzweck

Des Weltenalls dich dünkst und, wenn es dir

Beliebt zu fabeln, sagst, auf dieses dunkle

Sandkörnchen, das den Namen Erde trägt,[143]

Sei'n deinethalb des ew'gen Welltalls Schöpfer

Ehmals herabgestiegen, um vertraulich

Zu plaudern mit den Deinen; und wie nun,

Den Kindertraum erneuernd, diese Zeit

Der Weisen spottet, sie, die doch an Wissen

Und jeder Kunst so weit

Voran zu sein schien allen andern: welch

Gefühl, armsel'ge Menschheit, welches Urtheil

Regt sich zuletzt in meines Busens Raum?

Ob Lachen oder Mitleid, weiß ich kaum.


Wie wenn vom Baum ein kleiner Apfel fällt,

Den von dem Zweig im Spätherbst

Kein andrer Zwang als seine Reife lös't,

Und eines Ameisvolkes traute Wohnung,

Mühsam in weicher Scholle

Gehöhlt, und ihre Werke

Und reichen Vorrath, den geduldiglich

Das fleiß'ge Volk wetteifernd angehäuft,

Zur Sommerszeit vorsorgend für den Winter,

Zerstört, zerstreut, verschüttet

In einem Nu: so war's, als niederstürzend,

Aus donnernd grauser Tiefe

Zum Himmel aufgeschleudert,

Mit Asche, Bimsstein, lockrer Felsensaat

Nacht und Verderben strömend

In heißen Flammenbächen

Und aus den Bergesspalten

Vorbrechend durch den Graswuchs

Ein ungeheurer Schwall

Geschmolzner Erze, glutgetränkten Sandes

Und flüss'ger Lavamassen

Die Städte dort tief an dem Ufersaum

Des Meeres überfiel,[144]

Zertrümmert' und begrub

In kurzer Stunde, daß nur Ziegen jetzt

Hier weiden, neue Städte

Erstehn dort drüben, denen die begrabnen

Zum Schemel dienen, und der steile Berg

Die Mauerntrümmer schier mit Füßen tritt. –

Es hütet oder hegt

Natur nicht mehr den Menschen,

Als jenen Ameishaufen; und vernichtet

Sie seltner ihn, als diese,

Ist's darum nur allein,

Weil minder fruchtbar ist die Menschenbrut.


Wohl achtzehnhundert Jahre

Sind hingegangen, seit die blüh'nden Städte,

Von Feuersmacht erstickt, hinweggeschwunden,

Und wenn der fleiß'ge Landmann

Die Reben pflegt, die kümmerlich gedeih'n

Hier auf der todten, aschendürren Scholle,

Hebt er den Blick noch immer

Besorgt zum unheilvollen

Berggipfel, der mit ungezähmter Wildheit

Noch immer Schrecken birgt, noch immer ihm

Und seinen Kindern, seiner armen Habe

Verderben droht. Und oft,

Wenn auf dem flachen Dache

Des Hüttleins unterm leichten Hauch der Lüfte

Der Ärmste schlaflos liegt die Nacht hindurch,

Springt er empor und späht dem Laufe nach

Des Feuerstrudels, der sich niederwälzt

Aus unerschöpftem Abgrund

Hinab den sand'gen Hang, daß wiederglänzt

Von Capri die Marina,

Der Hafen Napoli's und Mergellina.[145]

Und sieht er ihn herannahn, oder hört

Im tiefen Brunnen hinterm Haus das Wasser

Aufkochend gurgeln, weckt er seine Kinder,

Erweckt in Hast sein Weib, und fort mit Allem,

Was sich errafffen lässt an Hausrath, flüchtend,

Sieht er von fern sein Nest

Und seinen kleinen Acker,

Der vor dem Hunger ihn allein geschützt,

Zum Raub dem Glutenbache,

Der brausend niederschwillt und dicht und fest

Die Stätten alle unerbittlich zudeckt. –

Es kehrt' ans Licht zurück

Aus der Vergessenheit uraltem Grabe

Pompeji, dem verscharrten

Gerippe gleich, das Habgier

Von Neuem bloßlegt oder frommer Sinn,

Und von dem leeren Forum

Durch schnurgerade Reihen

Von Säulenstümpfen schaut der fremde Wandrer

Dort oben fern das zwiegetheilte Joch

Und den umwölkten Gipfel,

Der jetzt noch diese Trümmerwelt bedroht.

Und in der stillen Nacht mit ihren Schauern

Entlang den Tempelresten,

Oeden Theatern, umgestürzten Mauern,

Drin ihre Jungen birgt die Fledermaus,

Gleich einer düstren Fackel,

Die qualmend schwankt durch menschenleere Hallen,

Läuft dann der Schein der todesschwangern Lava,

Die fernher durch die Schatten

Aufleuchtet und ringsum die Gegend röthet.

So, nichts vom Menschen wissend und den Zeiten,

Die er die alten nennt, und daß den Ahnen

Die Enkelkinder folgen,[146]

Ruht ewig jung Natur, vielmehr durchmessen

Muß sie so weite Bahnen,

Daß sie zu ruhen scheint. Zu Grunde gehen

Geschlechter, Sprachen, Reiche: sie ist blind,

Und nur der Mensch glaubt ewig zu bestehen.


Und du, schmiegsamer Ginster,

Der du mit duft'gen Wäldern

Rings diese schmuckentblößten Fluren zierst,

Auch du wirst bald der schonungslosen Macht

Der unterird'schen Glut zum Opfer fallen,

Wenn sie wird niederwallen

Zum wohlbekannten Grund, dein weich Gezweige

Mit hämischem Bahrtuch deckend. Und du beugst

Unter dem Todesdruck dein schuldlos Leben

Ohn' alles Widerstreben.

Doch früher neigst du nicht mit feigem Flehen

Und unfruchtbarem Jammer je dein Haupt

Dem künftigen Verderber, noch erhebst du's

In aberwitz'ger Hoffahrt zu den Sternen,

Verachtend diese Wüste,

Drin du erblüht, nicht eben

Durch freie Wahl, vielmehr durch Schicksalswillen;

Du, weiser als der Mensch

Und nicht am Wahne krank, als sei gegeben,

Durch Schicksal oder eigne

Kraft, deinem schwachen Stamm ein ewig Leben.

Quelle:
Leopardi, Giacomo: Gedichte und Prosaschriften. Berlin 1889, S. 137-147.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Gesänge
Canti e Frammenti /Gesänge und Fragmente: Ital. /Dt.
Canti /Gesänge
Canti /Gesänge. Italienisch-Deutsch
Gesänge, Dialoge und andere Lehrstücke. ( Werke, Bd. 1)
Gesänge. Dialoge und andere Lehrstücke. Zibaldone

Buchempfehlung

Lohenstein, Daniel Casper von

Agrippina. Trauerspiel

Agrippina. Trauerspiel

Im Kampf um die Macht in Rom ist jedes Mittel recht: Intrige, Betrug und Inzest. Schließlich läßt Nero seine Mutter Agrippina erschlagen und ihren zuckenden Körper mit Messern durchbohren. Neben Epicharis ist Agrippina das zweite Nero-Drama Daniel Casper von Lohensteins.

142 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon