Veranlassung
Veranlassung

[409] Immer glaubt Herr Klotz, mir auf den Fersen zu sein. Aber immer, wenn ich mich, auf sein Zurufen, nach ihm umwende, sehe ich ihn, ganz seitab, in einer Staubwolke, auf einem Wege einherziehen, den ich nie betreten habe.


»Herr Lessing, lautet sein neuester Zuruf dieser Art,1 wird mir erlauben, der Behauptung, daß die alten Artisten den Tod nicht als ein Skelett vorgestellt hätten (s. Laokoon S. 85) eben den Wert beizulegen, den seine zween andern Sätze, daß die Alten nie eine Furie, und nie schwebende Figuren ohne Flügel gebildet haben. Er kann sich sogar nicht bereden, daß das liegende[409] Skelett von Bronze, welches mit dem einem Arme auf einem Aschenkruge ruhet, in der Herzoglichen Galerie zu Florenz, eine wirkliche Antike sei. Vielleicht überredet er sich eher, wenn er die geschnittenen Steine ansieht, auf welchen ein völliges Gerippe abgebildet ist. (s. Buonarotti Oss. sopr. alc. Vetri t. XXVIII. 3 und Lipperts Daktyliothek, zweites Tausend, n. 998) Im Museo Florentino sieht man dieses Skelett, welchem ein sitzender Alter etwas vorbläst, gleichfalls auf einem Steine. (s. Les Satires de Perse par Sinner S. 30) Doch geschnittene Steine, wird Herr Lessing sagen, gehören zur Bildersprache. Nun so verweise ich ihn auf das metallene Skelett in dem Kircherschen Museo (s. Ficoroni Gemmas antiq. rarior. t. VIII) Ist er auch hiemit noch nicht zufrieden, so will ich ihn zum Überflusse erinnern, daß bereits Herr Winckelmann in seinem Versuch der Allegorie S. 81 zwoer alten Urnen von Marmor in Rom Meldung getan, auf welchen Totengerippe stehen. Wenn Hr. Lessingen meine vielen Beispiele nicht verdrüßlich machen, so setze ich noch Sponii Miscell. Antiq. Erud. Sect. I. Art. III hinzu: besonders n. 5. Und da ich mir einmal die Freiheit genommen, wider ihn einiges zu erinnern, so muß ich ihn auf die prächtige Sammlung der gemalten Gefäße des Hrn. Hamilton verweisen, um noch eine Furie auf einem Gefäße zu erblicken. (Collection of Etruscan, Grecian and Roman Antiquities from the Cabinet of the Hon. Wm. Hamilton n. 6)«

Es ist, bei Gott, wohl eine große Freiheit, mir zu widersprechen! Und wer mir widerspricht, hat sich wohl sehr zu bekümmern, ob ich verdrüßlich werde, oder nicht!

Allerdings zwar sollte ein Widerspruch, als womit mich Hr. Klotz verfolgt, in die Länge auch den gelassensten, kältesten Mann verdrüßlich machen. Wenn ich sage, »es ist noch nicht Nacht«: so sagt Hr. Klotz, »aber Mittag ist doch schon längst vorbei.« Wenn ich sage, »sieben und sieben macht nicht funfzehn«: so sagt er, »aber sieben und achte macht doch funfzehn.« Und das heißt er, mir widersprechen, mich widerlegen, mir unverzeihliche Irrtümer zeigen!

Ich bitte ihn, einen Augenblick seinen Verstand etwas mehr, als sein Gedächtnis zu Rate zu ziehen.[410]

Ich habe behauptet, daß die alten Artisten den Tod nicht als ein Skelett vorgestellt: und ich behaupte es noch. Aber sagen, daß die alten Artisten den Tod nicht als ein Skelett vorgestellt: heißt denn dieses von ihnen sagen, daß sie überhaupt kein Skelett vorgestellet? Ist denn unter diesen beiden Sätzen so ganz und gar kein Unterschied, daß wer den einen erweiset, auch notwendig den andern erwiesen hat? daß wer den einen leugnet, auch notwendig den andern leugnen muß?

Hier ist ein geschnittener Stein, und da eine marmorne Urne, und dort ein metallenes Bildchen: alle sind ungezweifelt antik, und alle stellen ein Skelett vor. Wohl! Wer weiß das nicht? Wer kann das nicht wissen, dem gesunde Finger und Augen nicht abgehen, sobald er es wissen will? Sollte man in den antiquarischen Werken nicht etwas mehr, als gebildert haben?

Diese antike Kunstwerke stellen Skelette vor: aber stellen denn diese Skelette den Tod vor? Muß denn ein Skelett schlechterdings den Tod, das personifierte Abstraktum des Todes, die Gottheit des Todes, vorstellen? Warum sollte ein Skelett nicht auch bloß ein Skelett vorstellen können? Warum nicht auch etwas anders?

1

In der Vorrede zum zweiten Teile der Abhandlungen des Grafen Caylus.

Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 6, München 1970 ff., S. 409-411.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Wie die Alten den Tod gebildet
Gotthold Ephraim Lessings Smmtliche Schriften: Bd. Briefe, Antiquarischen Inhalts. Wie Die Alten Den Tod Gebildet. Gedichte Von Andreas Scultetus. . Den Alterthümern Zu Dresden (German Edition)