[295] An den Herrn A**
Endlich habe ich Ihnen gefolgt, und bin gestern in dem Nicolinischen Schauplatze gewesen. Es hat mir so wohl darinne gefallen, daß ich niemals wieder hinein kommen werde.[295] Was für ein sinnreicher Mann ist Nicolini! Uns seine kleine Affen unter dem Namen Pantomimen aufzudringen! Ich bewundre ihn; und er ist es wert, daß er seine Absicht erreicht hat, da er sich auf eine so anlockende Art die Neugierigkeit und den läppischen Geschmack unsrer Zeiten zinsbar zu machen weiß. Ich glaubte vom Himmel zu fallen, als ich Männer vor seiner Bühne antraf, die ich sonst nicht anders als mit Ehrerbietung genennt habe. Und als ich Gesichter durch ein unanständiges Lachen sich verzerren sahe, von welchen ich geschworen hätte, daß sie Areopagiten zugehören müßten; wahrhaftig so schämte ich mich, weil sie sich nicht schämen wollten. Ich verkroch mich hinter einen großen Offizier, welcher vor mir stand, und sagte mehr als einmal:
Der kleine Narre spielt; die großen sehen zu.
Allein, ich sagte es ganz sachte, müssen Sie wissen; denn außer dem Offizier hatte ich noch einen bärtigen Husaren zum Nachbar. Und so gar eifrig bin ich für den guten Geschmack nicht, daß ich mir seinetwegen den Hals wollte brechen lassen. Sie aber, mein Herr, der Sie kein Husar sind, wissen Sie, daß Sie mit mir Händel bekommen werden, wann Sie nicht beikommendes Buch von einem Ende zum andern durchlesen? Calliachius wird Ihnen zeigen, daß die Pantomimen der Alten ganz andre Pantomimen waren. Bemerken Sie sonderlich die Stellen, welche ich angestrichen habe. Über diese wollen wir heute den ganzen Abend plaudern, wenn Sie nicht lieber wieder bei Ihren stummen Gesellschaftern sein wollen. »Stumm« werden Sie sagen. »Wenigstens ist es die kleine Nicolini nicht.« Sie haben recht: denn diese hat ihren Mund in den Augen. Ich bin etc. L** 1747.
Ausgewählte Ausgaben von
Briefe
|